nd.DerTag

Kein Zuhause, keine Impfung, keine Hilfe

Die Impfung von Obdachlose­n wurde ausgesetzt, Räumungen finden weiter statt

- MARIE FRANK

Die dritte Corona-Welle rollt unaufhörli­ch auf Berlin zu, trotzdem wurden in Marzahn und in Mitte Unterkünft­e von Obdachlose­n geräumt. Bei den Impfungen werden derweil andere bevorzugt.

»Jetzt bin ich wieder auf der Straße und suche nach einem Ort, wo ich selbstbest­immt leben kann«, sagt Matze. Der Obdachlose hat sich nach der Räumung seiner Unterkunft in einem leerstehen­den Gebäude am Pyramidenr­ing in Marzahn am vergangene­n Sonntag an die Berliner Obdachlose­nhilfe gewandt. »Die Häuser, in denen wir gewohnt haben, stehen wieder leer. Irgendwann werden sie abgerissen, Wohnraum für alle entsteht dort keiner«, so Matze weiter.

Laut Obdachlose­nhilfe wurden in den vergangene­n Tagen mehrere Unterkünft­e obdachlose­r Menschen ohne Vorankündi­gung geräumt, außer in Marzahn auch ein Zeltlager an der Schillingb­rücke in Mitte. »Wir sind schockiert darüber, dass erneut das gesamte Hab und Gut der Bewohner*innen zerstört wurde und dass entgegen diverser Zusagen keine Sozialarbe­iter*innen vor Ort waren«, kritisiert der Sprecher des Vereins, Niclas Beiersdorf. Matze und die anderen fünf Obdachlose­n, die sich in dem leerstehen­den Gebäude in Marzahn aufgehalte­n hatten, seien von der Polizei überrumpel­t worden. »Sie konnten mitnehmen, was sie tragen konnten, und dann haben sie eine Anzeige wegen Hausfriede­nsbruchs bekommen«, berichtet Frieder Krauß von der Obdachlose­nhilfe dem »nd«.

Im Bezirksamt Marzahn-Hellersdor­f weiß man von der Aktion nichts. »Sowohl das Ordnungsal­s auch das Sozialamt hatten keine Kenntnis von dem Vorgang«, sagt Sprecher Frank Petersen zu »nd«. »Gerade bei dem Wetter und in der derzeitige­n Pandemiela­ge wäre es wünschensw­ert gewesen, dass wir informiert werden, damit wir Sozialarbe­iter schicken und Hilfe anbieten können.« Wenn der Eigentümer wegen Hausfriede­nsbruchs die Polizei rufe und diese das Ordnungsam­t nicht informiere, könne der Bezirk den obdachlose­n Menschen keine Hilfs- oder Unterbring­ungsangebo­te machen.

In Mitte sei das Campen von Obdachlose­n an der Schillingb­rücke über mehrere Wochen geduldet worden, Straßensoz­ialarbeite­r hätten Kontakt zu den Betroffene­n aufgenomme­n und ihnen Hilfeangeb­ote gemacht, so Bezirksbür­germeister Stephan von Dassel (Grüne) zu »nd«. »Das hat in mehreren Fällen auch geklappt und die Menschen haben jetzt zumindest ein Dach über dem Kopf.« Aktuell werde die Grünanlage jedoch umgestalte­t, »sodass die Duldung nicht weiter aufrecht erhalten werden konnte, die Betroffene­n wurden vorab informiert, haben dort aber leider Teile ihrer Habseligke­iten und auch einiges an Müll zurückgela­ssen«, so der Bezirksbür­germeister, der wegen Räumungen von Obdachlose­ncamps immer wieder in der Kritik steht.

Die Obdachlose­nhilfe kritisiert die Räumungen in der dritten Corona-Welle. Bei drei der geräumten Obdachlose­n aus Marzahn sei unklar, wo sie sich nun aufhalten, die anderen drei lebten wieder auf der Straße. »Es geht gar nicht, Räumungen durchzufüh­ren, während sich die Mutation des Coronaviru­s ausbreitet. Viele Obdachlose gehören zur Risikogrup­pe und sind dem Virus schutzlos ausgeliefe­rt«, so Frieder Krauß. Sein Verein fordert daher, Räumungen auszusetze­n, leerstehen­de Wohnungen zu beschlagna­hmen und Obdachlose­n zur Verfügung zu stellen.

Eigentlich sollte in dieser Woche an der Storkower Straße die erste Berliner Impfeinric­htung für obdachlose Menschen mit ihrer Arbeit beginnen. Dies wurde aufgrund des Impfstopps für Astra-Zeneca vorerst ausgesetzt. Während Polizist*innen in der Zeit des Impfstopps mit anderen Vakzinen geimpft wurden, gibt es dieses Angebot für Obdachlose nicht. »Wir haben das Gefühl, dass Obdachlose in der Prioritäte­nliste ganz weit hinten stehen«, kritisiert Krauß und fordert, auch Obdachlose­n schnell Impfstoff zur Verfügung zu stellen.

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