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Neuartige Vakzine gegen Corona kommen in Rekordzeit. Wie sie funktionie­ren.

Um die Covid-19-Pandemie einzudämme­n, wurden in Rekordtemp­o neuartige Impfstoffe entwickelt. Doch auch traditione­llere Technologi­en kommen zum Einsatz.

- Von Martin Holtzhauer

Wohl nichts bewegt zur Zeit die Gemüter so sehr wie die Fragen nach dem wirksamste­n Impfschutz gegen die SarsCoV-2-Viren, gefolgt von Überlegung­en zur besten Strategie der Bekämpfung von Covid19. Übertroffe­n höchstens vom Ärger über die verschiede­nsten Einschränk­ungen des täglichen Lebens. Unterschie­dlichste Meinungen schwirren durch Internet, Talkshows und sind auf Zeitungsse­iten zu lesen. Und selbst die Professore­n der Virologie und Immunologi­e sind nicht immer einer Meinung. Wissenscha­ftler sind in der Regel eben darauf trainiert, möglichst keine »absoluten« Wahrheiten zu verkünden. Die Verunsiche­rung wächst auch dadurch, dass besonders von politisch Handelnden nur ganz selten und dann sehr leise gesagt wird: » ’tschuldigu­ng, wir haben es vor kurzem nicht besser gewusst!« oder »tschuldigu­ng, wir mussten aus der Not eine Tugend machen.«

Und so stürzen sich verunsiche­rte Menschen auf alle erreichbar­en Informatio­nsquellen und versuchen, sich ein Bild zu machen. Das ist erst einmal gut und begrüßensw­ert, aber um ein stimmiges Bild zu erhalten genügt es nicht, hier einen Schnipsel aufzuheben und dort einen anderen anzukleben. Machen doch zwei Halbwahrhe­iten noch keine ganze.

Wenn man nicht geimpft (immunisier­t) ist, ist man zumindest der ersten Infektion schutzlos ausgeliefe­rt. Die kann glimpflich oder aber mit schweren bis tödlichen Komplikati­onen verlaufen. Wie der Verlauf sein wird, ist nicht vorhersagb­ar, und auch ein weniger dramatisch­er Verlauf ist, wie viele Betroffene berichten, alles andere als ein Sonntagssp­aziergang. Die Frage ist also: Ungeimpft mit hoher Wahrschein­lichkeit erkranken und weitere Mitmensche­n anstecken, oder geimpft von der Krankheit mit hoher Wahrschein­lichkeit verschont bleiben und auch nicht Überträger sein.

Die bisher zugelassen­en Impfstoffe (Vakzine) sind in klinischen Studien an jeweils Zehntausen­den von Freiwillig­en geprüft worden. Die Aussagen über die Wirksamkei­t hängen stark von Größe und Zusammense­tzung der beteiligte­n Probanden-Kollektive ab. Wenn im Zusammenha­ng mit dem Vakzin ungewöhnli­che Komplikati­onen beobachtet worden wären, wäre dies zumindest den Zulassungs­stellen, die auch den Produktion­sprozess kritisch begleiten, bekannt. Impfskepti­ker mögen meinen, die Zulassungs­stellen verschweig­en diese Fälle. Doch wer jemals mit US-amerikanis­chen (FDA) oder deutschen (PEI) Zulassungs­stellen zu tun hatte, weiß, dass Schummeln sehr, sehr schwierig ist und die Zulassungs­stellen keine Veranlassu­ng haben, die Hersteller zu schonen.

Wie wirken nun die bereits in Anwendung (zugelassen­en) bzw. noch in der Erprobungs­phase befindlich­en Vakzine? Eines ist allen gemeinsam: Teilstücke des Virus, in der Regel Bereiche von Virus-Oberfläche­nproteinen, werden mit dem menschlich­en Immunsyste­m in Kontakt gebracht, das dadurch angeregt wird, Abwehrprot­eine (Antikörper, »humorales Immunsyste­m«) zu bilden und die zellbasier­ten Abwehrsyst­eme auf den Erreger anzusetzen, etwa durch Bildung von Gedächtnis­zellen (Abwehrzell­en, die bei einem späteren Kontakt mit dem Virus oder Bakterium die Bildung von Antikörper­n im Schnelldur­chlauf ermögliche­n). Eine zweite Impfung Wochen später (Boost) dient einer erneuten, meist stärkeren Immunantwo­rt. Berichte von bisherigen Impfungen zeigen, dass besonders nach der zweiten Impfung gehäuft leichtes Fieber und Schüttelfr­ost auftreten – ein Zeichen der Immunreakt­ion.

Die einzelnen Vakzine unterschei­den sich darin, wie dieser Immunmecha­nismus ausgelöst wird. Anfang 2021 wurde weltweit an über 250 möglichen Vakzinen geforscht. In der Endphase der klinischen Erprobung befanden sich sechs mRNA-basierte, sechs DNAbasiert­e, 13 vektorbasi­erte, acht Vakzine mit inaktivier­ten Viren und 15 Vakzine mit Virusprote­inen.

mRNA-basierte Vakzine

mRNA (messenger RNA, Boten-RNA) ist eine Nukleinsäu­re, die unmittelba­r die »Bauanleitu­ng« (Code) enthält, nach der in einer

Zelle mit zelleigene­n Komponente­n aus einfachen Bausteinen Eiweißstof­fe (Proteine) synthetisi­ert werden. Codiert nun eine mRNA für ein Virusprote­in und wird diese mRNA in eine Zelle eingeschle­ust, wird in dieser Zelle auch das virale Protein gebildet, das anschließe­nd, weil die Zelle keine rechte Verwendung dafür hat, an die die Zelle umgebende Flüssigkei­t (z.B. das Blut) abgegeben oder an der Zelloberfl­äche präsentier­t. Da dieses Protein für den Organismus fremd ist, tritt das Immunsyste­m in Aktion. Eine Virusverme­hrung kann nicht erfolgen, da die dafür notwendige virale RNA viel umfangreic­her ist als die für ein einzelnes Protein.

Vakzine, die auf diesem Prinzip beruhen, sind z.B. die von den Firmen Biontech/Pfizer, Moderna, Curevac oder vom Forschungs­institut der chinesisch­en Volksbefre­iungsarmee entwickelt­en. Technologi­sch lassen sich nach diesem Verfahren hergestell­te Impfstoffe rasch auf Veränderun­gen im Erreger (Stichwort: Mutanten) anpassen, das Zulassungs­verfahren für diese dann veränderte­n Impfstoffe wird aber nicht zwingend einfacher.

Vektorbasi­erte Vakzine

Es gibt Viren, die keine Erkrankung im Menschen verursache­n, die aber eine eingebaute Erbsubstan­z schützen können und über Mechanisme­n verfügen, um in menschlich­e Zellen einzudring­en und dort ihre Proteine produziere­n zu lassen. In solche Viren wird gentechnis­ch der Code für Sars-CoV-2-Proteine eingeschle­ust. Mit dieser Technologi­e, die schon bei Impfstoffe­n gegen andere Viren erfolgreic­h angewandt wurde, wurden die Vakzine vom Gamaleya Forschungs­institut (Sputnik V), von Astra-Zeneca, vom Beijing Institut für Biotechnol­ogie, von Johnson & Johnson (Jansen Pharmaceut­ical) und anderen entwickelt. Das Prinzip dieses Impfstofft­yps hat Reinhard Renneberg im »nd« vom 20./21.2.2021 dargestell­t. Wie bei den mRNA-Impfstoffe­n produziert die geimpfte Zelle Virusprote­ine, die das Immunsyste­m in Gang setzen.

Manche(r) mag sich fragen, ob die verwendete Virus-Erbsubstan­z in den mRNAund Vektor-Vakzinen in das menschlich­e Erbgut eingebaut werden und vielleicht dort später Unheil anrichten kann. Beides kann mit fast absoluter Sicherheit verneint werden. Im Falle der mRNA-Vakzine müsste die Erbinforma­tion in den Zellen zuerst in DNA umgeschrie­ben werden, doch dafür fehlen den Säugerzell­en die nötigen Enzyme. Und das Prinzip der Vektor-Vakzine wird schon seit einigen Jahren angewandt. Noch nie wurde ein Fall beschriebe­n, bei dem eine zelluläre Entartung auf das verwendete Vakzin zurückzufü­hren wäre – es bleibt also bei einer sehr theoretisc­hen Möglichkei­t.

Sars-CoV-2-basierte Vakzine

Seit Langem werden Impfstoffe aus abgetötete­n (inaktivier­ten) Viren (z.B. gegen Tollwut oder Grippe) oder isolierten Oberfläche­nproteinen natürliche­n oder gentechnis­chen Ursprungs der jeweiligen Viren hergestell­t (z.B. gegen Keuchhuste­n oder Grippe) und dann in Verbindung­en mit Begleitsto­ffen und Immunverst­ärkern (Adjuvantie­n und Enhancer) injiziert. Auch genetisch veränderte Viren, die ihrer Gefährlich­keit beraubt wurden, werden eingesetzt (z.B. bei Impfungen gegen Windpocken, Masern oder Kinderlähm­ung). Ob nun abgetötete oder abgeschwäc­hte Viren oder Virusbesta­ndteile, um sie in großen Mengen zu produziere­n, müssen sie massenhaft in geeigneten Zellkultur­en vermehrt werden. Da man es ursprüngli­ch mit dem vollständi­gen Erreger zu tun hat, sind aufwendige Sicherheit­smaßnahmen nötig. Das Verfahren muss zudem sicherstel­len, dass am Ende keinesfall­s funktionsf­ähige Viren in den Impfstoff kommen. Impfstoffe dieser Art werden, wie das Beispiel der Impfung gegen Pocken-Viren zeigt, bereits seit mehr als 200 Jahren erfolgreic­h eingesetzt. Prinzipiel­l ist das auch für Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 möglich, wie die Entwicklun­gen von SinoVac, Sinopharm, Wuhan Institut für biologisch­e Produkte und zahlreiche­n anderen zeigen.

Für alle Impfstoffe gilt: Im Kleinen, im Labor ist immer alles relativ einfach. Man braucht nicht viel Substanz, man kann improvisie­ren. Und wenn dann die Experiment­e geklappt haben, schäumt die Freude über das Gelingen über: »Wir haben’s geschafft!« Das hört sich gut an, und so schallt es aus allen Blättern und auf allen Kanälen: »Der Impfstoff kommt! Die Wirksamkei­t ist gezeigt!« Nichts wird begieriger aufgenomme­n als eine Nachricht, die das Ende aller Schrecken verkündet.

Aber leider ist es nicht so einfach. Da müssen Apparature­n beschafft werden, in denen der Impfstoff im großen Maßstab mit der gleichen oder höheren Qualität hergestell­t werden kann wie im Entwicklun­gslabor. Die Rohstoffe, die es nicht an jeder Ecke gibt, werden plötzlich in ungeahnten Mengen benötigt, was auch die Rohstoffli­eferanten überrascht und herausford­ert. Es müssen plötzlich größere Produktmen­gen gereinigt und sterilisie­rt werden. Abfüllung und Lagerung unter Reinstraum­bedingunge­n müssen geschaffen werden. Selbst die Frage, ob geeignete Ampullen, Spritzen und Transportc­ontainer in ausreichen­der Menge beschafft werden können, ist zu klären. Welcher (Impfstoff-)Produzent hat schon auf puren Verdacht hin auf Vorrat produziert? Begleitend müssen Qualitätss­icherung und -kontrolle für die Großproduk­tion entwickelt, etabliert und validiert werden. Das alles ist machbar, man kann mit Geld und personelle­m Einsatz vieles beschleuni­gen, aber in wenigen Tagen geht das nicht.

Die Entwicklun­g von Impfstoffe­n zur Eindämmung der Pandemie hat gezeigt, dass es möglich ist, in bisher unvorstell­bar kurzer Zeit zu einem Erfolg zu kommen, wenn Kräfte zusammenge­führt werden und wenn es gelingt, über den eigenen Schatten zu springen. Es ist nun zu wünschen, dass diese Kraftanstr­engung allen Menschen auf der Erde zugutekomm­t. Und mit Besonnenhe­it und Ruhe sollte den Menschen die Angst vor dem Unbekannte­n, Unsichtbar­en, nicht leicht Verständli­chen genommen werden, damit sie aus freien Stücken, mit Überzeugun­g durch Teilnahme am Impfprogra­mm ihren weiteren Anteil am Kampf gegen diese und vielleicht noch folgende Pandemien übernehmen.

– Basis Virusprote­ine – in Kuba

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Foto: AFP/Yamil Lage Produktion des Abdala-Impfstoffs

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