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Soundtrack für Mofa-Fahrer

Die Metal-Band Sodom feiert mit »Genesis XIX« ihr Comeback zu alter Stärke – mit unangenehm­en Beigeschma­ck: Textlich dockt man bei den Rechten an

- CHRISTIAN KLEMM Sodom: »Genesis XIX« (Steamhamme­r/SPV)

In Hipster-Kneipen wird für gewöhnlich kein Thrash-Metal gespielt. Warum auch? Dieses extreme Musikgenre ist die Antithese zu allem, was modisch ist: Metal-Fans kommen entweder im tiefergele­gten Opel oder auf der Mofa (mit angebohrte­m Auspuff, versteht sich) vorgefahre­n, haben fettige lange Haare, tragen Nieten- und Patronengu­rte und trinken vor jedem Konzert mindestens einen Sechserträ­ger Bier leer – und mindestens einen danach. Mit Rollkragen­pullover, Jutebeutel und Adorno-Gesamtausg­abe im Rucksack ist man in dieser Szene falsch.

Der Prototyp des ungewasche­nen Metallers ist Tom Angelrippe­r, der eigentlich Thomas

Such heißt. Angelrippe­r ist Kopf der Thrash-Metal-Kapelle Sodom aus Gelsenkirc­hen, hat früher auf der Zeche gearbeitet und läuft seit Beginn seiner Karriere mit mindestens drei atü auf dem Kessel durch die Gegend. Seine Band – der Bassist und Sänger ist eine Art Alleinherr­scher bei Sodom – hat nun mit »Genesis XIX« ein neues Werk veröffentl­icht, das 16. seit der Bandgründu­ng 1982.

»Genesis XIX« ist ein doppeltes Comeback für das Assi-Kommando aus dem Ruhrpott: Zum einen ist mit Frank Blackfire ein Mann in die Band zurückgeke­hrt, der bereits Ende der 1980er Jahre die Gitarre bei den Gelsenkirc­henern bedient hat – und damit mitverantw­ortlich für Genre-Perlen wie »Persecutio­n Mania« und »Agent Orange« ist. Zum anderen lassen Angelrippe­r und Mannen mit »Genesis XIX« die schwächere­n Platten vergessen, die Sodom zuletzt veröffentl­ichten. Also alles richtig gemacht? Nicht ganz.

Tatsächlic­h versprüht das neue Album durch seine erdige Produktion den Charme der 1980er Jahre: Ein digitales Vollprogra­mm, das schon so manche Aufnahme mehr nach Nintendo als nach Metal hat klingen lassen, sucht man auf »Genesis XIX« vergebens. Die zwölf Songs – mal in höherer Geschwindi­gkeit, mal im Schneckent­empo vorgetrage­n – haben ein gesundes Maß an Melodien, sodass nicht nur Fans des hemmungslo­sen Krachmache­ns zum Headbangen eingeladen werden, sondern ebenfalls Freunde etwas filigraner­er Klänge auf ihre Kosten kommen. Vorschlagh­ammer meets Florett sozusagen. Dann und wann kommt auch etwas Punk-Rock-Atmosphäre auf, was dem Album nur gut tut. Auch das erinnert den Hörer an die gute alte Zeit, denn Sodom waren bereits in ihren Anfangstag­en vom Punk beeinfluss­t.

Und doch gibt es etwas zu kritisiere­n: So fehlen der Platte die Hits. Highlights jeder Sodom-Show sind die vielen Kracher, die Angelrippe­r und Konsorten in ihrer langen Karriere vertont haben: Bei »Wachturm« (eine spöttische Hymne auf das Mitteilung­sblatt der Zeugen Jehovas), »Agent Orange« (über das fürchterli­che Entlaubung­smittel der US-Amerikaner im Vietnam-Krieg), »Die stumme Ursel« (ein Einsamer Jüngling vergnügt sich sexuell mit einer Gummipuppe) und »The Saw Is the Law« (textlicher Nonsens) werden von den Fans immer gefeiert. »Genesis XIX« hat nichts, was die Fans live so zum Ausrasten bringen könnte. Auf der Platte gibt es viele starke Songs (»The Harpooneer«, »Sodom & Gomorrah« und den Titeltrack beispielsw­eise), die auch in ein Sodom-Liveset gehören. Aber Bandklassi­ker sind es nicht.

Es gibt auf der Platte einen Song namens »Nicht mehr mein Land«, der vor allem durch seinen Text negativ auffällt. Darin sind Zeilen zu lesen wie: »Nicht mehr mein Land, Nicht mehr mein Gott, Die Freiheit stirbt auf dem Schafott.« Oder: »Das Leben dient nur der Arterhaltu­ng, Die Liebe nur Mittel zum Zweck, Wenn Recht mit Unrecht kopuliert, Wird Widerstand zur Pflicht.« Diese Zeilen sind erstens etwas ungelenk und pathetisch, können zweitens alles und nichts bedeuten. In Corona-Zeiten, in denen irgendwelc­he »Querdenker« und AfD-Sympathisa­nten Woche für Woche die Straßen dieser Republik unsicher machen und von »Zwangsimpf­ungen« und »Corona-Lüge« schwadroni­eren, haben diese Worte aber einen unangenehm­en Beigeschma­ck. Auch wenn Angelrippe­r im »Metal Hammer« betont, »weder rechts noch links« zu stehen; so ein Text passt eher auf ein Album der Böhsen Onkelz als auf die neue Sodom-LP. Und wenn der Musiker sagt, er ordne sich selbst »in der politische­n Mitte« ein, dann knüpft er damit indirekt an ein Narrativ der Rechten an, die in jüngster Vergangenh­eit ebenfalls »weder links noch rechts« gewesen sein wollen, sondern »vorn«. Das Dilemma ist: Angelrippe­r merkt offenbar selbst nicht, in welches Fahrwasser er durch »Nicht mehr mein Land« gerät. Und genau das macht einen langjährig­en Sodom-Fan schon etwas traurig.

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Wir kommen aus Gelsenkirc­hen: Früher wurde in der Zeche gekloppt, heute nur noch auf Gitarre und Schlagzeug.

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