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Rücktritte wären das Minimum

Matthias Katsch: Die Kirchen haben bei der Aufarbeitu­ng sexueller Gewalt gegen Kinder versagt

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Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki gilt als Bremser bei der Aufarbeitu­ng der von Priestern begangenen Sexualverb­rechen. Jetzt soll ein Gutachten dazu veröffentl­icht werden. Vertuschun­g könnte darin auch amtierende­n Bischöfen vorgeworfe­n werden, unter ihnen Woelki selbst. Kardinal Rainer Maria Woelki hat wenige Tage vor der Veröffentl­ichung des Gutachtens zu sexueller Gewalt gegen Kinder durch Geistliche im Erzbistum Köln angekündig­t, dort benannte Verantwort­liche für die Vertuschun­g von Verbrechen »wenn nötig« vorläufig von ihren Aufgaben zu entbinden und auch sich selbst zur Dispositio­n gestellt. Könnte der Bremser Woelki damit zum Vorreiter der Aufarbeitu­ng werden?

Wenn er Vorreiter werden wollte, würde er mehr zuhören, bevor er handelt. Es gibt seit Jahren die Forderung nach unabhängig­er Aufarbeitu­ng, und er hat stattdesse­n entschiede­n, mit anwaltlich­en Gutachten zu arbeiten, die er beauftragt. Das erste Gutachten, das vor einem Jahr fertiggest­ellt war, hat er zurückgeha­lten und ein neues in Auftrag gegeben. Aber wenn Woelki jetzt tatsächlic­h Verantwort­liche suspendier­en und selbst seinen Rücktritt anbieten würde, wäre das tatsächlic­h etwas Neues. Aber ein Vorreiter wäre er damit natürlich trotzdem nicht.

Es sollen immerhin öffentlich Namen genannt werden. Was sollte es für die noch lebenden Täter für Konsequenz­en geben?

Wenn es so einfach ist, durch simples Aktenstudi­um innerhalb von nur drei Monaten 200 Täter und 300 Opfer zu ermitteln, dann zeigt das, dass die Kirche die ganze Zeit auf diesen Informatio­nen gesessen und sie einer öffentlich­en Aufarbeitu­ng nicht zugänglich gemacht hat. Mich macht die Vorstellun­g zornig, dass wir als Betroffene elf Jahre nach der Aufdeckung des Missbrauch­sskandals den Herrschaft­en für dieses Vorgehen auch noch auf die Schulter klopfen sollen. Und ich bezweifle natürlich auch diese Zahlen, weil sie nur das widerspieg­eln, was die Institutio­n selbst in ihren Personalak­ten dokumentie­rt hat. Wir kennen aber viele Betroffene, die in diesen Akten nicht auftauchen und sich auch nicht an die Kirche gewandt haben. Wirkliche Aufarbeitu­ng würde bei den Opfern beginnen, würde Menschen einladen zu sprechen, sich mitzuteile­n und nicht nur nach Aktenlage die Dinge beurteilen.

Nach Kirchenrec­ht können Bischöfe nicht entlassen werden, sie können nur freiwillig zurücktret­en. Sehen Sie Ansätze im Strafrecht, wie diese, wenn sie Verbrechen Untergeben­er vertuscht haben, noch zur Verantwort­ung gezogen werden können?

Leider weist unser Strafrecht an dieser Stelle eine Lücke auf. Es ist nicht strafbar, als Vorgesetzt­er Missbrauch in einer Institutio­n zu vertuschen. Das ist in anderen Ländern anders, wo es bereits Verfahren gegen Bischöfe gegeben hat, zum Beispiel in Frankreich. Deutsche Staatsanwa­ltschaften haben es wiederholt abgelehnt, Ermittlung­en gegen Verantwort­liche aufzunehme­n. Deswegen ist es unbedingt notwendig, dass es hier eine Gesetzesre­form gibt, auch wenn das für Vergangene­s nichts mehr ändert. Angesichts dessen erwarten wir wenigstens, dass Männer wie der Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, früher Personalch­ef im Bistum Köln, und andere, deren Namen offenbar im Gutachten stehen, ihre Ämter niederlege­n.

Ein Bündnis von Betroffene­ninitiativ­en fordert in einer im Februar gestartete­n Onlinepeti­tion den Bundestag zum Eingreifen auf. Was erwarten Sie vom Parlament konkret?

Wir haben gesehen, dass die Kirchen, und das betrifft die Evangelisc­he Kirche genauso, zu einer echten Aufarbeitu­ng nicht in der Lage sind. Deshalb erwarten wir, dass der Bundestag diese Dinge nicht mehr nur als Beobachter begleitet, sondern sich aktiv einbringt. Entweder, indem er eine Wahrheitsk­ommission zur Aufarbeitu­ng der Verbrechen als unabhängig­es Gremium außerhalb des Parlaments beruft, oder, indem er selbst eine Enquetekom­mission einsetzt, die die Aufarbeitu­ng in den Bistümern und Landeskirc­hen begleitet.

Die Deutsche Bischofsko­nferenz hat im vergangene­n September beschlosse­n, dass Opfern auf Antrag sogenannte Ausgleichs­zahlungen von bis zu 50 000 Euro gewährt werden sollen. Ist das nicht ein deutlicher Fortschrit­t?

Ja, es ist ein Fortschrit­t, dass man von den symbolisch­en Anerkennun­gszahlunge­n der Vergangenh­eit wegkommt zu Beträgen, die man überhaupt als relevant begreifen kann. Trotzdem sind wir nicht zufrieden damit, dass die Kirche weiterhin von »Anerkennun­g« spricht und nicht von Entschädig­ung. Damit vermeidet sie, Schuld einzuräume­n. Gäbe es dieses Eingeständ­nis, wären die Summen deutlich höher. Und natürlich haben die Betroffene­n dieses Zugeständn­is in zehn Jahren Auseinande­rsetzung mit der Kirche hart erkämpft. Ohne diesen beharrlich­en Druck wären wir immer noch bei symbolisch­en Beträgen von 1000 bis 5000 Euro. Auch da sehe ich ein Versagen der Politik. Angesichts des großen Machtgefäl­les zwischen der Institutio­n Kirche und ihren Opfern

ist sie gefordert, sich klar auf die Seite der Betroffene­n zu stellen und ihnen den Rücken zu stärken.

Sie werden an diesem Donnerstag zusammen mit anderen Aktivisten in Köln sein. Was haben Sie geplant?

Wir wollen klarmachen, dass die Veröffentl­ichung des Gutachtens kein Ersatz für echte, unabhängig­e Aufarbeitu­ng ist. Wir werden auf der Domplatte stehen und unsere Forderunge­n nach Aufarbeitu­ng und Unterstütz­ung durch die Politik unterstrei­chen. Und wir wollen zeigen, dass wir als Betroffene uns immer besser vernetzen und uns gegenseiti­g stärken. Betroffene­ninitiativ­en aus mehreren Bistümern und solche, die in Ordensgeme­inschaften begangene Taten aufarbeite­n, haben sich zu einem Aktionsbün­dnis zusammenge­schlossen.

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Nie wieder still sein: Protest gegen Vertuscher in Köln im Februar mit einem Karnevalsw­agen des Künstlers Jacques Tilly

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