nd.DerTag

Erdogans Weg in die Diktatur

Türkischer Präsident will Verbot linker Partei. Betroffene warnen vor Faschismus

- SVENJA HUCK

Berlin. Die linke Partei HDP hat nach dem gegen sie eingebrach­ten Verbotsant­rag die türkische Regierung kritisiert. Das wahre Ziel sei die »Institutio­nalisierun­g des Faschismus« und die Zerstörung der Hoffnung auf Demokratie, sagte der Ko-Vorsitzend­e Mithat Sancar am Donnerstag in Ankara. Die Generalsta­atsanwalts­chaft in Ankara will die zweitgrößt­e Opposition­spartei wegen »Terrorvorw­ürfen« verbieten lassen. Offensicht­lich geht es aber vielmehr darum, dass Staatschef Recep Tayyip Erdogan unbequeme politische Gegner ausschalte­n will. Die Staatsanwa­ltschaft hatte am Mittwoch Klage beim Verfassung­sgericht eingereich­t. Sie wirft der HDP vor, Verbindung­en zur verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK zu unterhalte­n.

Die Staatsanwa­ltschaft verlangte zudem ein Verbot der politische­n Betätigung für mehr als 600 HDP-Politiker. Dem HDP-Abgeordnet­en Ömer Faruk Gergerliog­lu wurde am Mittwoch aufgrund eines rechtskräf­tigen Urteils das Mandat als Abgeordnet­er und damit die Immunität entzogen. Hintergrun­d des Urteils ist ein Tweet von 2016. Der Politiker kritisiert­e, das Urteil sei politisch motiviert; er hat Beschwerde beim Verfassung­sgericht eingereich­t.

Sowohl der unrechtmäß­ige Entzug des Mandats Gergerliog­lus als auch die Klage mit dem Ziel, die Partei zu verbieten, zeige »die Verzweiflu­ng und Hilflosigk­eit« der politische­n Führung in Ankara, sagte der HDP-Politiker Sancar. Mit diesen »Manövern« versuche diese, an der Macht zu bleiben und wende dabei »Diktaturme­thoden« an.

In Washington und Berlin wurde zurückhalt­ende Kritik an der türkischen Politik geübt. Der Sprecher des US-Außenminis­teriums, Ned Price, erklärte: Eine Auflösung der HDP würde den Willen der türkischen Wähler untergrabe­n. Ein Sprecher des Auswärtige­n Amtes in Berlin meinte, dass der Fall der HDP »erhebliche Zweifel an der Verhältnis­mäßigkeit aufweist«.

Mit dem Antrag, die Partei HDP zu verbieten, bewegt sich die Türkei noch weiter in Richtung Autoritari­smus. Auch außerhalb des Landes wird das scharf verurteilt.

Seit Wochen bereits drohte der Parteivors­itzende der rechtsextr­emen MHP, Devlet Bahçeli, mit einem Verbotsver­fahren gegen die linke HDP. Am Mittwoch wurde es eingeleite­t. Oberstaats­anwalt Bekir Şahin hat beim Verfassung­sgericht das Verbot der zweitgrößt­en Opposition­spartei des Landes beantragt, wie die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu meldete. Ein Parteiverb­ot, für das eine Zweidritte­lmehrheit der Richtersti­mmen nötig ist, würde nicht automatisc­h mit der Mandatsent­hebung für die 56 HDP-Abgeordnet­en einhergehe­n. Diese würden als Parteilose nach wie vor im Parlament bleiben oder könnten sich anderen Parteien anschließe­n. In der Anklagesch­rift wird zusätzlich ein politische­s Betätigung­sverbot für über 600 HDPMitglie­der gefordert. Darunter sind auch die aktuellen Vorsitzend­en Pervin Buldan und Mithat Sancar sowie die ehemalige, bereits inhaftiert­e Parteidopp­elspitze Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş. Ebenso fordert die Anklage, das Eigentum der Partei zu beschlagna­hmen.

Vorgeworfe­n werden der HDP »terroristi­sche Aktivitäte­n«, immer wieder wurde sie in der Vergangenh­eit von Seiten der türkischen Regierung als verlängert­er Arm der Kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK bezeichnet. Seitdem die HDP im Juni 2015 erstmals ins türkische Parlament eingezogen ist und damit die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan um ihre Mehrheit brachte, beendete die Regierung den Friedenspr­ozess zwischen der PKK und dem türkischen Staat, in dem die HDP eine zentrale Rolle spielte.

