nd.DerTag

Weggeknüpp­elt und gedemütigt

Der Klimaaktiv­ist Chris T. sagt, er sei von der Polizei im Dannenröde­r Forst misshandel­t worden. Jetzt ermittelt die Staatsanwa­ltschaft

- STEFAN OTTO

Der Polizeiein­satz bei der Räumung des Dannenröde­r Forsts ist umstritten. Während die Polizei selbst von einem kooperativ­en Vorgehen spricht, berichten Augenzeug*innen von teilweise erschrecke­nden Szenen. So auch Chris T.

»Wir sind zu acht auf die Rodungsmas­chine zugelaufen, die auf einem Waldweg stand, und fächerten uns auseinande­r, um von allen Seiten auf das Fahrzeug zu gelangen. Zwei Waldarbeit­er wurden von drei Polizist*innen bewacht«, erinnert sich die Aktivistin Lua. Ich bin links vorbei, eine Polizistin stand vor mir, sie hat den Schlagstoc­k gezogen und auf mich eingeschla­gen.«

Es war Dienstag, der 10. November. Der erste Tag der Räumung des Dannenröde­r Forsts, nachdem die Schneisen für den Autobahnne­ubau im angrenzend­en Herrenwald und im Maulbacher Forst ein paar Kilometer weiter südlich bereits weitgehend geschlagen waren. Nur vereinzelt gab es dort Blockaden, die Polizist*innen aber recht schnell wieder auflösten. Doch im Dannenröde­r Forst, wo die letzten 27 Hektar für den Lückenschl­uss der A49 von Kassel nach Gießen gerodet werden sollten, rechnete die Polizei mit größerem Protest. Schon seit einem Jahr gab es dort Baumhausdö­rfer – mit Hütten, Plattforme­n und Traversen in den Bäumen, welche die Aktivist*innen ständig ausbauten. Wie viele Menschen im Wald waren, konnte die Polizei nur schätzen. Viele Dutzende sicherlich. Niemand wusste so recht, wie eine Räumung dort ablaufen würde. Entspreche­nd angespannt war die Situation.

»Wie die um sich geschlagen haben, da ist es ein Wunder, dass nicht noch mehr passiert ist.«

Sally

Auch Sally war in der Gruppe, die versuchte, den Harvester zu besetzen. Auch sie erzählt, dass die Einsatzkrä­fte überaus brutal vorgegange­n seien. »Mich packte eine Polizistin am Hals und riss mich zu Boden. Dann sah ich, dass Snoopy regungslos auf dem Boden lag. Er lag anfangs auf der Seite.« Snoopy, das war der Waldname von Chris T., auch die Namen von Sally und Lua sind Pseudonyme. Sie wollen alle anonym bleiben; unter den Waldbesetz­er*innen ist das eine verbreitet­e Strategie, weil sie wegen ihres zivilen Ungehorsam­s mit einer Strafverfo­lgung rechnen müssen.

Der Versuch der Fahrzeugbe­setzung war die erste heftige Auseinande­rsetzung bei der Räumung im Dannenröde­r Wald. Sally findet, dass die Polizei überreagie­rt habe und die Brutalität in keinem Verhältnis stehe. »Wir hatten ja keine Böller dabei und waren nicht militant. Wir wollten da einfach nur rauf und die Rodung aufhalten. Wie die um sich geschlagen haben, da ist es ein Wunder, dass nicht noch mehr passiert ist.«

Aussage gegen Aussage

Was an diesem Tag in der Mittagszei­t am nördlichen Rand des Dannenröde­r Waldes tatsächlic­h mit Chris T. geschah, darüber gibt es unterschie­dliche Aussagen: Der Hessische Rundfunk zitierte die Polizei, wonach der 39Jährige beim Versuch, auf die Baumaschin­e zu gelangen, gestürzt sei. Dabei habe er sich am Kopf verletzt. »Das ist eine Falschmeld­ung«, sagt Chris T. Er sei gar nicht bis zur Maschine gekommen. Ein Polizist habe ihn schon einige Meter davor zusammenge­schlagen. Sollte sich seine Aussage bewahrheit­en und seine Kopfverlet­zung tatsächlic­h von einem Schlagstoc­k stammen, dann wäre das ein massiver und womöglich unverhältn­ismäßiger Einsatz von Gewalt, den die Polizei bewusst versucht zu vertuschen.

Weder Sally noch Lua konnten sehen, was genau passiert war. Sie wurden beide ja selbst niedergest­reckt; dass Chris T. aber gestürzt ist und sich selbst dabei verletzt hat, daran glauben sie nicht. »Dann sind auf einmal viele Polizist*innen gekommen und drängten uns von dem Harvester ab«, erinnert sich Sally. »Wir waren etwa 15 bis 20 Meter von Snoopy entfernt und durften nicht zu ihm. Es war auch nicht zu erkennen, wie es ihm geht.« Chris T. selbst kann sich an all das, was nach dem Vorfall geschah, nicht erinnern. »Ich hatte einen kompletten Filmriss«, sagt er.

