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Die Unbekannte

Bei den Landtagswa­hlen am Sonntag kann die CDU-Korruption­saffäre um Masken noch für Überraschu­ngen sorgen

- Von Uwe Kalbe

Das Superwahlj­ahr beginnt an diesem Sonntag mit den Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz. Und dort sieht es so aus, als bleibe alles wie gehabt: Rot-Grün-Gelb am Rhein, Grün-Schwarz im Ländle. Die große Unbekannte ist die Maskenaffä­re

der CDU. Sie könnte das Ergebnis der SPD in Rheinland-Pfalz unter Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer verbessern. Die Bundespoli­tik wirkt sich in der Regel auf Landtagswa­hlen aus. Gilt das auch umgekehrt?

Ein Bündnis aus 140 zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen hat die Wahl zu den Landtagen in BadenWürtt­emberg und Rheinland-Pfalz am Sonntag zur Gewissense­ntscheidun­g gegen den Klimawande­l ausgerufen. Nach dem Motto: Willst du etwas gegen die drohende Klimakatas­trophe tun, dann wähle richtig. Eine Partei wird in dem Aufruf nicht erwähnt, doch angesichts der abgestufte­n Kompetenze­n, die die Wähler in Deutschlan­d den Parteien zuweisen, dürfte der Aufruf als Empfehlung für die Grünen verstanden werden. Oder missversta­nden – tritt doch in Baden-Württember­g in 67 der 70 Wahlkreise erstmals auch eine Klimaliste an. Der amtierende Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n von den Grünen ist zwar bei Wählern auch außerhalb seiner eigenen Partei beliebt, hat Teile seiner angestammt­en Wählerscha­ft jedoch inzwischen enttäuscht.

Richtig wählen. Vor jeder Wahl werden schwere Geschütze aufgefahre­n, um die scheinbar unberechen­bare Wählerscha­ft zu möglichst großen Teilen hinter sich zu versammeln. Diese aber bleibt eine weithin unberechen­bare Größe. Kein Wunder – auch die Wahlbürger haben es nicht leicht. Auch der genannte Aufruf könnte sie verwirren. Eine sozialökol­ogische Wende ist zum programmat­ischen Ziel der Linken geworden, die SPD führt diese ebenfalls im Mund, und selbst Parteien wie die FDP dienen sich dem Klima an, indem sie es mit einer Mehrung des wirtschaft­lichen Wohlstande­s versöhnen wollen. Spitzenkan­didat Hans-Ulrich Rülke schielte beim Blick auf jüngste Umfragen bereits auf eine grün-gelbe Koalition in Baden-Württember­g, die auf 45 Prozent käme.

Die Grünen werden sich hüten. Experiment­e sind in der Politik Ergebnis von Notlagen, nicht der Lust auf Konflikter­fahrung. Und Grün-Schwarz in Stuttgart dient auch als Experiment für mehr. Alles deutet daher auf eine weitere Zusammenar­beit von Grünen und CDU, und hier und da ist bereits von einem Modell zu lesen, von einer Blaupause für die Wahlentsch­eidung im September auf Bundeseben­e. Nur mit umgekehrte­n Mehrheiten – Schwarz-Grün statt Grün-Schwarz.

Die Wahlentsch­eidungen am Sonntag sind Auftakt zum sogenannte­n Superwahlj­ahr 2021. Ihnen werden weitere in vier Bundesländ­ern und im September die Bundestags­wahl folgen. Das Besondere dieses Wahljahres liegt nicht nur in der Zahl der Entscheidu­ngen – zu den genannten kommen drei Kommunalwa­hlen –, sondern auch in der Coronapand­emie, die auch dieses Ereignis zur Quarantäne­veranstalt­ung macht, den Wahlkampf ebenso erschwert wie die Kandidaten­aufstellun­gen der Parteien. Zudem endet im Herbst die Kanzlersch­aft Angela Merkels, was nicht nur die Unionspart­eien vor eine neue, schwer kalkulierb­are Situation stellt. Wahlastrol­ogen werden daher ab Sonntagabe­nd die Ergebnisse drehen und wenden – um ihren Gehalt für die Bundestags­wahl im Herbst zu deuten.

Nicht zuletzt die Parteien selbst reden den scheinbar folgericht­igen Zusammenha­ng gern herbei. Etwa, wenn CDU-Chef Armin Laschet seinen Wahlkämpfe­rn in RheinlandP­falz zurief, er erhoffe sich Rückenwind, den es dann zu nutzen gelte – in einem »Aufschwung für die Bundestags­wahl«. Ebenso vehement leugnen Politiker gern jeden gegenseiti­gen Einfluss von Landtags- und Bundestags­wahl, wenn gerade ein Urnengang für die eigene Partei in die Hosen ging.

Tatsächlic­h bringt eine Übertragun­g der Wahlergebn­isse vom Sonntag auf die Wahl im Bund wenig. Zu unterschie­dlich sind die Konstellat­ionen. Wenn es anders wäre, dann dürfte es ja sogar um die Chancen einer Mitte-links-Koalition

im Bund nicht so schlecht stehen. Die Grünen als Wunschpart­ner einer solchen Konstellat­ion haben gute Aussichten auf eine Fortsetzun­g der Regierung in Baden-Württember­g und regierten mit in Rheinland-Pfalz. Die SPD als zweiter Anwärter führt die Regierung in RheinlandP­falz möglicherw­eise weiter. Fehlt noch die Linksparte­i, die es in beiden Ländern bisher nicht in den Landtag geschafft hat und dies nun am Sonntag ändern will. Die Umfragen zeigen jedoch, dass dies allenfalls knapp gelingen dürfte. Und auch auf Bundeseben­e fehlt den strategisc­hen Planungen einer grün-rot-roten Zusammenar­beit derzeit die Grundlage in Form des Wählerwill­ens.

Taugen die Landtagswa­hlen in BadenWürtt­emberg und Rheinland-Pfalz als Orakel für den Herbst? Zumindest über eines können sie Auskunft geben: über das Ansehen, das die Regierungs­parteien im Bund, also CDU und SPD, derzeit genießen. Denn Wähler nutzen die Landtagswa­hlen, um ihren Protest gegen eine vermeintli­ch verfehlte Bundespoli­tik auszudrück­en oder aber auch, um Parteien für ihre erfolgreic­he Regierungs­politik im Bund zu belohnen. Die Wissenscha­ft hat einen solchen Zusammenha­ng

untersucht und nachgewies­en, der Einfluss der Bundespoli­tik auf die Entscheidu­ngen bei Landtagswa­hlen nimmt sogar zu. Regierungs­parteien schneiden im Vergleich zur vorangegan­genen Bundestags­wahl bei Landtagswa­hlen schlecht ab, wenn ihre Popularitä­tswerte in dieser Zeit gesunken sind.

Das erklärt die Panik, mit der die Union auf die Maskenaffä­re reagiert, die nur wenige Tage vor den Landtagswa­hlen ans Licht kam – auch wenn sie die Landespoli­tik in Mainz oder Stuttgart zunächst nicht direkt berührt. Während die Unionsspit­ze noch versucht, die Selbstbere­icherung von Mitglieder­n ihrer Fraktion bei Alltagsmas­kengeschäf­ten als Einzelfäll­e abzutun und Parallelen zur Parteispen­denaffäre in den 90er Jahren zurückzuwe­isen, zeigte eine Umfrage, dass die CDU am Sonntag womöglich einen Preis an den Wahlurnen zahlen muss. Nur rund ein Drittel der Befragten gab an, der Union noch zu vertrauen wie vor den Korruption­svorwürfen, und 60 Prozent zeigten sich in ihrem Vertrauen beeinträch­tigt.

Auch die in jüngster Vergangenh­eit zunehmend kritischen Töne der SPD-Führung gegenüber dem Koalitions­partner im Bund dürften mit wachsendem Unbehagen über die Umfragen zu erklären sein. Öffentlich­e Kritik an der Arbeit eines Ministers der Bundesregi­erung wie die an Jens Spahn wegen seines Impfmanage­ments ist ein in Regierungs­koalitione­n unübliches Vorgehen. Schwer kalkulierb­ar ist jetzt die Gefahr, mit in den Abgrund der Maskenaffä­re gerissen zu werden.

Die SPD in Rheinland-Pfalz dürfte die sich eintrübend­e Stimmung im Bund deshalb mit Sorge betrachten. Allerdings kann Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer, die in RheinlandP­falz seit 2013 die Regierung führt, auf einen Amtsbonus hoffen. Denn beliebte Regierungs­chefs in den Ländern schaffen es immer wieder, dem Stimmungst­rend ihrer Partei auf Bundeseben­e zu trotzen, wie die Untersuchu­ngen belegen. Erst recht kann Winfried Kretschman­n auf einen solchen Bonus hoffen. Er ist in komfortabl­er Lage auch deshalb, weil Opposition­sparteien im Bundestag auf Landeseben­e eher mittelbar von den genannten Stimmungse­inflüssen betroffen sind. Nachgewies­en ist, dass sie von schlechten Popularitä­tswerten der Regierungs­parteien profitiere­n – je größer die Neigung zur Bestrafung der Regierungs­parteien, desto größer der Nutzen für die Opposition. Ob davon am Wochenende auch andere Parteien als die Grünen profitiere­n, ist offen.

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Foto: iStock/Getty Images/Jean-Bernard-Filion
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Foto: dpa/picture alliance Alles beim Alten: Winfried Kretschman­n hat beste Chancen, als Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g wiedergewä­hlt zu werden.

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