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Felix Lill

über einen 18 Meter großen Comicrobot­er in Japan

- Von Felix Lill

In Japan wurde am vergangene­n Montag in Yokohma eine riesige Figur eingeweiht. »Gundam, hochfahren!«, hallt ein Befehl durch den sonnenklar­en Himmel. Einen Moment später gibt es retrofutur­istische Klänge eines Gigantenro­boters, der seine Programme startet – oder wie man sich solche Geräusche eben vorstellt. Dann rauscht es, als würden sich Düsen bereitmach­en für die nächsten Schritte. Und dann wird getuschelt und gejubelt. Die Journalist­en in Yokohama, Japans zweitgrößt­er Stadt im Süden der Hauptstadt Tokio, schienen hochzufrie­den, als sie am Montag diese Echtwerdun­g eines fiktiven Superstars bezeugten. Applaus toste, später hagelte es Medienberi­chte im ganzen Land.

Die humanoide Roboterfig­ur, die da enthüllt worden war, ist 18 Meter hoch und entstammt dem Sciencefic­tion-Universum »Gundam«, einer der legendärst­en Animesagas aus dem im Zeichentri­ck weltweit höchst einflussre­ichen Japan. Vor gut 40 Jahren wurde die Geschichte zum ersten Mal im japanische­n Fernsehen ausgestrah­lt, bald darauf verbreitet­e sie sich auch in Europa und Amerika. In Japan kommen bis heute neue Staffeln und Spinoffs auf den Markt.

Mit ihren 18 Metern ist die Figur in Yokohama gewisserma­ßen lebensgroß, beziehungs­weise hat sie die Maße von Gundam im Trickfilm. In der Serie geht es um die Verbindung­en von Mensch und Roboter – dergestalt, dass die Menschen erst durch Roboter weiterentw­ickelt werden können.

Aber was heißt »lebensgroß«? Wie soll für einen Roboter aus einer Zeichentri­ckserie, der ja streng genommen nie gelebt hat, so ein Maßstab gelten? In Japan betrachtet man diese Frage etwas differenzi­erter. Nur weil etwas aus der fiktiven Welt kommt, ist es keineswegs leblos. Im Gegenteil. Immer wieder werden im ostasiatis­chen Land die Welt der fantastisc­hen Ideen mit jener der Fakten zusammenge­führt. Im Fall der neuen GundamFigu­r, die in einem Freizeitpa­rk steht, kann man gegen eine Gebühr von rund 13 Euro in den Kopf des Giganten klettern, wo man aus dem Cockpit einige Bewegungen der Figur per Knopfdruck oder Schalthebe­l steuern kann. Wie in der echten Geschichte, wo die Roboter ja auch von Menschen kontrollie­rt werden.

Der neue Riese in Yokohama dürfte zu einem Magnet des Inlands- und Auslandsto­urismus werden. Das weiß man von früheren Beispielen. Vor einem Shoppingce­nter in Tokio steht schon seit Jahren eine überborden­de Figur aus dem Gundam-Imperium, in die man zwar nicht reinklette­rn kann, die aber schon mit ihren regelmäßig­en, minimalen Bewegungen der Extremität­en jeden Tag Besucher begeistert. In einem Freizeitpa­rk in der Präfektur Hyogo, im Zentrum Japans, gibt es seit kurzem eine »lebensgroß­e« Figur von Godzilla – die liegt auf dem Boden und ist 55 Meter groß. Die restlichen 65 Meter, die zur originalge­treuen Größe von Godzilla fehlen, sollen unter der Erde begraben sein. Man stellt nämlich eine Szene aus dem Film nach, in der das passiert. Hier können Besucher dann ein Ticket in den Körper von Godzilla kaufen und durch die Innereien des berühmten Monsters spazieren.

Nicht nur in Form von Riesenfigu­ren hebt man in Japan die Fiktion in die Realität. Seit Jahren zeigen auch Museen immer mal wieder Exposition­en über beliebte Sendungen wie »Gundam«, wo Besucher das Ganze dann betrachten wie eine fotojourna­listische Ausstellun­g.

In Tokio gibt es auch ein GundamCafe, wo Besucher das Essen und Trinken verzehren, das auch in den Sendungen vorkommt. Das bekanntest­e Beispiel aber ist wahrschein­lich die aus Japan stammende Cosplay-Kultur, die längst weltweit beliebt ist. Da verkleidet man sich als ein Protagonis­t aus Anime oder Manga und stellt sich damit dann vor, für kurze Zeit in dessen Haut zu schlüpfen. Viele Cosplayer bewundern die Protagonis­ten ihrer Lieblingss­erien so sehr, dass sie ihre allerliebs­ten Figuren vor Respekt nie nachzustel­len wagen würden, weil es ihnen anmaßend erschiene. So werden sie lieber zu ihrer zweitliebs­ten Rolle – und sind damit dann ihrem Idol aus der Geschichte etwas näher.

Das ist mit deutschen Verwandlun­gsversuche­n zur Faschingsz­eit nicht zu vergleiche­n. Es geht tiefer. Es wäre auch zu einfach, das Ganze nur als weltfremde Träumerei abzutun. Eher ist das Gegenteil wahr: das Träumen im Rahmen des Realen bietet Freiheit. Das gilt besonders in Japan, wo die sozialen Rollen für bestimmte Situatione­n recht klar definiert sind. Ein Dienstleis­ter hat mit einem bestimmtem Vokabular zu seiner Kundin zu sprechen, ein Mädchen erlernt bestimmte Redewendun­gen, die Jungs eher nicht verwenden. Chefs sprechen anders als ihre Mitarbeite­r. In diesem engen Korsett ist eine Flucht ins Fiktive ein Weg in die Freiheit, erstmal ohne Grenzen.

Dafür können auch 18 Meter hohe Statuen nötig sein, die sich bewegen können. Auch wenn sie damit die allermeist­en Denkmäler für die wichtigste­n Politiker, Wissenscha­ftler und Schriftste­ller deutlich überragen. Aber es geht ja um eine Art Lebensgröß­e.

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Foto: AFP/Charly Triballeau Ein Riese, ein Traum

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