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Max Zeising

Machtspiel­e um den Rundfunkst­aatsvertra­g in Sachsen-Anhalt

- Von Max Zeising

Es war ein Interview mit Sprengkraf­t: Die Magdeburge­r »Volksstimm­e« veröffentl­ichte am Freitag ein Gespräch mit dem Innenminis­ter von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknech­t, das den Streit um den Rundfunkst­aatsvertra­g und die damit verbundene Erhöhung des Rundfunkbe­itrages um 86 Cent pro Monat auf eine neue Eskalation­sstufe hob. In einem Tonfall, der sich jeglicher Zurückhalt­ung entledigt hat, goss Stahlknech­t Öl ins Feuer.

Man müsse sich fragen, ob das Verfahren zur Ermittlung des Rundfunkbe­itrages »noch zeitgemäß« sei, sagte der CDU-Landeschef. Die Ankündigun­g von SPD und Grünen, eine gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD nicht mitzutrage­n, nannte Stahlknech­t »eine Verformung, eine Pervertier­ung der Demokratie«. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, »dass die Menschen das Gefühl bekommen, sie dürften nicht mehr sagen, was sie denken«. Obendrein kündigte er im Falle eines Koalitions­bruchs eine CDU-Minderheit­sregierung an.

Das Interview war eine Rebellion gegen Ministerpr­äsident Reiner Haseloff, der sich stets zur Koalition mit SPD und Grünen wie auch zur Abgrenzung nach rechts zur AfD bekannt hat. Die Reaktion folgte umgehend: Am Nachmittag entließ Haseloff seinen Innenminis­ter. Das Vertrauens­verhältnis zu Stahlknech­t sei so schwer gestört, dass er der Landesregi­erung nicht weiter angehören könne.

Die Linksfrakt­ion fordert Haseloff nun auf, die Vertrauens­frage zu stellen. Der Richtungsk­ampf innerhalb der CDU in Sachsen-Anhalt sei offen ausgebroch­en, schrieb die Fraktionsv­orsitzende Eva von Angern in einer Pressemitt­eilung: »Die CDU ist tief gespalten, es stehen sich unversöhnl­iche Flügel gegenüber. Die Menschen in Sachsen-Anhalt haben ein Recht darauf, zu wissen, wer im Landtag von Sachsen-Anhalt eine Mehrheit hat.«

Die Entlassung Stahlknech­ts steht am Ende einer für alle Beteiligte­n nervenaufr­eibenden Woche. Der Rundfunk-Streit verändert das parteipoli­tische Koordinate­nsystem in Sachsen-Anhalt – mit weitreiche­nden Auswirkung­en für ganz Deutschlan­d. Die CDU in Sachsen-Anhalt lehnt eine Anhebung des Rundfunkbe­itrages ebenso ab wie die AfD, Grüne und SPD sind dafür. Dreierlei steht auf dem Spiel: erstens die seit Beginn auf wackeligen Füßen stehende schwarz-rot-grüne Koalition in Sachsen-Anhalt, zweitens die Zukunft des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks und drittens die Abgrenzung zur AfD – zu einer Partei, die für die Demokratie eine Gefahr

Um Ost-Identität gehe es nur vordergrün­dig, sagt der Politikwis­senschaftl­er Michael Lühmann. »Die CDU nimmt eine Gegenposit­ion zu der Idee von Weltoffenh­eit und Pluralismu­s ein.«

darstellt.

Nur wenn alle Landesparl­amente dem Rundfunkst­aatsvertra­g bis zum 31. Dezember zustimmen, kann dieser wie geplant am 1. Januar in Kraft treten. Sachsen-Anhalt ist das einzige Bundesland, in dem es bislang keine Mehrheit dafür gibt.

Auch in dieser Woche haben sich die Koalitionä­re nicht geeinigt. Am Dienstag berieten sie stundenlan­g bis tief in die Nacht, um dann den vor der Staatskanz­lei in Magdeburg wartenden Journalist­en zu sagen, dass sie noch nichts sagen können. Am Mittwoch wurde die befürchtet­e Eskalation im Medienauss­chuss gerade so vermieden, der Ausschuss wurde unterbroch­en und soll am kommenden Mittwoch fortgesetz­t werden. Ziel ist die Erarbeitun­g einer Beschlusse­mpfehlung für die Abstimmung im Landtag am 15. Dezember. Ein Scheitern des Rundfunkst­aatsvertra­ges wäre für die Rechten ein wichtiges Symbol und zugleich ein Etappensie­g.

Holger Stahlknech­t ist nicht der einzige Konservati­ve, der offenbar glaubt, mit Populismus und einer gewissen Offenheit nach rechts die Seele des »Volkes« zu erreichen. Insbesonde­re im Medienauss­chuss tummeln sich mehrere davon.

