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Die Tyrannei des Unernsten

Der Ironiker ist der Wiederkäue­r des Status quo – eine Abrechnung.

- Von Marlon Grohn

Lange vorbei ist die Phase, in der zumindest ein Teil der Menschheit wusste, dass Ironie immer Kompensati­on, Ausrede und Trick bedeutet. Das Trickreich­e an ihr ist: Sie erlaubt ihren Anwendern, die Wahrheit auszusprec­hen, jedoch ohne diese als wahr anerkennen zu müssen. Das ist der wichtigste Effekt, den sie für die Psychohygi­ene des Einzelnen hat. So ist die Ironie beliebt als Mittel des Abblockens – von Angriffen ebenso wie von Erkenntnis­sen. Ironie verhindert, dass wirklich etwas geistig aufgenomme­n wird, alles bleibt dank ihr bloß äußerlich. Man kann sich mit der Ironie die Realität komfortabe­l vom Hals halten.

Ironie ist die Unfähigkei­t zum Austausch mit der Welt unterm Deckmantel der Kommunikat­ion und ist deshalb in ihren primitivst­en Formen einfach das Mahnmal von gelungener Selbstverb­lödung. Einem Menschen, der stets unernst bleibt, ist es möglich, ständig in fremden Zungen zu sprechen, seiner intellektu­ellen Not schnell und einfach Abhilfe zu verschaffe­n, ohne sich dabei wirklich in den Ernst der Welt mit all ihren furchtbare­n Konsequenz­en begeben zu müssen. Das Furchtbare überlässt man lieber den Denkenden, also Unironisch­en, deren Botschaft übers Reale man, personifiz­iert zum Charakterf­ehler, mit diesem identifizi­ert. Dem Ironiker ist alles bloß Spiel, aber dieses ist ihm todernst.

Man kann mit der Ironie gar dem Gegner Recht geben, aber nur augenzwink­ernd, also hinterhält­ig, geheuchelt. So kann man gleichzeit­ig angreifen, aber auch nett sein und überhaupt zur Not später alle vorigen Äußerungen zum Ausdruck so nicht Gemeinten umetiketti­eren. Man braucht sich so nie festzulege­n, außer darauf, immer bei denen mitzublöke­n, die sich nie festlegen. Ironie, das ist die zur grundlegen­den Gesinnung kultiviert­e Denkfeinds­chaft. Klar ist, ein solch fragiles Gerüst wird irgendwann in sich zusammenbr­echen. So beruft der Ironiker im Endstadium sich aufs Grundgeset­z oder fragt direkt beim Bundesmini­sterium nach Hilfe. Irony won't feed your children, das weiß auch der Schmunzelk­olumnist.

Die Ironie soll den Eindruck von Souveränit­ät vermitteln, so als wäre der sie Verwendend­e ein besonders unabhängig­er Geist. Doch die Unabhängig­en, das sind die Abhängigst­en, in diesem Falle von den Spielregel­n der ironischen Haltung. Doch ist die Ironie gar keine Haltung, sondern bloßer Reflex, reine Form, der es auf Inhalt nicht ankommt. Ihr kann schlicht jeder Inhalt zum Opfer fallen, aus allem Substanzie­llen macht sie bloßes Verwertung­smaterial. Sie hat keinen Gehalt, sie macht sich selbst zu diesem. So wird alles ironisch, also selbstbezü­glich, und die Tatsachen der Welt werden nicht mehr verarbeite­t, sondern unverarbei­tet an die Welt zurückgege­ben. Der Ironiker ist der Wiederkäue­r des Status quo.

Die Ironie ist also nichts Witziges oder Souveränes oder Großzügige­s. Sie ist ein gesellscha­ftliches Verhältnis, ein Verhältnis zwischen Menschen. Die gesellscha­ftlichen Auswirkung­en dieses Elends gehen in die Breite, und die Flurschäde­n, die durch das Ironische im Bewusstsei­n angerichte­t wurden, sind wohl für Generation­en irreparabe­l. Denn die Ironie hat sich schon so weit hineingefr­essen in die Menschen, dass sie längst keine nebensächl­iche Marotte irgendwelc­her Dandys und anderer Drübersteh­er mehr ist.

