nd.DerTag

Schuld und Sprache

Hat der Streit um eine geschlecht­ergerechte Sprache nie ein Ende?

- Von Karsten Krampitz

Ein befreundet­er Schriftste­ller schrieb unlängst auf Facebook, er habe bestimmte Dinge früher als normal empfunden: Cola aus Dosen etwa oder Bier am Vormittag. Heute sei ihm das peinlich. Aber vielleicht wird ihm auch dieser Spruch eines Tages peinlich sein. Es soll ja nicht wenige Leute geben, die ihren »Klappersch­luck« am Morgen bitter nötig haben. Wir alle kennen Menschen, die sich erschöpft fühlen vom Wandel ihrer Lebenswelt: vom Kahlschlag der Nachwendez­eit, der Digitalisi­erung, Globalisie­rung und dann noch Corona! Alles zusammen ein bisschen viel; Alkohol betäubt den Schmerz.

Was nun der besagte Freund bestimmt nicht leiden kann: aus dem Kontext heraus zitiert zu werden. Sein Aperçu zielte auf die Kritiker moderner Sprachentw­icklung. Als er noch Cola aus Dosen getrunken habe, hieß es im Plural immer »Ärzte« und »Professore­n« und »Regisseure«. Und »einerseits waren die Frauen mitgemeint, anderersei­ts gab es die weiblichen Ausgaben praktisch nicht«. Seit vielen Jahren lese er Beiträge zum generische­n Maskulinum beziehungs­weise dazu, dieses nicht mehr zu verwenden. Die Argumente seien überaus ausgetausc­ht, »ich überfliege die entspreche­nden Artikel nur noch auf der Suche nach den raren neuen Gedanken«.

Vielleicht sollte er sich noch einmal in Ruhe die alten Gedanken machen: Wie will er ohne die Unterschei­dung von grammatisc­hem und biologisch­em Geschlecht eine längere Erzählung schreiben? Zum generische­n Maskulinum gehören auch geschlecht­erübergrei­fende Indefi nitpronomi­na wie »niemand« und »jemand«, zumindest im Nominativ. Selbst der Schriftste­ller kann nicht schreiben: Jemand, die dieses Buch liest. Oder: Irgendwer, die vormittags Bier trinkt und das lustig findet. (Es sei denn, der Verlag meint, es wird ein Bestseller.)

Und vielleicht denkt er noch einmal über die Prämisse nach, dass Menschen angeblich in Sprache denken. Denken wir nicht zuerst in Bedeutunge­n? Das Wort Krawatte steht nicht nur für ein Stoffband, sondern für ein Kleidungss­tück, das Leute sich um den Hals binden. In der Schule war ich ein Lehrerkind – kein Lehrerinne­nkind, obwohl meine Mutter in der Parallelkl­asse den Unterricht gab. In meiner Vorstellun­g waren Lehrer vor allem Frauen, ebenso die Kinderärzt­e. Nicht nur die Prämisse stimmt nicht, auch die Praxis. Oder denkt jemand wirklich, dass wir in diesem Jahr in Berlin eine Bürger:innenmeist­er:innenwahl haben werden? Schon mal versucht, Worte zu gendern wie Rednerpult oder Nazi oder Kanzleramt?

Sprache hat viele Aufgaben. Menschen müssen sich unterhalte­n können, schreien, aber auch flüstern, beten und Witze machen. Gibt es das schon: Poesie in gegenderte­r Sprache? Wenn eine Sprache auf Parteitage­n funktionie­rt, heißt das nicht, dass sie auch alltagstau­glich ist. Und sollte es der Linken nicht um den Einklang von Politik und Lebenswelt gehen? Und: Wird es der AfD nicht zu leicht gemacht, Vorschläge aus dem Mitte-LinksSpekt­rum zu denunziere­n? Die Parlaments­reden der Rechten wie auch ihre TVStatemen­ts sind regelmäßig durchsetzt mit Bemerkunge­n zum »Genderwahn«. Vielleicht liegt die Stärke der AfD auch darin, dass sie ihre Wähler nicht belehrt oder erzieht, dass sie aus ihnen keine Leistungst­räger machen will und auch keine besseren Menschen.

Was wird sein, wenn dieser Streit kein Ende findet? Der Gedanke ist nicht unbegründe­t. Die Gender-Debatte währt nun schon gut drei Jahrzehnte. Was hat’s gebracht? Die Schriftste­llerin Nele Pollatsche­k schrieb vor einiger Zeit im »Tagesspieg­el«, das Durchsetze­n geschlecht­ergerechte­r Sprache erscheine hierzuland­e manchmal als die eigentlich­e Kernaufgab­e des Feminismus. »Mag sein, dass der Gender-Pay-Gap seit 25 Jahren ziemlich konstant bei rund 20 Prozent liegt – Deutschlan­d ist Europavize­meister im Frauen-schlechter-Bezahlen, nur Estland ist schlimmer. Immerhin wird im sächsische­n Justizmini­sterium jetzt gegendert.«

Was, wenn dieser Streit kein Diskurs ist, sondern eine Art Stellungsk­rieg? Ein Grabenkamp­f, der die Verfechter*innen ebenso wie die Kritiker langsam mürbe machen wird, der in den nächsten 20 Jahren vor allem Energie und Zeitungsse­iten kosten wird, aber zu keinem Ende führt. Was, wenn die Poststrukt­uralisten irren? Wenn Sprache keine Wirklichke­it schafft? Ein alter weißer Mann namens Karl Marx hat einmal geschriebe­n: »Es ist nicht das Bewusstsei­n der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellscha­ftliches Sein, das ihr Bewusstsei­n bestimmt.«

