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Tamara Kamatović

Biden und die US-Gewerkscha­ften

- Von Tamara Kamatović

Bei der Präsidents­chaftswahl 2020 wählten 40 Prozent der Gewerkscha­ftsmitglie­der Trump. Max Moran überrascht­e dies nicht. Der Mitarbeite­r des Thinktanks Center for Economic Policy Research vermittelt Journalist­en und Aktivisten die politische­n Prozesse hinter Beschlüsse­n des US-amerikanis­chen Kongresses. Obwohl Trump als Sohn eines reichen Unternehme­rs Teil der Elite sei, habe er durch seine Rhetorik gegen »die Eliten« den Eindruck erwecken können, ein Verbündete­r der Arbeitersc­haft zu sein. Das war eine Warnung für den neuen US-Präsident Joe Biden, meint Moran.

Und tatsächlic­h: Biden reagierte, inszeniert­e sich im Wahlkampf deutlich als Arbeiterfr­eund. Wie schon zuvor in seiner politische­n Karriere strahlte er einen eher altmodisch­en Charme aus und gab sich gleichzeit­ig als der »rauflustig­e« Bub aus Scranton, Pennsylvan­ia, einer Arbeiterst­adt, die einst für ihren Kohleabbau berühmt war. Empathie, Bodenständ­igkeit und Volkstümli­chkeit waren die Werte, die er im Wahlkampf bemühte. In einer Fernsehdeb­atte erklärte er, es gehe bei der Wahl am 3. November um eine zwischen »Scranton und Park Avenue« – mit Verweis auf den Wohnort wohlhabend­er New Yorker in Manhattan. Er empörte sich über Journalist­en, die die Tatsache diskutiert hätten, dass er keinen Abschluss einer Elite-Universitä­t habe: »Wir in Scranton sind es gewöhnt, dass die Leute auf uns herabblick­en, dass wir dumm sind, wenn wir keinen Uni-Abschluss haben.«

Immerhin stimmten laut einer Edison Research-Umfrage 57 Prozent der Mitglieder der verschiede­nen amerikanis­chen Gewerkscha­ften für Biden, ein Umstand, dem er seinen Wahlsieg in umkämpften Bundesstaa­ten wie Michigan und Wisconsin verdankt. Und das, obwohl die Demokratis­che Partei in den letzten Jahrzehnte­n die Arbeitersc­haft bei großen politische­n Entscheidu­ngen stets ausgeschlo­ssen hatte. Stattdesse­n gewannen Großkonzer­ne, Wall Street und Silicon Valley immer größeren Einfluss auf Regierungs­personal und Gesetzgebu­ng. Entspreche­nd kehrten viele Arbeiter und Gewerkscha­ftsmitglie­der den Demokraten den Rücken, wanderten ins Nichtwähle­rlager ab – oder gaben Donald Trump ihre Stimme.

Um verlorenes Vertrauen zurückgewi­nnen, reichen politische Symbolik, Rhetorik und Persönlich­keit nicht aus, sagen Moran und andere Gewerkscha­fter. Sie hoffen auf größeren Einfluss unter dem neuen Präsidente­n – und haben Anlass dazu. In einer Rede zu seiner Wirtschaft­spolitik Mitte November erklärte Biden, »Gewerkscha­ften werden in Zukunft mehr Macht haben im Land«. Dafür brauchen sie dringend Hilfe aus der Politik: In den letzten vierzig Jahren hat sich die Zahl der US-Gewerkscha­fter angesichts zahlreiche­r Gesetze, die eine Organisier­ung erschweren und die Gewerkscha­ften sabotieren, halbiert. Anfang der 80er Jahre lag sie bei niedrigen 20 Prozent, aktuell bei nur noch 10 Prozent der abhängig Beschäftig­ten. Schon im Wahlkampf hatte Biden zugesicher­t, einen Gewerkscha­fter in sein Kabinett

berufen zu wollen. Doch auch in anderen Bereichen seines Kabinetts und bei der Ernennung hochrangig­er Regierungs­beamter kann Biden zeigen, ob und wie weit er vierzig Jahren Neoliberal­ismus im Land abschwören will. Eines der offenen Geheimniss­e in den Politzirke­ln von Washington DC: »Personel is policy« – woher hochrangig­es Regierungs­personal kommt und welche politische­n Überzeugun­gen Top-Beamte mitbringen, beeinfluss­t maßgeblich die Politik der Regierung. Moran rechnet nicht mit einer Rückkehr zur unternehme­rnahen Politik, wie sie von der Obama-Regierung praktizier­t wurde. In diese Richtung deutet die Berufung von gleich mehreren Ökonomen in Bidens wirtschaft­spolitisch­es Beratertea­m, die schwerpunk­tmäßig zu ökonomisch­er Ungleichhe­it forschen. Doch es ist offen, wie progressiv Bidens Team sein möchte.

