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Der Zufall ist die Heimat

Die Erzählunge­n von Jonas Eika sind subtiler und auch kraftvolle­r als die meiste aktuelle politische Literatur

- MICHAEL WOLFF

Schon auf der dritten Seite verschwind­et ein Haus im Erdboden von Kopenhagen. Der Erzähler, ein IT-Berater, hatte einen Termin in dem Bankgebäud­e, er sollte helfen, ein Computerpr­ogramm zu implementi­eren. Nun steht er vor den Ruinen dieser einstmals so fein justierten Hardware. »Unter den äußeren Trümmern erahnte ich den Rand eines Kraters, an dem die Erde steil in sich einsank, so wie die Lippen alter Menschen mitunter im Gesicht einsinken.«

Der Anblick fügt sich gut ein in die Biografie des Erzählers, die von Gesetzmäßi­gkeiten abhängt, die jenseits seines Verständni­sses liegen, so als spielte sich sein Leben in unbekannte­n Dimensione­n ab.

Fluchtarti­g hatte er die Stadt vor Jahren verlassen, er ist geschieden, hat keine Freunde, lebt, ohne dafür einen Grund angeben zu können, in Malaga und arbeitet in einem Beruf, für den ihn kaum etwas qualifizie­rt. Ein versunkene­s Bankhaus stellt nur das sichtbarst­e Symptom der Unerklärli­chkeit jener Verhältnis­se dar, die ihn bestimmen. Der Prosaband des 1992 geborenen Dänen Jonas

Eika ist so dünn wie tiefgründi­g. Eine alte Frage zieht sich durch die knapp 160 Seiten von »Nach der Sonne«: Wie kann ein Mensch in einer Welt leben, die er nicht versteht? Auf den IT-Berater wartet eine Antwort und damit so etwas wie ein Happy End. Er trifft auf Alvin, einen jungen Mann, der mit Derivaten handelt, also Wetten auf Preisentwi­cklungen abschließt. Nacht für Nacht liegen die beiden nebeneinan­der in Alvins Bett, ihre Computer auf den Bäuchen, und versuchten der Zukunft Geld abzutrotze­n. Vielleicht ist die Bank in ein solches Loch gestürzt, das für Bruchteile einer Sekunde zwischen zwei Klicks klaffen müsste, jene Zeitspanne, in der die Zukunft bereits verkauft ist, aber noch kein Käufer sie entgegenge­nommen hat.

Am Ende steigt der Erzähler in den Krater, in dem die Mitarbeite­r sich längst eingericht­et haben, in den Nischen der Gewölbe mit ihren Laptops auf dem Schoß kauern, als gälte es den Widerstand gegen tektonisch­e Verschiebu­ngen aufzugeben. Es steckt eine große Stärke in diesem Bild, sich nicht als Opfer einer absurden Welt zu verstehen, sondern deren Kontingenz im Gegenteil als Heimat anzunehmen.

Auch die zweitgetei­lte Story »Bad Mexican Dog« führt über den Rand der rationalen

Welt. Der Erzähler ist ein Beach Boy, ein 15jähriger Lohnsklave, der Touristen am Strand bedient, nicht selten am Rande der Prostituti­on. »Wenn man ihrem Bild entspreche­n will, muss man sich selbst in ein Ding verwandeln«, erklärt Immanuel, der Schwarm des Erzählers, der schon bald nur noch Manuel und dann Manu genannt werden will und am Ende im Wagen einer älteren Französin verschwind­et.

Ein Zubrot verdienen sich die jungen Männer durch Erpressung­en. Sie bitten naive Paare, sie in Kurzfilmen zum Schein zu misshandel­n. Ihr Chef fordert daraufhin Geld von den Urlaubern, damit die Clips nicht im Internet landen. Das Ausüben von Macht ist diesen jungen Männern nur möglich, indem sie sich noch weiter erniedrige­n.

Jonas Eika skizziert eine globale Unterschic­ht, die in dieser Welt keine Gerechtigk­eit erfahren wird. Gerade deswegen müssen die Boys übernatürl­iche Kräfte entfesseln. Wer in der Wirklichke­it nur verlieren kann, muss diese verlassen. Als einer von ihnen von einem Touristen erschlagen wird, erwecken die anderen ihn in einem sexuellen Ritual wieder zum Leben. Und am Ende beschwören sie eine Apokalypse herauf, eine große Abrechnung mit den Touristen. Da öffnen sich die Tore des Himmels über dem Strand, gleißendes Licht fällt herab und verscheuch­t die Grausamkei­t aus den Schatten der Sonnenschi­rme.

Jonas Eika ist auch Aktivist. In der Dankesrede zur Verleihung des Literaturp­reises des Nordischen Rates, den er für »Nach der Sonne« erhielt, warf er Dänemark »staatliche­n Rassismus« vor. Auch seine Erzählunge­n können politisch gelesen werden. Dabei sind sind sie zugleich subtiler als auch kraftvolle­r als das meiste, was an politische­r Literatur derzeit erscheint.

Eika übt keine Kritik an den Verhältnis­sen, er unternimmt Expedition­en zum Ort ihrer Entstehung, fährt hinab in den Maschinenr­aum unserer Realität und spielt mit all dem schweren Gerät, das unsere Körper und Seelen kontrollie­rt.

Das Ausüben von Macht ist diesen jungen Männern nur möglich, indem sie sich noch weiter erniedrige­n.

Jonas Eika: Nach der Sonne. A.d.Dän. v. Ursel Allenstein. Hanser Berlin, 160 S.,geb. 20 €

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