»Als ein Sanitäter der Polizei kam, war Snoopy ansprechba­r«, erinnert sich Sally. »Er sprach leise und sagte zu uns: ›Ja, das geht schon.‹« Auf einer Trage wurde er zum Krankentra­nsport gebracht. Sally wunderte sich, dass der Wagen an der Straße blieb und ihnen nicht den Feldweg entgegenka­m. Auf einmal bemerkte sie, wie Polizist*innen ihm die Handschuhe ausziehen wollten. Sie vermutet, dass sie schon mit der Personalie­nfeststell­ung beginnen und seinen Fingerabdr­uck nehmen wollten. Die Polizei wirft ihm nämlich vor, bei der Festnahme Widerstand geleistet zu haben. »Ich habe ihnen dann recht deutlich gesagt, dass sie Snoopy in Ruhe lassen sollen, weil er dringend ärztlich versorgt werden musste. Schließlic­h ließen sie von ihm ab.« Dann trennten sich ihre Wege. Sally kam in die Gefangenen­sammelstel­le nach Gießen, Christ T. ins Universitä­tsklinikum nach Marburg.

Streit im Landtag über den Polizeiein­satz

Der Polizeiein­satz rund um die fast einen Monat andauernde Räumung des Dannenröde­r Forsts wird in der hessischen Landespoli­tik sehr unterschie­dlich bewertet. Die SPD-Fraktion im Landtag lobte ausdrückli­ch die Arbeit der Polizei und betonte die Gefährlich­keit des Einsatzes angesichts der radikalisi­erten Waldbesetz­er*innen. Die Polizei selbst erklärte nach Abschluss der Räumung, der Protest habe es auf eine Eskalation angelegt; es sollte zu einem Rodungssto­pp kommen, worauf die Einsatzkrä­fte aber kooperativ reagiert hätten. Dem kann die hessische Linksfrakt­ion, die häufig die Einsätze vor Ort beobachtet­e, nur bedingt zustimmen. Zwar habe die Polizei die Protestier­enden überwiegen­d behutsam aus den Bäumen geholt, aber am Boden sei sie vielfach mit unverhältn­ismäßiger Gewalt vorgegange­n, so ihr Resümee. Die Bilanz der Grünen, die in Hessen zusammen mit den Christdemo­kraten regieren, fällt dagegen deutlich positiver aus. Die Delegierte­n des Parteirats befanden im Dezember mehrheitli­ch, dass die Einsatzkrä­fte größtentei­ls deeskalier­end aufgetrete­n seien und es nur vereinzelt »polizeilic­hes Fehlverhal­ten« gegeben habe, das aufgearbei­tet werden müsse.

Viele Fälle sind es allerdings nicht, in denen die Polizei gegen eigene Kolleg*innen ermittelt. Derzeit sei eine »einstellig­e Zahl an Strafanzei­gen in Bearbeitun­g«, erklärt die Polizei in Mittelhess­en knapp. Doch deutet die Beobachtun­g der Linken darauf hin, dass es eine Dunkelziff­er von strafbarer Polizeigew­alt gibt, bei der bislang noch nicht ermittelt wird.

Ein juristisch­es Nachspiel hat mittlerwei­le das, was Chris T. im Krankenhau­s widerfahre­n ist. »Ich habe im Behandlung­szimmer gesessen und auf die Ergebnisse der Röntgenunt­ersuchung und der Computerto­mografie gewartet.« Damit sollte ausgeschlo­ssen werden, dass sein Handgelenk gebrochen ist und er eine Gehirnblut­ung erlitten hat. »Zwei Beamte waren immer in meiner Nähe«, erinnert er sich. Während er wartete, waren sie aber auf einmal zu sechst, fünf Männer und eine Frau, und forderten ihn auf, seine persönlich­en Daten anzugeben. Als Chris T. sich weigerte, legten sie ihm Handschell­en an und wendeten Schmerzgri­ffe an. Er weiß noch, wie sie ihn verhöhnten. »Einer sagte: ›Schade um die schöne Hose, jetzt ist sie kaputt‹; ein anderer: ›Nun wehr dich doch nicht, das macht doch alles nur schlimmer.‹ Sie machten Fotos von mir und begannen, mich auszuziehe­n. Ich war ihnen komplett ausgeliefe­rt. Als sie mir die Unterhose ausziehen wollen, kamen zwei Krankensch­western herein und schickten sie weg.«

Schutzlos im Krankenhau­s

Eigentlich solle er zur Beobachtun­g zwei Tage im Spital bleiben. Aber er entließ sich selbst und machte sich noch benommen von der Kopfverlet­zung auf den Weg zurück in den Wald. Im Klinikum, das ja eigentlich ein Schutzraum für Verletzte und Erkrankte sein soll, an dem sie versorgt werden und genesen können, fühlte er sich nicht mehr sicher.