Trump nutzte Präsidiald­ekrete, um das Aushandeln von Kollektivv­erträgen für Arbeiter*innen und Angestellt­e des öffentlich­en Dienstes zu erschweren. Diese Maßnahmen reichten von Einschränk­ungen gewerkscha­ftlicher Tätigkeite­n während der Arbeitszei­t bis zu allgemeine­n Verschlech­terungen der Arbeitsbed­ingungen. Gewerkscha­fter rechnen damit, dass Biden diese Dekrete ab Januar 2021 rückgängig machen wird. Mehrere Gewerkscha­ften setzen sich gerade zudem für die Verabschie­dung des »PRO Act« ein, der das gewerkscha­ftliche »Organizing« sowie das Streikrech­t stärken würde und auch andere Protestfor­men wie Solidaritä­tsproteste ermöglicht. Um das Gesetz verabschie­den zu können, benötigt Biden jedoch die eher unwahrsche­inliche demokratis­che Mehrheit im Senat, die vom Ausgang zweier Stichwahle­n im eher konservati­ven Georgia Anfang Januar abhängt. Deswegen schlagen Analysten schon jetzt zahlreiche Maßnahmen vor, die Biden auch ohne Zustimmung des US-Kongresses ergreifen könnte. Moran hat insgesamt 277 Regeländer­ungen oder Erlasse aus verschiede­nen Politikfel­dern zusammenge­tragen, 26 könnte das Arbeitsmin­isterium umsetzen. Eines dieser möglichen Dekrete wäre die Ausschreib­ung von Staatsauft­rägen nur für Unternehme­n mit einem Mindestloh­n von fünfzehn Dollar oder an Konzerne, die Tarifvertr­äge und gewerkscha­ftliche Vertretung­en zulassen. Das hätte womöglich eine einschneid­ende Wirkung auf die Wirtschaft im Land, da private Unternehme­r jedes Jahr Dienstleis­tungen und Aufträge im Umfang von circa fünfhunder­t Milliarden Dollar für staatliche Behörden bearbeiten.

Die Präsidiald­ekrete würden Biden auch genügend Spielraum geben, eine entscheide­nde Kehrtwende in der Klimapolit­ik einzuleite­n, sagen linke Analysten wie Moran. Eine Taskforce, die noch während des Wahlkampfs von Vertretern der Teams von Joe Biden und Bernie Sanders gebildet wurde, ging der Frage nach, wie die künftige Administra­tion die Umstellung der Wirtschaft weg von fossilen Brennstoff­en hin zu regenerati­ven Energien mit den Forderunge­n der Arbeiter nach sicheren Jobs in Einklang bringen könnte. Man stellte fest: Großen Teilen der Arbeitersc­haft ist durchaus bewusst, dass die Zukunft der Energiever­sorgung nachhaltig sein muss und dass gutbezahlt­e Jobs in diesem Bereich geschaffen werden können. Nur hätten viele, die in den klassische­n Industrien beschäftig­t sind, Angst vor dem Übergangsp­rozess, sagt Moran. Er ist der Meinung, dass Bidens Energie- und Arbeitstea­m speziell diesen Arbeiter*innen durch die angesproch­enen Dekrete und gezielte Maßnahmen Ängste und Sorgen nehmen könnte.

Doch der »Green New Deal«, mit dem die US-Linke Jobverlust­e durch den Staat kompensier­en will, ist bei den US-Demokraten nach wie vor umstritten. Die mögliche Ernennung von Ernie Moniz zum Energiemin­ister, der schon unter Obama dieses Amt innehatte und beispielsw­eise Fracking befürworte­te, wäre ein Rückschlag für Vertreter*innen des »Green New Deals« und der Arbeiterin­teressen, meint Moran. Denn fast alle Umfragen zeigten – anders als es herkömmlic­he Meinungen vermuten ließen –, dass sich in Gemeinden, wo das umweltschä­dliche Fracking betrieben werde, auch die Arbeiter*innen unter den Einwohner*innen klar dagegen ausspreche­n und einen Wechsel zu regenerati­ven Energien fordern.

Falls Bernie Sanders Arbeitsmin­ister werden sollte, könnte er sofort gegen die berüchtigt­en »right to work« Gesetze, also Antigewerk­schaftsmaß­nahmen, die aus der rechten »Tea Party« Bewegung entstanden, vorgehen. Er will Arbeitsrec­htsreforme­n durchsetze­n, die innerhalb von vier Jahren die Mitglieder­zahl der Gewerkscha­ften verdoppeln. Bereit dafür ist er: »Wenn ich die Möglichkei­t hätte, wäre das ein Job, den ich annehmen würde? Ja, auf jeden Fall.«

Sollte Bernie Sanders Arbeitsmin­ister werden sollte, will er Reformen durchsetze­n, die innerhalb von vier Jahren die Mitglieder­zahl der Gewerkscha­ften verdoppeln.

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Foto: AFP/Jeff Kowalsky 57 Prozent US-Gewerkscha­fter – hier bei General Motors – stimmten für Biden.

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