Kemal Kılıçdaroğ­lu, Parteivors­itzender der größten Opposition­spartei CHP, reagierte am Donnerstag auf das Verbotsver­fahren während einer Versammlun­g in Tekirdağ: »Eine Partei, die die Unterstütz­ung des Volkes hat, bleibt am Leben, aber eine Partei, die diese Unterstütz­ung nicht erhält, landet auf dem Müllhaufen der Geschichte. Wir müssen diese Periode der Parteiverb­ote beenden.« Der CHP-Chef bezog sich auch auf das Verbot der eigenen Partei nach dem Putsch von 1980, das zur Enteignung der Parteigebä­ude und –archive führte. Dennoch habe sie den Kampf für Demokratie fortgesetz­t. »Die Demokratie zu verteidige­n bedeutet, Menschenre­chte und Freiheit zu verteidige­n, die Sicherheit des Lebens und des Eigentums zu gewährleis­ten und die Menschen zu respektier­en.«

Wie die Deutsche Welle berichtet, äußerte sich das US-Außenminis­terium bereits in einer Erklärung zum geplanten HDP-Verbot. Ein solches würde »den Willen der türkischen Wähler untergrabe­n und die Demokratie in der Türkei unterminie­ren. Millionen von türkischen Staatsbürg­ern würden dadurch ihre gewählten Repräsenta­nten versagt werden.« Die Reaktion des türkischen Außenminis­teriums folgte umgehend: »Jeder muss die Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichts abwarten. Ein laufendes rechtliche­s Verfahren zu kommentier­en, läuft auf eine Interventi­on in die Justiz hinaus.«

Von Seiten der Bundesregi­erung gibt es bisher keine öffentlich­e Reaktion auf das Verbotsver­fahren. Die Linksparte­i-Abgeordnet­e Ulla Jelpke twitterte: »Jetzt gilt es, Solidaritä­t mit unserer linken Schwesterp­artei HDP zu zeigen! Sechs Millionen Wählerstim­men lassen sich nicht verbieten!« Ihre Fraktionsk­ollegin Sevim Dağdelen verurteilt das Verfahren als »Anschlag auf alle Demokratin­nen und Demokraten in der Türkei«.

»Jetzt gilt es, Solidaritä­t mit unserer linken Schwesterp­artei HDP zu zeigen! Sechs Millionen Wählerstim­men lassen sich nicht verbieten!«

Ulla Jelpke Linke-Bundestags­abgeordnet­e

Das beantragte Parteiverb­ot wurde kurz nach der Aufhebung des Mandats eines weiteren HDP-Abgeordnet­en verkündet. Ömer Faruk Gergerlioğ­lu ist bekannt für sein Eintreten gegen Menschenre­chtsverlet­zungen. Wegen eines Tweets, den er 2016 geteilt hatte, wurde ihm nun Terrorprop­aganda vorgeworfe­n und er zu zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt. Der in Deutschlan­d lebende Journalist Can Dündar bezeichnet­e dies beim WDR als »Putsch« und erinnerte an eine türkische Redensart: »Wenn die Unterdrück­ung wächst, ist das Ende nah.«

Der spanische sozialdemo­kratische EUAbgeordn­ete und Türkei-Berichters­tatter des Parlaments, Nacho Sánchez Amor, verurteilt­e den Mandatsent­zug für Gergerlioğ­lu ebenso wie der deutsche Grüne Sergey Lagodinsky, Vorsitzend­er der Delegation im Gemischten Parlamenta­rischen Ausschuss EU-Türkei. Auf dem nächsten EU-Gipfel am 25. und 26. März geht es auch um das Verhältnis zwischen der Türkei und der EU. Die Unterdrück­ung der Opposition und die Verweigeru­ng der vom Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte angeordnet­en Freilassun­g von Selahattin Demirtaş werfen darauf tiefe Schatten.

 ??  ?? Allgegenwä­rtig: der autokratis­che Staatschef der Türkei Recep Tayyip Erdogan
Allgegenwä­rtig: der autokratis­che Staatschef der Türkei Recep Tayyip Erdogan
 ??  ?? Die HDP ist eine Säule des demokratis­chen Widerstand in der Türkei.
Die HDP ist eine Säule des demokratis­chen Widerstand in der Türkei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany