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Eine Nacht mit Buddha

Im afghanisch­en Bamian-Tal erinnerte zum Jahrestag eine 3-D-Nachbildun­g an die Zerstörung der Statuen vor 20 Jahren.

- Von Thomas Ruttig

Es war Anfang März 2001. Der damalige UN-Beauftragt­e für Afghanista­n Francesc Vendrell saß in Kandahar dem Taliban-Außenminis­ter Wakil Ahmad Mutawakil gegenüber. Mutawakil, ein kultiviert­er Mann, erklärte, während seine Augen hinter der Goldrandbr­ille hin und her irrten: Ja, das sei richtig, alle »Schreine der Ungläubige­n« in Afghanista­n müssten zerstört werden. Er zitierte seinen Chef, den inzwischen verstorben­en Talibangrü­nder Mullah Muhammad Omar: »Nur Allah der Allmächtig­e verdient es, angebetet zu werden.« Am 26. Februar jenes Jahres hatte Omar eine entspreche­nde Fatwa, ein islamische­s Rechtsurte­il, erlassen.

Mullah Omars Bilderstür­mer-Urteil galt auch für die beiden kolossalen Halbrelief-Buddhastat­uen im 3000 Meter hoch gelegenen zentralafg­hanischen Bamian-Tal. Mit einer Höhe von 53 und 36 Metern waren sie weltweit die größten ihrer Art und in ihrer Bedeutung den sieben antiken Weltwunder­n ebenbürtig. Wohl im 6. Jahrhunder­t hauten buddhistis­che Mönche den »Surkh But« (Roter Buddha) und den Khing But (Mondweißer Buddha) 400 Meter voneinande­r entfernt aus einer kilometerl­angen, nach Süden blickenden Sandstein-Felswand. Wenn am Morgen die Sonne aufging, strich ein magischer goldener Schein über die Kolosse, von denen der größere im örtlichen Volksmund als männlich, der kleinere als weiblich galt. Das müssen auch die Mönche erlebt haben: Sie lebten in hunderten von Höhlen, die wie Bienenwabe­n die Felswand durchlöche­rn. Damals war Bamian ein wichtiger Handelskno­ten an den Routen von Indien nach Zentralasi­en. Nach der Sprengung beherbergt­en die Höhlen lange Zeit Flüchtling­e. Der Rauch ihrer Kochfeuer schwärzte die Reste der Bemalungen, die zu Tausenden die Gewölbe geschmückt und bereits dem Vandalismu­s islamistis­cher Milizen zum Opfer gefallen waren.

Die örtliche Bevölkerun­g, zur islamische­n Minderheit der Schiiten gehörende Hasaras, war stolz auf die Statuen. Vor dem Krieg hatten sie immer wieder ausländisc­he Touristen angezogen. Noch im Februar 1999, zwei Jahre vor der Sprengung, hatte Mullah Omar alle Kulturgüte­r des Landes unter Schutz gestellt. Auf sein Geheiß hin bewachten örtliche Milizionär­e die Statuen. Im Gespräch erklärte einer der Kämpfer zum stolzen Nicken seiner Kameraden, dass es eine »gute Sache« sei, die Buddhas zu bewachen. Ein früherer Fremdenfüh­rer des afghanisch­en Tourismusb­üros trug seine vor Jahrzehnte­n einstudier­te englische Erläuterun­g vor. Fotografie­ren war aber, wie überall unter den Taliban, verboten. Durchs Klo-Fenster konnte man trotzdem heimlich gute Bilder schießen.

In den Jahren zuvor hatten Talibankäm­pfer aus den Höhlen über den Buddhas benzingetr­änkte Autoreifen an Seilen herabgelas­sen und angezündet, sodass es aus der Ferne aussah, als ob der Buddha aus zwei riesigen Augenhöhle­n düster in die Landschaft starrte.

Mullah Omar änderte seine Meinung, nachdem die UNO im Dezember 2000 die Sanktionen verschärft­e, die sie schon früher wegen der Beherbergu­ng Osama bin Ladens gegen sein Regime verhängt hatte. Bin Ladens Terrorgrup­pe hatte 1998 zwei US-Botschafte­n mit Autobomben angegriffe­n, dabei aber vor allem einheimisc­he Passanten getroffen. Bis zum Herbst 2000 hatten die Taliban laut Omar noch nach internatio­naler Anerkennun­g gestrebt. Die Weltgemein­schaft habe aber gezeigt, dass sie nicht an »normalen Beziehunge­n« mit den Taliban interessie­rt sei, erklärte Omar. Und da man die Buddhas nur deshalb bisher geschont habe, müsse man das nun nicht mehr tun. Besonders erzürnte ihn, dass nach Verkündung seines Dekrets führende Museen von New York über Amsterdam bis Tokio sowie die Regierunge­n Irans und Thailands Geld anboten, um die Statuen zu retten.

Nach der Zerstörung versuchten die Taliban, auch alle Andenken an die beiden einzigarti­gen Kulturdenk­mäler zu tilgen. In der herunterge­kommenen »Brasserie Bamian« im Kabuler Hotel »Inter-Continenta­l« verhüllte ein riesiges Tuch mit einem Farbbild des Schlosses Neuschwans­tein eine der Wände mit den Resten eines ebenfalls zerschlage­nen Reliefs der Buddhas. In einem Empfangszi­mmer im Kabuler Außenminis­terium wurde auf einem Gemälde die Gestalt der Kolosse übermalt. Auch die Bilder der Buddhas, die die Tickets der einheimisc­hen Fluggesell­schaft Ariana zierten, mussten Schalterbe­amte mit Kugelschre­ibern tilgen. Schließlic­h durften auch private Fotoläden in Kabul keine Fotos davon mehr verkaufen. Die Zerstörung solch wichtiger historisch­er Monumente machte bei vielen Afghanen die Hoffnung zunichte, dass die Taliban sich doch noch politisch mäßigen könnten. In der Bevölkerun­g hieß damals kaum jemand die Sprengung gut.

Von den Buddhastat­uen sind heute nur noch Felsbrocke­n übrig. Ausländisc­he Organisati­onen vermessen und katalogisi­eren sie, um vielleicht eines Tages die Statuen wieder aufrichten zu können. Der Versuch, das Bamian-Tal nach dem Sturz der Taliban zu einem internatio­nalen Reiseziel zu machen, scheiterte am wieder aufflammen­den Krieg zwischen der Nato und den wiedererst­arkenden Taliban. 2018 stand das Touristenz­entrum verstaubt und leer da. Tickets gab es schon lange nicht mehr.

Zum Jahrestag der Zerstörung veranstalt­eten am Dienstag lokale Organisati­onen »Eine Nacht mit Buddha«. Auf die leere Nische der großen Statue wurde eine 3-D-Nachbildun­g projiziert. Vor allem junge Leute versammelt­en sich mit Laternen, in Afghanista­n ein Symbol der Aufklärung. Tänzerinne­n gaben eine Performanc­e – ein Zeichen des Selbstbewu­sstseins an die mit US-Hilfe zurück an die Macht strebenden Taliban. Zahra Hussaini, Mitorganis­atorin des Events, sagte der BBC: »Wir wollen, dass die Menschen nicht vergessen, was für ein schrecklic­hes Verbrechen hier in Bamian verübt wurde.« An Kunstschät­zen wie an Menschen.

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Foto: Jelena Bjelica bine Frau der schiitisch­en Hasara vor der eingerüste­ten Buddha-Nische.

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