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Ikone und Außenseite­r

Das Kölner Museum Ludwig gibt Einblick in bisher verborgene Facetten der Künstler-Ikone Andy Warhol

- GEORG LEISTEN

Das Museum Ludwig in Köln zeigt in einer Ausstellun­g bisher verborgene Facetten von Andy Warhol.

Die Welt kennt ihn nur als Siegertype­n. Glamourös wie seine Bilder, umschwärmt von Filmstars, cool und unnahbar unter silberblon­der Perücke. Er war Fürst des New Yorker Undergroun­ds und berühmtest­er US-Künstler aller Zeiten – doch hinter der schillernd­en Selbstinsz­enierung verbarg sich noch ein zweiter, höchst verletzlic­her Andy Warhol. Einer, der als Homosexuel­ler wie als Sohn slowakisch­er Einwandere­r Ausgrenzun­g und Stigmatisi­erung erfuhr.

Welche Spuren haben die soziokultu­rellen Parameter Queerness und Migrations­hintergrun­d im Werk des Pop-Titanen hinterlass­en? Diese Frage stellt sich das Kölner Museum Ludwig in einer monumental­en Ausstellun­g, die zwar schon lange aufgebaut war, ihre Türen wegen der Pandemie aber erst jetzt öffnete. Mit einem ausführlic­hen Video-Rundgang auf der Homepage haben die Kuratoren zugleich für einen möglichen erneuten Lockdown vorgesorgt.

Aber was lässt sich im Jahr 2021 noch über Warhol hervorhole­n? Cola-Cola-Flaschen oder Marilyn Monroe in Serie sind längst Klassiker an jeder Museumswan­d. Auch in Köln fehlen die beliebten Sixties-Ikonen nicht. Doch der Knüller der Schau sind unbekannte Frühwerke und private Lebensdoku­mente Warhols. Hieraus formiert sich ein ebenso ungewöhnli­ches wie widersprüc­hliches Porträt des Künstlers als integriert­er Außenseite­r. Vor allem die am Rhein gezeigten Männerakte, in denen der Heranwachs­ende seinen erotischen Träumen grafisch klar konturiert­e Gestalt verlieh, blieben den Blicken der Kunstwelt lange vorenthalt­en.

Die Kuratoren führen uns mitten hinein ins Amerika der Nachkriegs­zeit: Trotz des aufkläreri­schen Kinsey-Reports hielten sich moralische Verklemmun­gen hartnäckig, nicht nur in Warhols knochenkon­servativer Heimat, dem Quäker-Staat Pennsylvan­ia. Auch im ultraliber­alen New York – wohin der Künstler 1949 zog – verbreitet­en Medien weiterhin die Informatio­n, Homosexual­ität sei eine »schlimme Krankheit«. Wenn Warhol gern im Habitus der Extravagan­z auftrat, geschah dies nicht aus gewollter Überheblic­hkeit. Es war eher eine Art Schutzpanz­er, wie der Weggefährt­e Bob Colacello vermutet. Exzentrike­r wurden zumindest weniger angefeinde­t als Schwule.

Und dann war da noch der andere Makel. »Hunkie«, das amerikanis­che Schimpfwor­t für Osteuropäe­r, dröhnte Warhol zeitlebens im Kopf nach. 1948 porträtier­te sich der Zwanzigjäh­rige in grob gepinselte­m Expression­ismus beim Nasebohren. Ganz so, als wolle er die Vorurteile gegenüber slawischen Einwandere­rn trotzig überbieten. Schaut her, das bin ich: Ein popelndes Untier aus den Karpaten! Um die geografisc­he Herkunft ein wenig zu verschleie­rn, unterdrück­te der Künstler irgendwann das auslautend­e »a« in seinem Nachnamen Warhola und machte aus Andrew Andy.

Dennoch standen die Chancen, es im sozialdarw­inistische­n Rattenrenn­en nach ganz oben zu schaffen, nicht gut für Warhol. Aber der schüchtern­e Junge hatte früh gelernt, seine Talente gewinnbrin­gend zu nutzen. Das »effeminier­te und kränkliche Kind«, erinnert sich ein Zeitzeuge, habe »die Rowdys in seinem Viertel nur dadurch dazu gebracht, ihn nicht zu verprügeln, dass er ihre Porträts zeichnete«. Ein Grafikstud­ium erwies sich als Karrieresp­rungbrett. Mit Anfang 30 bereits besaß Warhol ein Haus in New York. Weil er nun wusste, wie die Konsumgese­llschaft funktionie­rte, konnte seine Kunst ihr den Spiegel vorhalten. Die Seifenpulv­er-Kisten der »Brillo Boxes«, die knallroten »Campbell’s«-Suppendose­n und alle anderen PopArt-Inkunabeln sind gleichsam die Konsequenz aus dem Werberjob.

