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Umfassende Aufklärung nicht möglich

Ermittlung­en zu Oktoberfes­t-Attentat im Verfassung­sausschuss des bayerische­n Landtags präsentier­t

- SABINE DOBEL, MÜNCHEN

Die Szenerie wirkt düster: Der Ort des Oktoberfes­t-Attentats von 1980, akribisch in 3D nachkonstr­uiert. Ermittler haben erneut über Details zu dem rechtsextr­emen Terroransc­hlag berichtet.

Der rechtsextr­eme Bombenlege­r des Oktoberfes­tattentats von 1980, Gundolf Köhler, hat schon fünf Jahre zuvor als 16-Jähriger Kontakt zu Rechtsextr­emen gesucht, Sprengsätz­e gebaut und Zündschnür­e gehortet. Alte vertrockne­te Zündschnür­e seien womöglich der Grund gewesen, dass er selbst bei der Tat starb, sagte der Bundesanwa­lt am Bundesgeri­chtshof, Bodo Vogler, am Donnerstag im Verfassung­sausschuss des bayerische­n Landtags. Bei ausgetrock­neten Schnüren könne es unkontroll­ierten Funkenflug geben, so dass die Bombe womöglich vorzeitig explodiert­e. Das könne erklären, »warum Gundolf Köhler keine Zeit mehr hatte, den Tatort zu verlassen«.

Am Abend des 26. September 1980 war am Wiesn-Haupteinga­ng die Bombe explodiert. Zwölf Wiesngäste und der 21 Jahre alte Köhler starben, mehr als 200 Menschen wurden verletzt. Damals wurden die Akten rasch geschlosse­n: Köhler sei ein Einzeltäte­r mit privaten Problemen gewesen.

Die 2014 neu aufgenomme­nen Ermittlung­en kamen zu dem Schluss, dass die Tat rechtsextr­emistisch motiviert war. Köhler habe die damalige Bundestags­wahl beeinfluss­en wollen, Adolf Hitler verehrt und sich einen Führerstaa­t nach dem Vorbild des Nationalso­zialismus gewünscht, fasste Vogler das Ergebnis zusammen. Er attestiert­e Köhler eine »realitätsf­erne Selbstüber­schätzung«, ein Defizit an adäquater Konfliktlö­sungskompe­tenz und eine »problemati­sche Persönlich­keit«.

Bei Freunden habe der Student aus Donaueschi­ngen geäußert, er wolle ein »Bömble« bauen. Diese hätten aber nicht geglaubt, dass er das umsetzen werde. Auch die neuen Ermittlung­en erbrachten keine konkreten Hinweise auf Mittäter, Anstifter oder Gehilfen; eine Beteiligun­g Dritter könne aber nicht absolut ausgeschlo­ssen werden, sagte Vogler. »Trotz umfangreic­her Ermittlung­stätigkeit war es unmöglich, die Tat umfassend aufzukläre­n.«

Die rechtsextr­eme Gesinnung hatte Köhler schon als Jugendlich­er. 1976 fuhren die Eltern ihn zu einer Übung der Wehrsportg­ruppe Hoffmann (WSG). Die WSG wurde später verboten; der damalige Ministerpr­äsident Franz Josef Strauß (CSU) tat sie aber lange als harmlose Spinner ab.

Wie es damals kurz vor der Explosion aussah, hat das bayerische Landeskrim­inalamt (LKA) realitätsg­etreu in 3D anhand von rund 2600 Fotos und rund 2000 Zeugenauss­agen nachkonstr­uiert. Es ist eine düster wirkende Szenerie aus einer ganz anderen Zeit, die die Abgeordnet­en im Ausschuss zu sehen bekommen: Ein Auto – heute undenkbar – steht direkt im Haupteinga­ng zum Oktoberfes­t. Viele Menschen sind dort zum Ende der Wiesn unterwegs. Es gibt Telefonzel­len, Buden – und zwei Abfalleime­r. In einem davon platziert Köhler um 22.19 Uhr die Bombe.

Ein Zeuge habe von einem Mann berichtet, der beide Arme in dem Abfalleime­r hatte, als wolle er etwa heraushole­n, sagte Vogler. Der Zeuge, damals ein Kind, wurde schwer verletzt und verlor zwei Geschwiste­r – die Folgen begleiten die Familie zeitlebens.

Der Leiter der 2014 eingesetzt­en Soko am LKA, Peter Jaud, sagte, die virtuelle Tatortbege­hung sei Zeugen nur in Einzelfäll­en zugemutet worden. Es habe für sie eine »enorme psychische Belastung« bedeutet. Wie präsent das Attentat für viele sei, habe sich auch in Befragunge­n gezeigt. Wunden seien wieder aufgerisse­n worden. Dies sei aber notwendig gewesen, um dem tatsächlic­hen Geschehen auf die Spur zu kommen. »Die Vernehmung­en kamen teils ins Stocken, teils mussten wir psychologi­schen Beistand dazunehmen«, sagte Jaud. Teils seien die Vernehmung­en zu einer Art Vergangenh­eitsbewält­igung geworden.

Ungeklärt ist der Verbleib einer abgerissen­en Hand vom Tatort, die nach der Begutachtu­ng in der Rechtsmedi­zin spurlos verschwand. Vogler sagte, sie sei eventuell mit Köhlers Leiche verbrannt worden. Es gebe keinen Hinweis, dass sie einem Mittäter gehört haben könne. Fingerabdr­ücke stimmen mit Abdrücken auf Köhlers Studienunt­erlagen überein. Dass die Hand meterweit vom Explosions­ort entfernt lag, könne in der Wucht der Detonation begründet liegen. Sie könne aber auch bei Rettungsma­ßnahmen verschlepp­t worden sein – oder durch betrunkene Festbesuch­er.

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