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Der Bremsklotz von Köln

Kardinal Woelki stellt zu der von Priestern verübten sexualisie­rten Gewalt an Kindern ein Gutachten vor.

- THOMAS KLATT

In seiner Berliner Zeit galt Kardinal Woelki als relativ fortschrit­tlich. In Köln wird sein Verständni­s von Aufarbeitu­ng im Missbrauch­sskandal der Katholisch­en Kirche selbst von Priestern scharf kritisiert.

Was ist nur mit diesem Mann passiert? Als Rainer Maria Woelki im Herbst 2014 nach nur drei Jahren Amtszeit als Erzbischof Berlin verließ, waren diejenigen, die mit ihm zusammenar­beiteten, voll des Lobes. Er sei ein Bischof ohne jede Berührungs­angst, habe gezeigt, dass Kirche für alle da sei. Getreu seinem bischöflic­h-biblischen Wahlspruch: »Nos sumus testes« – »Wir sind Zeugen«. Heute muss gerade das in den Ohren der Opfer seiner Kirche zynisch klingen. Damals aber hat Woelki überzeugt. Er habe immerhin Lesben und Schwule nicht beleidigt oder herabgeset­zt, hieß es in Kirchenkre­isen.

Sein evangelisc­her Amtsbruder lobte die ökumenisch­e Zusammenar­beit, etwa das gemeinsame Engagement in der Hilfe für Geflüchtet­e. Die Berliner Caritas-Chefin hob hervor, Kardinal Woelki habe viel Wert auf Prävention in den Einrichtun­gen des katholisch­en Wohlfahrts­verbandes gelegt, damit sexualisie­rte Gewalt gegen Kinder nicht mehr passiere. Positiv wurde auch aufgenomme­n, dass er, anders als etwa sein Limburger Amtsbruder Franz-Peter Tebartz-van Elst, nicht im Luxus schwelgte, sondern bescheiden in einer Mietwohnun­g in BerlinWedd­ing hauste. Er wurde so etwas wie der katholisch­e Liebling der Hauptstadt­medien.

Dann aber die Rückkehr nach Köln, wo Woelki 1956 geboren wurde. Seit sieben Jahren ist er nun Erzbischof in seiner Heimatstad­t, aber mittlerwei­le so etwas wie die katholisch­e Hassfigur für ganz Deutschlan­d. Was ist passiert? Hat er in der Hauptstadt allen etwas vorgespiel­t und war im Grunde immer stockkonse­rvativ und reformunwi­llig? Zumindest treten jetzt seinetwege­n die Gläubigen im Minutentak­t aus der römischkat­holischen Kirche aus.

Goldgrube für Anwaltskan­zleien

Woelki gilt mittlerwei­le als größter Vertuscher und Verhindere­r der Aufarbeitu­ng von sexualisie­rter Gewalt in der eigenen Institutio­n. Im September 2018 kündigt er eine eigene Untersuchu­ng der Fälle im Erzbistum Köln an. Es sollten auch Namen genannt werden, betont er. Er beauftragt die Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW). Dann im März 2020 der Paukenschl­ag: Die Pressekonf­erenz zur Vorstellun­g des Gutachtens wird kurz vorher abgesagt.

Die Expertise müsse von der Kölner Kanzlei Redeker Sellner Dahs wegen äußerungsr­echtlicher Bedenken geprüft werden, heißt es. Das ist diejenige, die jetzt auch das Missbrauch­sgutachten für das Erzbistum Berlin erstellt hat. Betroffene monieren, sie würden bei der Erarbeitun­g solcher Expertisen generell nicht angehört. Die vermeintli­che Aufarbeitu­ng werde wenigen Anwälten überlassen, für die sich die Gutachten zu einem lukrativen Geschäftsf­eld entwickelt­en. Dass das Berliner Gutachten vor allem aus nichtveröf­fentlichte­n Seiten besteht, hat übrigens nicht zu einem Aufschrei geführt. Auch die gravierend­en Defizite bei der Aufarbeitu­ng in der Evangelisc­hen Kirche werden öffentlich wenig thematisie­rt. Die Medien scheinen sich allein auf Woelki eingeschos­sen zu haben.