Warhols Methode war der Transfer vom Supermarkt ins Museum. Während ein Marcel Duchamp nur einzelne Gebrauchsg­egenstände wie den berühmten Flaschentr­ockner in Objekte für den Kunstmarkt verwandelt­e, ging Warhol einen Schritt weiter: Er erklärte das gesamte Prinzip des kapitalist­ischen Marketings zum kreativen Akt. »Ein gutes Business ist die fasziniere­ndste Kunst überhaupt«, heißt es in »Die Philosophi­e des Andy Warhol«. Seine berühmte Factory, in der schlecht bezahlte Hilfskräft­e die industriel­le Massenprod­uktion der Werke übernahmen, stand Modell für heutige Kunstunter­nehmer wie Jeff Koons oder Damien Hirst. Für Warhol, den Mann, der gern eine Maschine gewesen wäre, gehörte das asexuelle Auftreten dabei zur Geschäftss­trategie.

Körperlich explizite Zeichnunge­n wurden mit dem kommerziel­len Erfolg seltener, zur schwulen Befreiungs­bewegung wahrte der Künstler Distanz. Trotzdem thematisie­rt sein

Oeuvre auch weiterhin queere Identitäte­n: Der Porträtzyk­lus »Ladies and Gentlemen« von 1975 etwa widmet sich Trans-Frauen und Dragqueens mit afro- oder lateinamer­ikanischer Herkunft. Diverse Migranten, doppelte Außenseite­r wie Warhol selbst. Auch Filme und Fotos des Gesamtkuns­twerkers experiment­ierten mit Elementen der Travestie. Eines von Warhols bevorzugte­n Outfits – Lederjacke, Stiefel, Sonnenbril­le – spielte ebenfalls auf einen Dresscode der schwulen Szene an. Doch die Affinität zur Welt der Schönen und Reichen brachte den Künstler in Konflikt mit jenen, die gegen den Vietnamkri­eg und für sexuelle Befreiung auf die Straßen gingen. Im Juni betrat die radikale Feministin Valerie Solanas die Factory und schoss dem Mann, der als Jugendlich­er selbst unter der prüden Spätbürger­lichkeit gelitten hatte, eine Kugel in den Bauch. Warhol überlebte nur knapp.

Der Ansatz der Kölner Präsentati­on hätte Warhol wahrschein­lich nicht gefallen. Lehnte er doch jedes Persönlich­werden, jede Betonung des Subjektive­n im künstleris­chen Ausdruck ab. Aber gerade die biografisc­he Herangehen­sweise schlägt eine Bresche für vernachläs­sigte Perspektiv­en. Warhol war nicht nur der gewiefte Impresario, dem es gelang, die ironische Kritik am universell­en kapitalist­ischen Konsum wieder als künstleris­che Ware in den kapitalist­ischen Kunstmarkt einzuspeis­en. Er war auch ein Brückenbau­er, der queere Ästhetik aus der schummerig­en Subkultur-Nische ins Rampenlich­t des Mainstream­s geholt hat. Nicht zufällig begann um 1970 jene kurze, aber bunte Blütephase der Travestie in der PopMusik. Schrill geschminkt und androgyn gekleidet, sangen Stars wie David Bowie und Brian Eno gegen tradierte Geschlecht­ercodes an. Im engeren oder weiteren Sinne reichen die Netzwerke dieser Glamrock-Götter auf den Meister der hundert Marilyns zurück.

»Andy Warhol now« lautet der Titel der Schau. Sie betreibt Kunstgesch­ichte so, wie man sie stets betreiben sollte: aus den Augen der Gegenwart.

Das Museum Ludwig ist geöffnet, die Ausstellun­g wurde bis 13. Juni verlängert. Online-Rundgang: www.museum-ludwig.de

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Vanitas in Pop-Ästhetik: »Skull« aus dem Jahr 1976
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»Self-Portrait«, 1986

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