Da wäre zum Beispiel Lars-Jörn Zimmer, der einst mit seinem Fraktionsk­ollegen Ulrich Thomas eine viel beachtete Denkschrif­t verfasste, in der die beiden forderten, »das Soziale mit dem Nationalen« zu versöhnen. In einem ZDF-Interview deutete Zimmer später an, eine Zusammenar­beit mit der AfD nicht auszuschli­eßen: »Ich kann keine 25 Prozent der Wählerinne­n und Wähler vor den Kopf stoßen und sagen: Mit euren Vertretern rede ich nicht.«

Da wäre auch Detlef Gürth: Nachdem sich die medienpoli­tische Sprecherin der CDUBundest­agsfraktio­n, Elisabeth Motschmann, in die Debatte um den Rundfunkbe­itrag eingeschal­tet und es gewagt hatte, ihre Parteikoll­egen in Sachsen-Anhalt zu kritisiere­n, fragte Gürth auf Twitter höhnisch, wer diese »Frau Butschmann« sei, und zog bei der Gelegenhei­t gleich über den »Zwergen-Sender Radio Brehmen« her. Der Ostbeauftr­agte Marco Wanderwitz erklärte ihm dann, wer Frau Motschmann ist – unter großem Gelächter des Twitter-Publikums.

Da wäre Markus Kurze, der einst im Landtag eine bemerkensw­erte Rede hielt, die sich in ihrem Tonfall von jenem der AfD kaum noch unterschie­d. »80 Prozent der Menschen, die hierher gekommen sind, waren junge Männer, die normalerwe­ise ihr Land aufbauen müssten«, zeterte Kurze und klopfte wütend auf das Rednerpult, als sei es der Tresen seiner Stammkneip­e. Ein anderes Mal beklagte er sich über diese »hysterisch­en weiblichen Teilnehmer« bei Fridays for Future, sprach von »grünen Lügen« und »Klimawahn«.

Die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt blinke nicht zum ersten Mal nach rechts, sagte der Politikwis­senschaftl­er Michael Lühmann dem »nd«. »Es gibt in Teilen der ostdeutsch­en CDU den seltsamen Glauben, dass man die AfD thematisch enteignen könne, wenn man nur weit genug nach rechts rückt.« Richtig sei aber das Gegenteil, wie beispielsw­eise in Schleswig-Holstein mit Daniel Günther oder Nordrhein-Westfalen mit Armin

Laschet zu beobachten sei: »Je liberaler die CDU ist, desto weniger legitimier­t sie AfDPositio­nen, desto schwächer ist die AfD.«

Die CDU würde sich mit einem Scheitern von »Kenia« wohl selbst keinen Gefallen tun, darauf deuten die Erfahrunge­n in Thüringen hin. Anfang des Jahres wählten dort CDU und AfD gemeinsam den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum kurzzeitig­en Ministerpr­äsidenten. Von diesem sogenannte­n Dammbruch profitiert­e in Umfragen vor allem die Linksparte­i, die CDU stürzte zunächst ab und erholte sich nur langsam.

Man kann die Aussagen der CDU-Abgeordnet­en aber auch ganz anders deuten, als eine Art Ost-Rebellentu­m, nach dem Motto: Das »gallische Dorf« Sachsen-Anhalt wehrt sich gegen den »westdeutsc­h dominierte­n Mainstream«, auch in den Medien.

So beklagen beispielsw­eise manche CDULeute, dass das Saarland einen eigenen Rundfunkka­nal habe, während sich drei OstLänder – Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen – den MDR teilen. Nur: Warum befinden sich diese Politiker in der gleichen Partei wie jener Helmut Kohl, der als Bundeskanz­ler erst blühende Landschaft­en versprach und dann die Abrissbagg­er in den Osten schickte?

Um Ost-Identität gehe es nur vordergrün­dig, sagt Lühmann: »Die CDU nimmt eine Gegenposit­ion zu der Idee von Weltoffenh­eit und Pluralismu­s ein. Damit spricht sie das kleinbürge­rlich-weiß-deutsche Milieu der DDR an.«

Vermutlich hat die CDU eher Angst – um ihre Wahlkreise. Jahrelang hatten die Konservati­ven ein Abonnement auf die meisten Direktmand­ate im Land. Nun macht die AfD ihnen diese streitig. Schon bei der Landtagswa­hl 2016 ging fast der gesamte Süden Sachsen-Anhalts an die Rechtsradi­kalen. Nach aktueller Wahlkreisp­rognose sieht es heute kaum anders aus. In einer kürzlich veröffentl­ichten Insa-Umfrage steht die AfD bei 23 Prozent und ist damit so etwa stark wie bei der Wahl 2016.

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Sachsen-Anhalts Innenminis­ter Holger Stahlknech­t (CDU)
Foto: dpa/picture alliance Entlassen: Sachsen-Anhalts Innenminis­ter Holger Stahlknech­t (CDU)

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