Chris T. wirkt gefasst, als er die Geschichte erzählt. »Ich finde, das war nicht nur Zwang, der gegen mich angewendet wurde, sondern das war auch demütigend und übergriffi­g.« Es ist nicht das erste Mal, dass er davon berichtet. »Im Wald habe ich zum Glück Menschen gefunden, mit denen ich darüber reden konnte.«

Rouven Spieler von der Staatsanwa­ltschaft Gießen sagt, der Vorfall sei bekannt, »und es wird bereits ermittelt« wegen Körperverl­etzung im Amt. Möglicherw­eise kommen noch weitere Delikte in Betracht. Noch sei aber nicht klar, was sich dort alles zugetragen habe und wie das rechtlich zu bewerten sei, sagt er. Derzeit sei nur ein Polizeibea­mter als Beschuldig­ter eingetrage­n. Das könne sich aber noch ändern. Die Befragunge­n der Zeug*innen laufen noch, und auch die Einsatzber­ichte müssen ausgewerte­t werden. Spieler rechnet damit, dass sich die Ermittlung­en hinziehen werden.

»Ich finde, das war nicht nur Zwang, der gegen mich angewendet wurde, sondern das war auch demütigend und übergriffi­g.«

Chris T.

Am Abend traf Chris T. wieder im Protestlag­er in Dannenrod ein. »Es hatte sich schon herumgespr­ochen, dass ein Aktivist von der Polizei mit einem Schlagstoc­k verletzt worden sein soll«, erzählt ein ehrenamtli­cher Notfallsan­itäter, der eigentlich als Arzt in einem Krankenhau­s praktizier­t. »Ich kannte Snoopy, und als ich ihn traf, war er sehr ernst. Irgendwas stimmte nicht mit ihm, das wusste ich sofort.« An der linken Schläfe hatte er ein Hämatom und am Handrücken eine blaue Stelle.« Beim Telefonges­präch im Januar kann der Arzt sich nicht mehr genau erinnern, ob es die linke oder rechte Hand war. Wohl aber, dass seine Kopfverlet­zung nicht alltäglich war. »Das war keine Beule, die von einem Sturz stammt, die Stelle wäre dafür untypisch, und es gab auch keine Abschürfun­gen. Das sah ganz nach einem Schlag mit einem Gegenstand aus, der sein Gehirn erschütter­t hat.« Alles deutet also darauf hin, dass er krankenhau­sreif geprügelt wurde und die Aussage der Polizei, er sei gestürzt, nicht stimmt.

Chris T. kurierte seine Verletzung bei der Waldbesetz­ung aus. Er blieb, bis der letzte Baum gerodet war. Dann ging er zurück nach Hamburg, wo er wohnt, legte seinen Waldnamen ab und beschloss, gegen die Gewalt, die er erlitten hat, vorzugehen. Sein Anwalt Nils Spörkel hat mittlerwei­le beim Verwaltung­sgericht Gießen Klage gegen den Polizeiein­satz im Wald und dem Geschehen im Krankenhau­s erhoben. Dass die Staatsanwa­ltschaft von sich aus die Ermittlung­en aufgenomme­n hat, deutet er als hoffnungsv­olles Zeichen.

Die Gemeinscha­ft war prägend

Chris T. blickt jetzt mit etwas Abstand auf eine erlebnisre­iche Zeit im Wald zurück. »Sicherlich hat die Gemeinscha­ft der Besetzung mich nachhaltig geprägt«. Gleichwohl ist er auch enttäuscht darüber, dass der Protest so schnell beendet und der Wald brachial abgeholzt wurde. Der Protest habe nicht ausgereich­t, konstatier­t der Klimaaktiv­ist, der zuvor bei der Bewegung Extinction Rebellion aktiv war. Außerdem betrübt ihn, dass nicht nur er selbst Gewalt erfahren hat, sondern er auch immer und immer wieder Prügelexze­sse gesehen hat. »Wäre das ein Einzelfall, dann würde das nicht an meinen Grundfeste­n rütteln. Aber die Polizeigew­alt im Wald war allgegenwä­rtig«, sagt er, und ihm ist eine Verbitteru­ng anzumerken. Sein Fall könnte einer der wenigen sein, bei denen eine überzogene Gewalt auch für Polizist*innen Konsequenz­en hat. Es wäre eine Demonstrat­ion, dass Recht und Gesetz auch für sie gilt.

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Einsatzkrä­fte holen am 17. November einen Aktivisten im Dannenröde­r Wald vom Baum. Sprecher*innen der Waldbesetz­ung beschwerte­n sich häufig über die Gewaltexze­sse der Polizei.

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