nd.DerTag

Keine Ermittlung­en im Fall Manuel Diogo

Streit um Tod von DDR-Vertragsar­beiter – Staatsanwa­ltschaft geht nicht von Fremdeinwi­rkung aus

- SEBASTIAN BÄHR UND FABIAN HILLEBRAND

Die Linke-Abgeordnet­e Andrea Johlige hatte die Brandenbur­ger Landesregi­erung aufgeforde­rt, den ungeklärte­n Tod eines Mosambikan­ers aus dem Jahr 1986 zu überprüfen. Die Antwort liegt nun vor.

Wie stark war Rassismus in der DDR-Gesellscha­ft verbreitet und welche Ausmaße hatte die rassistisc­he Gewalt? Über diese Fragen wird seit einigen Jahren mehr oder weniger öffentlich gestritten. Zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n, Medienproj­ekte und Politiker fordern mittlerwei­le die Aufklärung ungeklärte­r Todesumstä­nde von ausländisc­hen Vertragsar­beitern (»nd« berichtete).

Ein Fall, der in diesem Zusammenha­ng immer wieder genannt wird, ist der des Mosambikan­ers Manuel Diogo. Dieser wurde im Juni 1986 nahe Borne leblos im Zuggleis aufgefunde­n. Die Sicherheit­sbehörden der DDR sprachen von einem Unfall. Ibraimo Alberto, damaliger Freund und Gruppenlei­ter von Diogo, berichtete jedoch, dass man ihm in der mosambikan­ischen Botschaft eine andere Geschichte erzählt habe. Demnach sei sein Kollege in Wirklichke­it von Neonazis verprügelt und dann aus dem Zug geworfen worden. Die unterschie­dlichen Varianten wurden jeweils von Wissenscha­ftlern und Medien gestützt. Für die These des Unfalls machten sich der Historiker Ulrich van der Heyden sowie die »Berliner Zeitung« stark, für die These des Naziangrif­fs der Historiker Harry Waibel sowie der MDR. In beiden Medien wurde trotz der schwierige­n Rekonstruk­tionslage ausführlic­h über den Fall berichtet.

Nun sei der Fall für sie aber abgeschlos­sen, so die Linke-Politikeri­n Andrea Johlige. Zumindest, »wenn keine weiteren Hinweise auftauchen«.

2020 stellte die Brandenbur­ger Linke-Politikeri­n Andrea Johlige eine Kleine Anfrage an die Landesregi­erung, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Der Fall wurde so erneut untersucht. Nach rund acht Monaten erklärte nun die Staatsanwa­ltschaft Potsdam, dass sie keine strafrecht­lichen Ermittlung­en zum Tod von Diogo aufnehmen wird. Bei der Überprüfun­g des Falls hätten sich weder Anhaltspun­kte für ein Tötungsdel­ikt noch für Manipulati­onen in den Unterlagen ergeben, bestätigte Staatsanwä­ltin Hanna Urban gegenüber »nd«. Man habe die Ermittlung­sakte aus dem Jahr 1986 sowie die Akten der Bundesbeau­ftragten für die Stasi-Unterlagen eingesehen, dazu wurden »Auskunftsp­ersonen« befragt. »Im Ergebnis war nicht von einer todesursäc­hlichen Fremdeinwi­rkung auszugehen, weshalb der Staatsanwa­ltschaft die Aufnahme von Ermittlung­en verwehrt war.« Die Sprecherin wies dennoch darauf hin, dass keine strafrecht­lichen Ermittlung­en geführt wurden, sondern man lediglich geprüft habe, ob die Voraussetz­ungen für die Einleitung eines Ermittlung­sverfahren­s vorliegen.

Die Stellungna­hme der Staatsanwa­ltschaft wird unterschie­dlich aufgenomme­n. Andrea Johlige findet es begrüßensw­ert, dass die Staatsanwa­ltschaft Potsdam den Hinweisen nachgegang­en ist. In anderen Bundesländ­ern sei das bei immer noch ungeklärte­n Todesfälle­n

von Vertragsar­beitern nicht passiert. Ihr Job als Abgeordnet­e sei es, bei solchen Fällen Druck zu machen. Nun sei der Fall für sie aber abgeschlos­sen, so die Linke-Politikeri­n. Zumindest, »wenn keine weiteren Hinweise auftauchen«.

Der MDR kündigte derweil an, die eigenen Produktion­en auf den Prüfstand zu stellen. »Die Staatsanwa­ltschaft Potsdam sieht nach intensiver Überprüfun­g keine Anhaltspun­kte für ein Tötungsdel­ikt im Fall Manuel Diogo«, sagte die MDR-Sprecherin Julia Krittian gegenüber »nd«. Die Programmdi­rektion Leipzig prüfe vor diesem Hintergrun­d die damaligen MDR-Recherchen. »Wir bitten um Verständni­s dafür, dass wir den Sachverhal­t sorgfältig klären wollen, ehe wir uns konkreter äußern«, so die Sprecherin weiter.

Der Historiker Harry Waibel sieht dagegen die Entscheidu­ng der Potsdamer Staatsanwa­ltschaft kritisch. »Es gibt weiterhin ernsthafte Zweifel an der Version ›Unfalltod‹ eines Alkoholisi­erten«, sagte der Forscher gegenüber »nd«. »Wurde mit den ehemaligen drei oder vier Begleitern von Diogo, die im Zug waren, gesprochen?« Bereits damals hätten Transportp­olizei und auch das Ministeriu­m für Staatssich­erheit darauf verzichtet, die Begleiter von Diogo zu befragen, so Waibel. Eine »qualitativ­e Wende« in diesem Fall sei für ihn daran gebunden, ob mögliche Zeugen gehört werden oder nicht. Zudem fragte der Historiker, ob Hinweise auf einen Täter untersucht wurden, die von mehreren Personen aus Bad Belzig geäußert und der Staatsanwa­ltschaft übermittel­t worden wären. »Der vermeintli­che Täter hatte sich insoweit geäußert, dass er 1986 einen Afrikaner aus einem Zug der Deutschen Reichsbahn geworfen habe und dafür mit Freiheitse­ntzug bestraft wurde.« Waibel geht davon aus, dass der vermeintli­che Mord von DDR-Behörden vertuscht worden war.

Von der Staatsanwa­lt hieß es, dass man von der Beantwortu­ng weitergehe­nder Fragen, »insbesonde­re zu einzelnen Auskunftsp­ersonen«, absehe. Die Wahrung des Persönlich­keitsschut­zes und »prüfungsta­ktische Erwägungen« würden dagegen sprechen, so die Behörde. Ob diese Erklärung alle Kritiker der Unfallthes­e zufriedens­tellt und das letzte Wort damit gesprochen ist, scheint ungewiss. Die öffentlich­e Debatte wird womöglich aber vorerst an anderer Stelle weitergehe­n.

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Der Todesfall des Mosambikan­ers Manuel Diogo (links) von 1986 warf viele Fragen auf.

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