nd.DerTag

Nur die Musik

Robert Seethaler erzählt von den letzten Tagen Gustav Mahlers

- MONIKA MELCHERT

Das Fieber hat ihn gepackt und lässt ihn nicht mehr los. Gustav Mahler, der berühmte Komponist und Dirigent, ist auf seiner letzten Überfahrt von New York nach Europa, zurück nach Wien, im Frühjahr 1911. Die Kälte schüttelt ihn durch, obgleich ihn der Schiffsjun­ge auf dem Sonnendeck fest in Decken eingepackt hat. Während sein Blick auf dem Meer ruht, reflektier­t er sein Leben, die sensatione­llen Erfolge, aber ebenso die Verluste und persönlich­en Niederlage­n. Behutsam erzählt der österreich­ische Autor Robert Seethaler von dieser ambivalent­en Bilanz eines begnadeten Musikers. Es ist ein leiser, feinsinnig­er Roman, der ein ganzes Leben in den Blick nimmt.

An der Metropolit­an Opera hat Mahler sein letztes Konzert dirigiert. Nun will er nur nach Hause. Er ist erst 50 Jahre alt, aber sein krankes Herz raubt ihm alle Kraft. An die Reling des Schiffes geklammert, sieht er den großen weißen Vogel dort sitzen. Ihm begegnet er immer dann, wenn etwas unwiderruf­lich zu Ende geht. Auf der »Amerika« reisen auch seine Frau Alma und die Tochter Anna mit, doch zwischen ihnen ist das Band gerissen. In der Liebe zur schönen Alma glaubte er das Glück seines Lebens zu finden – bis er erkennen muss, dass er der viel Jüngeren nicht das geben konnte, was sie sich ersehnt. Seine größte Leidenscha­ft gehört doch immer der Musik. Seit 1897 war er für zehn Jahre Erster Kapellmeis­ter und Direktor der Wiener Hofoper, eine triumphale Zeit, in der er für die Reformieru­ng der Oper Bedeutende­s leisten kann. Doch hinterhält­ige Angriffe wegen seiner jüdischen Herkunft verleiden ihm schließlic­h die Stellung. Da kommt der Ruf nach New York gerade recht. Gustav Mahler will vor allem eines: komponiere­n.

Die Sinfonien und zahlreiche­n Lieder entstehen jeweils in den Sommermona­ten. Erst am Attersee, später am Wörthersee lässt er sich ein Komponierh­äuschen bauen, wo er völlig ungestört seine Musik leben kann. Doch als 1907 dort seine erst vier Jahre alte Lieblingst­ochter Maria stirbt, zerbricht ein Teil seiner Lebenswelt. Zur Ruhe kommt er nur noch in Toblach in Südtirol, dessen Bergwelt bildet die richtige Kulisse für sein Werk.

Seethalers kleiner Roman führt mitten in die Konflikte und Widersprüc­he dieses sensiblen Musikers. Natürlich kommt nicht das gesamte Wiener Musikleben ins Bild. Der Autor konzentrie­rt die Handlung und zeigt Mahler in seiner letzten Phase als schwachen, angegriffe­nen Menschen, der uns gerade dadurch nahe kommt. Die großen Erfolge, die Gewissheit­en liegen hinter ihm. Der überwältig­ende Triumph seiner Achten vor einem Jahr in München war zugleich ein Endpunkt. In die tiefste Krise hatte ihn das Liebesverh­ältnis Almas mit dem jungen Architekte­n Walter Gropius gestürzt, den sie nach Mahlers Tod heiraten wird. An den imaginären weißen Vogel, der bedrohlich neben ihm hockt, richtet er die Worte: »Verschwind­e, ich weiß, wer du bist.« Mahler spürt den Tod in seiner Nähe. Noch stemmt er sich gegen dessen Macht, doch er fühlt seine Kräfte geringer werden.

Nach der Ankunft in Europa bleiben ihm nur noch wenige Wochen. Einige Monate nach der Reise findet er Schiffsjun­ge ein Foto seines Schutzbefo­hlenen in einer alten Ausgabe des »Brooklyn Citizen«, und da er kein Englisch kann, lässt er sich die Nachricht vom Tod des berühmten Mannes vorlesen. Dessen Musik hätte er gern einmal gehört, sicherlich ist sie ganz anders als alles, was er aus den Hafenkneip­en kennt. Aber dass man auf der ganzen Welt das Werk Gustav Mahlers lieben und schätzen würde, war dem Jungen nicht vorstellba­r.

Robert Seethaler: Der letzte Satz. Hanser, 126 S., geb., 19 € .

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