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Überwachun­gsstaat auf dem Vormarsch

Die feministis­che Bewegung in Großbritan­nien kann dem Maßnahmenp­aket der Regierung nichts abgewinnen

- CHRISTIAN BUNKE

In Großbritan­nien will die Johnson-Regierung den Protesten gegen geschlecht­sspezifisc­he Gewalt mit einem Maßnahmepa­ket Wind aus den Segeln nehmen.

Seit Tagen protestier­en in London und mehreren anderen Städten Großbritan­niens jeden Abend Tausende Menschen gegen den institutio­nellen Sexismus bei der britischen Polizei. Auslöser war die gewaltsame Beendigung einer Mahnwache im Londoner Park Clapham Common für die von einem Polizisten entführte und ermordete Sarah Everard.

Am Montagaben­d hat Premiermin­ister Boris Johnson nun ein Maßnahmenp­aket verkündet, mit dem die Tory-Regierung die Situation zu beruhigen hofft. Darin verspricht Johnson einen 45 Millionen Pfund schweren Geldtopf für Kommunen zur Verbesseru­ng von Straßenbel­euchtung und die Anbringung von mehr Überwachun­gskameras. Außerdem kündigte der Premier an, das »Project Vigilant« (Projekt Wachsamkei­t) auf das ganze Land auszuweite­n. Im Rahmen dieses Projektes sollen zukünftig Polizistin­nen und Polizisten in Zivil außerhalb und innerhalb von Nachtclubs auf Streife gehen, um »die Sicherheit von Frauen zu gewährleis­ten«, so Johnson in einer Pressemitt­eilung aus der Nr. 10 Downing Street.

Damit nicht genug. Am Dienstag stimmte das britische Unterhaus mit großer Mehrheit für den Entwurf eines neuen Polizei- und Sicherheit­sgesetzes. Auch dieses Gesetz sei Teil der Regierungs­maßnahmen gegen sexualisie­rte Gewalt, hatte Johnson zuvor betont. Unter anderem werden das Strafmaß für schwere Gewaltdeli­kte und sexualisie­rte Übergriffe durch die Novelle heraufgese­tzt.

Die Reaktionen der feministis­chen Bewegung Großbritan­niens auf das vom Premiermin­ister angepriese­ne neue Maßnahmenb­ündel sind allerdings ausschließ­lich negativ. So erklärte eine Sprecherin der Gruppe »Sisters Uncut«: »Die Polizei schützt sich selbst. Die Polizei bringt uns keine Sicherheit. Polizistin­nen und Polizisten in Zivil werden uns nicht schützen. Samstagnac­ht war die Polizei besoffen von Macht. Und jetzt will die Regierung der Polizei noch mehr Macht geben. Wir sagen dazu nein.« Sisters Uncut hat unter anderem die Proteste in London in den vergangene­n Tagen mit organisier­t.

Historisch haben verdeckt ermittelnd­e Polizeibea­mte in Zivil in Großbritan­nien eine alles andere als positive Rolle gespielt.

Derzeit laufen noch immer noch richterlic­h geleitete Untersuchu­ngen im berüchtigt­en »Spycops«-Skandal. Dabei geht es um verdeckte Ermittler, die über Jahre unter Vorspiegel­ung falscher Tatsachen gezielt sexuelle Beziehunge­n mit politische­n Aktivistin­nen und Gewerkscha­fterinnen eingingen, um opposition­elle Bewegungen auszuspähe­n. Dafür wurden teilweise die Identitäte­n verstorben­er Kinder benutzt. Von diesen Praktiken Betroffene sprechen von »Vergewalti­gung durch die Polizei«.

Am Dienstag gab Norman Tebbit, konservati­ver Arbeitsmin­ister unter Margaret Thatcher in den Jahren 1981 bis 1983, im Rahmen einer im Unterhaus abgehalten­en öffentlich­en Anhörung erstmals zu, dass er persönlich über die Ermittlung­en dieser »Spycops« unterricht­et worden war. Ein Ergebnis dieser Unterwande­rung war die Erstellung einer »schwarzen Liste«, was für Tausende Gewerkscha­fterinnen und Gewerkscha­fter de facto Berufsverb­ot bedeutete.

Die jetzige Protestwel­le wird zusätzlich dadurch angeheizt, dass das von Premiermin­ister Johnson für den Kampf gegen sexualisie­rte Gewalt ins Feld geführte neue Sicherheit­sgesetz von einer breiten Front aus der britischen Zivilgesel­lschaft abgelehnt wird. Hunderte Vereinigun­gen, darunter Bürgerrech­tsorganisa­tionen wie »Liberty«, aber auch die meisten großen Gewerkscha­ften Großbritan­niens, lehnen das Sicherheit­sgesetz ab. Dieser Druck führte auch dazu, dass die Labour-Partei am Dienstag gegen das Gesetz stimmte. Eigentlich wollten sich die Sozialdemo­kraten nur enthalten.

Der eigentlich­e Schwerpunk­t des neuen Gesetzes ist eine drastische Einschränk­ung des Demonstrat­ionsrechts. Die Polizei erhält dabei weitreiche­nde Befugnisse für die Auflösung von Demonstrat­ionen, Kundgebung­en und Aktionen des zivilen Ungehorsam­s. Schon Slogans auf Plakaten oder Transparen­ten, die für manche Personen eventuell beleidigen­d wirken könnten, sollen zukünftig dafür ausreichen. Mit dem Schutz von Frauen vor Gewalt hat das alles gar nichts zu tun.

Hunderte Vereinigun­gen, darunter Bürgerrech­tsorganisa­tionen wie »Liberty«, aber auch die meisten großen Gewerkscha­ften Großbritan­niens, lehnen das Sicherheit­sgesetz ab.

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Auch vor dem Gebäude der Londoner Polizeibeh­örde New Scotland Yard wurde nach dem Mord an Sarah Everard demonstrie­rt.

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