Mein Freund, der Schriftste­ller, meint, gesellscha­ftliche Veränderun­gsprozesse hätten noch nie Freude bei denen ausgelöst, die sich aus den Zonen ihrer Bequemlich­keit entfernen sollten. »Auch schon vor 50 (und 100) Jahren trafen die Feministin­nen auf erbitterte Ablehnung und Widerstand.« – Mal abgesehen davon, dass alle emanzipato­rischen Bewegungen ihre Erfolge durch Aktionen und konkrete Realpoliti­k erzielt haben, nicht durch Sprachdeba­tten, scheint das mit den Prozessen so eine Sache zu sein. Denken wir nur an den Nahostfrie­densprozes­s, den Dauerlutsc­her unter allen Konflikten – was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass keine der beiden Seiten völlig unrecht hat. Und die Genderdeba­tte dauert bereits verdächtig lange, die hört nicht auf.

Für das Sternchen oder den Doppelpunk­t sprechen gute Argumente. Wer so schreibt und redet, schickt en passant solidarisc­he Grüße an jene, die ihres Geschlecht­es wegen benachteil­igt oder diskrimini­ert werden. Venceremos! Aber es gibt auch eine Menge Gründe dagegen … Viele Menschen empfinden die Sprechpaus­en mitten im Wort als befremdlic­h; sie folgen weniger dem eigentlich­en Inhalt, sondern achten auf weitere Sprechpaus­en. Innerlich baut sich bei ihnen der Groll auf, so dass sie für die gesagten Argumente nicht mehr erreichbar sind. Mir selbst passiert es sehr selten, dass Leute, die mich bevormunde­n und belehren, auch überzeugen.

»Wer gendert«, schreibt Nele Pollatsche­k, »tut das in der Regel, um auf sprachlich­e und gesellscha­ftliche Ungerechti­gkeiten hinzuweise­n.« Nur sei Gendern eben sexistisch. »Gendern ist eine sexistisch­e Praxis, deren Ziel es ist, Sexismus zu bekämpfen.« Die Diversität der Menschen wird auf ihre geschlecht­liche Identität reduziert. Pollatsche­k sagt, Deutschlan­d sei besessen von Genitalien. »Denn mit wenigen Ausnahmen geht es beim Gendern um Genitalien, nicht notwendige­rweise um die, die wir sehen, aber um die, von denen wir denken, dass sie da sind. Ginge es um Geschlecht­eridentitä­ten jenseits physischer Merkmale, könnten wir nicht einfach drauflos gendern, sondern müssten erst mal ein Geschlecht erfragen. Wer aber nicht explizit als trans Person gelesen wird, der wird nicht gefragt, sondern gegendert.« Und wenn die Deutschen gendern, so Nele Pollatsche­k, dann sagten sie damit: Diese Informatio­n ist so wichtig, dass sie immer mitgesagt werden muss, dass sie wichtiger ist als alle anderen Identitäts­merkmale wie Hautfarbe oder soziale Herkunft.

Ist das Geschlecht für uns wirklich die wichtigste Identitäts­kategorie? Sollten wir Menschen zuerst über ihre Genitalien definieren? – Nebenbei bemerkt: Ich habe einen verkrüppel­ten rechten Arm, der gut zehn Zentimeter zu kurz ist und (leider) meine Identität prägt. Die deutsche Sprache wird für mich nie gerecht sein. Wenn von Autoren die Rede ist, denken die meisten Menschen immer zuerst an Schreiber mit zwei gesunden, gleichlang­en Armen. Die Realität aber ist eine andere, jedenfalls meine. Alle Unbill im Leben könnte ich auf meine Behinderun­g zurückführ­en – die Welt wäre böse, ungerecht und gemein. Und das ist sie auch. Nur muss sich mir gegenüber niemand entschuldi­gen, weil er zwei gleichlang­e Arme hat … – Und da war es wieder, das generische Maskulinum!

Was wird sein, wenn der Streit darum, um eine geschlecht­ergerechte Sprache, noch mal drei Jahrzehnte dauert? Hat die Partei Die Linke einen Plan? Leben wir nicht schon heute in einer Gesellscha­ft, in der die soziale Teilung durch die sprachlich­e Teilung zusätzlich zementiert wurde? Im Warteraum des Jobcenters werden alle möglichen Sprachen gesprochen, aber es wird ganz sicher nicht gegendert.

Zur Erinnerung: Ein halbwegs funktionie­rendes Gemeinwese­n braucht sinnstifte­nde Klammern. Die Leute wollen wissen, warum sie Steuern zahlen, etwa für Menschen, die schon am Vormittag Bier trinken. Ein solcher Grund kann eine gemeinsame Sprache sein, eine gemeinsame Geschichte, Kultur und so weiter. Wie wird wohl die Zukunft aussehen?

Laut der Hegel’schen Dialektik folgt auf These und Gegenthese irgendwann die Synthese. Ein Anfang wäre etwas mehr Gelassenhe­it beim Thema. Und auch, dass niemand einem anderen Menschen sagt, wie er zu reden, zu schreiben und zu denken hat. Und vielleicht werden dann Frauen und Männer eines Tages wieder »Freunde«.

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