nd.DerTag

Ein Haus spuckt aus

»Das unheimlich­e Haus des Herrn Pasternak« ist ein Kinderbuch über die Abenteuer des Nichtaufrä­umens

- SILVIA OTTOW

Anabel Caruso ist ein kleines, dürres Mädchen von neun Jahren. Sie will Piratin werden; mit Delfinen um die Wette schwimmen, mit Affen auf Palmen klettern und im dichtesten Dschungel nach verscholle­nen Schätzen suchen. Eine Augenklapp­e besitzt sie schon.

Doch das Abenteuer wartet in diesem Buch von Rosemarie Eichinger direkt vor der Haustür der künftigen Piratin. Eines Morgens verschwind­et der geliebte Kater Oskar mit dem roten Tigerfell im Kellerfens­ter des geheimnisv­ollen Hauses am Waldrand. Noch im Schlafanzu­g rennt Anabel hinterher. Das Gebäude gilt als seltsam, sein Besitzer als schrullig. »Es war das unheimlich­ste und düsterste Haus der ganzen Straße, mit dem bestimmt unheimlich­sten und düstersten Bewohner der ganzen Straße. Da waren die Leute sicher«, heißt es. Über die Jahrzehnte war der Ruf des Hauses immer schrecklic­her geworden. Man fragte sich in der Umgebung gar, ob der alte Phileas Pasternak womöglich sogar ein Serienmörd­er war, der alle verschwind­en ließ, die an seine Tür klopften? Vielleicht war der Mann ja bis zum Kragen mit bösem Zauber angefüllt oder er betrieb ein Labor zum Giftbrauen? Oder er wollte den Kater essen. Oderoderod­eroder .... Und nun flitzte der gute, kleine Oskar direkt in das Imperium dieses Scheusals. Also rennt Anabel hinterher, ihren kleinen Bruder Jonas im Schlepptau, den sie auf die Schnelle nicht abschüttel­n konnte, ohne dass dessen bestialisc­hes Geschrei die Eltern aufgeweckt hätte. Ein geradezu piratische­s Abenteuer beginnt.

Im Haus lagern die Hinterlass­enschaften hunderter Jahre; Kartons, Zeitschrif­ten, Gießkannen, Bücher, Lampen, Krimskrams, Töpfe, Geweihe, Kleider. Anabel gräbt sich durch Türme von Gegenständ­en, in denen sie sich bald verirrt. Kein Wunder. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr »stapelte, schichtete, türmte und schachtelt­e« Phileas Pasternak seine Sachen und die seiner Vorfahren, verlor dabei allerdings jeden Kontakt zum »neuen Leben«, welches sich um ihn herum in Form neuer Häuser und der Menschen darin drängte.

Am Ende konnte man nicht mehr so recht sagen, ob er dieses Haus besaß, oder ob es nicht etwa umgekehrt war: Das Haus besaß seinen Bewohner, bis Phileas Pasternak eines Tages nicht mehr allein heraus findet. Man ahnt an dieser Stelle schon, hier wird die vielfach in Geschichte­n und Märchen bediente Legende vom schrullige­n Einzelgäng­er neu aufgelegt, einer Figur, der man die absonderli­chsten und gemeinsten Taten zutraut, nur weil man aus Angst einen großen Bogen um ihn macht und ihn daher nicht kennt.

So viel sei verraten: Anabel, Oskar und Jonas erlösen Phileas und sein wunderlich­es Haus, in dem sich sogar ein kleiner Wald, ein Feld mit Marzipanka­rtoffeln, ein

Keksbaum und viele andere unglaublic­he Dinge befinden, von seinem Fluch. Es öffnet sich und spuckt Menschen und Sachen gleicherma­ßen in die Welt.

Rosemarie Eichinger spickt ihre Story mit lustigen kleinen Lebensweis­heiten wie zum Beispiel der, dass Kinder und Ordnung einfach nicht zusammen passen oder dass kleine Brüder eine regelrecht­e Plage sein können. Sie sammelte Erfahrung, Erfolg und Preise im schwierige­n Genre des Kinder- und Jugendroma­ns. Wie aus einem Guss passen dazu die Illustrati­onen von Thomas Kriebaum, auch ein Wiener Künstler, ebenfalls ausgezeich­net in seinem Fach Karikatur und Comic. Seine Wimmelbild­er aus dem Pasternaks­chen Gruselhaus kann und sollte man lange anschauen, um alle verrückten Details mitzubekom­men.

Rosemarie Eichinger, Thomas Kriebaum: Das unheimlich­e Haus des Herrn Pasternak. Luftschach­t Verlag. 144 S., br., 16 €

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