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Der Golfstrom schwächelt

Noch nie in über 1000 Jahren war das Strömungss­ystem, das vom tropischen Atlantik bis zum Polarmeer reicht, so schwach wie derzeit.

- Von Elke Bunge

Wenn man in Norwegen noch in Gegenden Erdbeeren im Freiland anbauen kann, die in Kanada eher für ihr subarktisc­hes Klima bekannt sind, dann liegt der Grund dafür im Ozean vor Norwegens Küste: die Atlantisch­e Umwälzströ­mung (Amoc – Atlantic Meridional Overturnin­g Circulatio­n), auch als Golfstroms­ystem bekannt. Es handelt sich dabei um ein riesiges Strömungss­ystem, das den gesamten Atlantisch­en Ozeans durchzieht. In Bewegung gehalten wird es, weil wärmeres Oberfläche­nwasser aus dem tropischen Atlantik nordwärts strömt, in der Arktis abkühlt und als Tiefenstro­m zurück in den Süden befördert wird. Bislang konnte eine Strömungsg­eschwindig­keit von etwa 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde festgestel­lt werden. Das ist das Hundertfac­he dessen, was der gewaltige Amazonas in seinem Mündungsge­biet im brasiliani­schen Bundesstaa­t Amapá in den Atlantik trägt. Zudem transporti­ert der Golfstrom gigantisch­e Wärmemenge­n.

Doch in den vergangene­n Jahrzehnte­n, so bestätigt eine aktuelle Studie, hat sich die Strömungsg­eschwindig­keit des Golfstrome­s deutlich verlangsam­t. Diese Entwicklun­g könnte deutliche Folgen für Klima und Wetter sowohl in Nordamerik­a als auch in Europa zeitigen. Für die im Fachjourna­l »Nature Geoscience« veröffentl­ichte Studie hat ein internatio­nales Wissenscha­ftlerteam unter Federführu­ng des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung (PIK) eine Vielzahl von Daten über die Entwicklun­g der Strömung in den vergangene­n 1600 Jahren ausgewerte­t.

Bereits in früheren Arbeiten – so im Jahre 2015 – vertraten PIK-Forscher um Stefan Rahmstorf die These, dass die Klimaerwär­mung die Fließgesch­windigkeit des Golfstroms­ystems verringern könnte. Mit der Erwärmung des arktischen Gebiets ging ein Abschmelze­n des Seeeises und der Gletscher Grönlands einher. Als Folge davon fließt reichlich Süßwasser ins Meer. Das auf diese Weise verdünnte Salzwasser hat eine geringere Dichte und sinkt daher langsamer in die Tiefe als zuvor. Der Tiefenstro­m, der das kalte Wasser südwärts transporti­ert, verlangsam­t sich infolgedes­sen. Entspreche­nd wird auch weniger warmes Oberfläche­nwasser in den Norden gezogen. Die Wissenscha­ftler des PIK stützten ihre These seinerzeit auf die Auswertung sogenannte­r Proxydaten. Das sind indirekte Klimaanzei­ger wie Baumringe oder Eisbohrker­ne.

»Wir haben in der früheren Studie einen Satz Proxydaten – eine Reihe von Sedimentbo­hrkernen – ausgewerte­t und geschlussf­olgert, dass sich die Fließgesch­windigkeit des Golfstroms verringert haben muss. Dies bestätigte­n auch Vergleiche mit den Temperatur­messungen und einem kontinuier­lichen Monitoring, wie sie von dem britisch-amerikanis­chem Forschungs­projekt Rapid seit 2004 durchgefüh­rt werden«, erklärt Rahmstorf.

Wurde die These, dass sich die Fließgesch­windigkeit des Golfstrome­s drastisch verringert in der Wissenscha­ftswelt vor fünf Jahren noch kontrovers diskutiert, so liefert die aktuelle Studie deutliche Belege. Die Forscher um Rahmstorf – zu ihnen gehören Geologen, Geografen und Mathematik­er von der Universitä­t von London und der National University of Ireland – haben elf weitere Proxydaten­sätze ausgewerte­t, die die früheren Annahmen bestätigen. Ein weiterer wichtiger Hinweis auf die Verlangsam­ung der Fließgesch­windigkeit des Golfstroms ist eine in den letzten Jahrzehnte­n entstanden­e »Kälteblase« im nördlichen Atlantik.

»Wir haben zum ersten Mal eine Reihe von früheren Studien kombiniert und festgestel­lt, dass sie ein konsistent­es Bild der Amoc-Entwicklun­g über die letzten 1600 Jahre liefern«, so Rahmstorf, »Die Studienerg­ebnisse legen nahe, dass die Amoc-Strömung bis zum späten 19. Jahrhunder­t relativ stabil war. Mit dem Ende der Kleinen Eiszeit um 1850 begann die Meeresströ­mung schwächer zu werden, wobei seit Mitte des 20. Jahrhunder­ts ein zweiter, noch drastische­rer Rückgang folgte.«

Zu ähnlichen Schlussfol­gerungen war 2018 bereits ein Forschungs­team um den britischen Paläozeano­grafen David Thornally, Mitautor der aktuellen Studie, gekommen. Sein Team hatte Proxydaten von Kalkschale­n und Meerestier­en aus 50 bis 200 Metern Wassertief­e sowie Sedimentbo­hrkerne aus 1700 bis 2000 Metern Tiefe aus Gebieten untersucht, wo das kalte Wasser im Tiefenstro­m zurückflie­ßt. Die Forscher stellten damals fest, dass die Körnung der Bohrkerne immer feiner wurde, was auf einen Rückgang der Fließgesch­windigkeit schließen ließ.

Das warme Wasser des Golfstroms hat Europa sein mildes Klima gebracht. Bei einer Verlangsam­ung der Strömung – oder gar ihrem Erliegen

– könnte eine deutliche Abkühlung stattfinde­n. In der Folge könnten zum Beispiel die Elbmündung und auch die Nordsee monatelang vereist sein – ein Phänomen, wie es in der kanadische­n Hudsonbay beobachtet wird, die auf dem gleichen Breitengra­d liegt. Zudem könnte es in Europa häufiger zu extremen Wettererei­gnissen kommen, etwa weil Winterstür­me über dem Atlantik stärker werden oder andere Wege nehmen.

Rahmstorf und Kollegen befürchten eine Störung des gesamten nordatlant­ischen Ökosystems. »Dies könnte deutliche Rückwirkun­g zum Beispiel auf die Fischerei und damit auf die Lebensgrun­dlage vieler Menschen an den Küsten haben«, so der Forschungs­leiter.

Derzeit ist es noch so, dass aufgrund der Erdrotatio­n das von Süd nach Nord fließende Oberfläche­nwasser nach rechts abgedrängt wird. Bei einer Verlangsam­ung des Golfstroms könnte es auch zum Ansteigen des Meeresspie­gels an der US-Ostküste kommen, Städte wie New York oder Boston wären davon betroffen.

»Wenn wir die globale Erwärmung auch künftig vorantreib­en, wird sich das GolfstromS­ystem weiter abschwäche­n – um 34 bis 45 Prozent bis 2100, gemäß der neuesten Generation von Klimamodel­len«, folgert Rahmstorf. »Das könnte uns gefährlich nahe an den Kipppunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird. «

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Grafik: PIK Warmes Wasser aus den Tropen (rot) strömt nordwärts, kaltes (blau) in der Tiefe zurück.

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