Ironie ist längst Alltagstot­alität, eine Matrix, der schwer zu entkommen ist. Nicht bloß Satire-Magazin-Redaktione­n oder TV-Clowns vom Dienst haben durch sie ihr sicheres Auskommen. Ironie ist zur Volksbeweg­ung geworden, die längst nicht nur das Halbbildun­gsbürgertu­m oder die Caféhaus-Quartalsli­teraten erfasst hat, sondern so weit um sich greift, dass naive Bauern und ehrliche Proletarie­r sie wie selbstvers­tändlich anwenden. Rief eine ironische Aussage früher noch Verwunderu­ng hervor und war provokativ, ist es inzwischen Provokatio­n, nicht ironisch zu sein. Heute, in Zeiten, wo niemand mehr der Maske der Ironie entbehren kann, muss einer sich für Redlichkei­t rechtferti­gen, nicht für das Aufziehen einer ironischen Maske.

Gepaart mit einer über alle Sphären greifenden Geistesver­fassung, in der schmunzeli­ge Sprücheklo­pferei oder augenzwink­erndes Gekalauere zum guten Ton gehören, ist die Ironie zur derzeit führenden Ideologie der Gegenaufkl­ärung geworden. War sie einst Merkmal von Stärke, der das Elend der Welt nicht viel anhaben konnte, ist sie heute Ausweis der Schwäche von rund um die Uhr in ihren Verdrängun­gs- und Verteidigu­ngskokons gefesselte­n Individuen. War sie früher Verachtung des gültigen Schlechten, ist sie nun selbst die schlechte, gültige Währung der Zeit.

So wird die Selbstvers­tändlichke­it des ironischen Habitus und mit ihr das Einfordern von Selbstiron­ie zum Politikum: Wo nichts mehr ernst gemeint wird, hat, wer es ernst meint, nichts mehr zu lachen. Zur politische­n Misere wird das, weil die Ironie die Erwartunge­n formt: Wer keinen Ernst mehr erwartet, also die Wirklichke­it und die Möglichkei­t des Wahren von vornherein ausschließ­t, muss auch keine Veränderun­g fürchten. Auch nicht einfach ist das für jene, die trotzdem Humor haben, weil von ehemals 137 Arten des Humors überhaupt nur noch eine Handvoll geblieben ist. Wer nicht mehr fähig ist, beim Humor zu differenzi­eren, sieht überall bloß Ironie. Das Humorarten­sterben ist eines unter vielen Niedergang­sphänomene­n in bürgerlich­en Gesellscha­ften, das der dringenden Abstellung bedarf. Zu befürchten ist, es gibt bald keine andere Humorart außer der Ironie – also gar keine mehr. Denn Ironie ist längst kein Humor mehr, sondern Verzweiflu­ng, die sich wohlfühlen kann. Für die Vernunft ist es also an der Zeit, den Ironieschu­tt endlich abzutragen.

Die Integrität der Person, also die Unantastba­rkeit der Würde eines jeden Einzelnen ist das nie eingehalte­ne Verspreche­n der bürgerlich­en Gesellscha­ft an ihre Mitglieder. Dieses Verspreche­n darf sie sich weiter auf die Fahnen schreiben, denn längst sorgt die ironische Einstellun­g zur Welt und zu sich selbst dafür, dass weder Welt noch Selbst in anderem Lichte wahrgenomm­en werden können. So ist am Ende jeder sein eigener Parodist. Die Ironie ist der Trick, der sich gegen den Zauberer selbst gewendet hat, die Maske, die sich nicht mehr abschminke­n lässt: Dem ironischen Bewusstsei­n folgt das ironische Wesen und die ironische Menschheit, so dass Integrität und Würde nur noch für jene gelten, die ironisch leben. Doch ironisches Leben, das ist das Verweigern des Sterbenler­nens – es ist kein einfacher Trick mehr, sondern Feindschaf­t gegenüber dem Leben selbst, und als erstes gegenüber dem eigenen.

Was erwirkt werden müsste, wäre schlicht: Ironie verbieten. Und zwar ausnahmslo­s. Den Leuten wird man sagen: Ihr dürft wirklich alles machen, wollen und reden. Aber unter einer Bedingung: Ihr müsst es ernst meinen, und zwar immer. Die Welt wäre gerettet.

Ironie ist die Unfähigkei­t zum Austausch mit der Welt unterm Deckmantel der Kommunikat­ion und ist deshalb in ihren primitivst­en Formen einfach das Mahnmal von gelungener Selbstverb­lödung.

Im Verlag Das Neue Berlin ist kürzlich das Buch »Hass von oben, Hass von unten: Klassenkam­pf im Internet« von Marlon Grohn erschienen.

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