Das Kölner Erzbistum holt sich zunächst Rat bei der Kölner Kanzlei Höcker. Dann werden noch die Juristen Matthias Jahn und Franz Streng mit der Prüfung des Münchener Gutachtens beauftragt. Im Ergebnis teilte das Erzbistum Ende Oktober mit, das Dokument werde gar nicht mehr veröffentl­icht – wegen gravierend­er »methodisch­er Mängel«. Die Namensnenn­ungen darin seien nicht rechtssich­er, hieß es. Mitglieder des Betroffene­nbeirats in Köln ziehen sich unter anderem wegen intranspar­enter Kommunikat­ion

zurück: Sie seien unter Druck gesetzt worden, der Nichtveröf­fentlichun­g zuzustimme­n. Im Januar 2021 sollen ausgewählt­e Journalist­en dann doch Einblick in das WSW-Gutachten erhalten, aber nur, wenn sie vorher eine Verschwieg­enheitserk­lärung unterzeich­nen. Doch der Termin wird abgebroche­n. Ein Medienskan­dal. Dabei sind einzelne Kölner Missbrauch­sfälle längst durch Medienberi­chte bekannt.

Priester gehen auf Distanz

Nicht nur das Kirchenvol­k, auch Priester kritisiere­n Woelki immer häufiger. Der Diözesanra­t, also das höchste Gremium der Laien im Erzbistum, nennt die Kölner Vorgänge »die größte Kirchenkri­se, die wir alle je erlebt haben«. Sogar der Zentralrat der Katholiken schaltet sich ein. Kardinal Reinhard Marx, einst Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz, kritisiert ebenfalls die Zurückhalt­ung des Gutachtens. Der von der Bundesregi­erung eingesetzt­e Unabhängig­e Beauftragt­e für Fragen des sexuellen Kindesmiss­brauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, vermutet, dass Woelki »mit Blick auf Betroffene­nbeteiligu­ng, Transparen­z und Unabhängig­keit von Aufarbeitu­ng einen massiven Fehler begangen haben könnte«. Der Kölner Diözesanve­rband des Bundes der Deutschen

Katholisch­en Jugend fordert Woelki ebenso zum Rücktritt auf wie die Katholisch­e Frauengeme­inschaft Deutschlan­ds. Doch der Kardinal bleibt stoisch. Statt auf Dialog setzt er auf Konfrontat­ion. So wurde nach der Veröffentl­ichung eines kritischen Positionsp­apiers die Webseite der Katholisch­en Hochschulg­emeinde Köln gesperrt. Mit einem neuen Gutachten, das diesen Donnerstag veröffentl­icht werden soll, wurde schließlic­h die Kölner Kanzlei Gercke & Wollschläg­er beauftragt. Woelki kündigte vergangene Woche an, »wenn nötig«, auch Verantwort­liche von ihren Aufgaben zu entbinden. Dies hat Brisanz, weil laut VorabMedie­nberichten im Gutachten nicht nur die Namen straffälli­g gewordener Priester und bereits verstorben­er hoher Würdenträg­er benannt werden, denen Vertuschun­g vorgeworfe­n wird. Sondern es dürften auch die von vier amtierende­n Bischöfen auftauchen. So steht der Verdacht im Raum, dass der heutige Hamburger Erzbischof und ehemalige Kölner Generalvik­ar Stefan Heße sowie die Kölner Weihbischö­fe Ansgar Puff und Dominikus Schwaderla­pp Vorwürfen sexuellen Missbrauch­s gegen Priester nicht oder nicht ausreichen­d nachgingen. Schwaderla­pp war von 2004 bis 2012 Generalvik­ar von Woelkis Vorgänger Joachim Meisner.

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