Mieter rotieren auf den letzten Drücker
In Gesundbrunnen hoffen Bewohner auf das Vorkaufsrecht – und fordern mehr Unterstützung
Noch ein paar Tage, dann ist klar, ob es beim Vorkaufsrecht für die Bewohner der Soldiner Straße 40 in Gesundbrunnen ein Happy End gibt. Deren Beratern droht finanziell die Puste auszugehen.
Charlotte Herold rotiert seit Wochen. Denn ihr Haus in der Soldiner Straße 40 in Gesundbrunnen, ein schmuckloser Sechsgeschosser aus den 1960er oder 1970er Jahren, soll verkauft werden. Da es im Milieuschutzgebiet, greift das Vorkaufsrecht – wenn sich ein Käufer findet. Die Frist endet am Montag.
Im Januar informierte der Bezirk Mitte die Mieter in einem Schreiben über den Verkauf des Hauses und die Möglichkeit des Vorkaufsrechts. »Viele Mieter haben den Brief erst mal nicht richtig verstanden. Sie dachten, dass die Stadt ankündigt, das Haus zu kaufen«, sagt Herold zu »nd«. Erst in Gesprächen konnte sie ihre Nachbarn – rund 50 Menschen leben dort – über den Irrtum aufklären. Die Studentin wohnt erst seit rund einem Jahr dort. Sie war froh, überhaupt eine Wohnung gefunden zu haben.
Andere leben schon seit über 35 Jahren in dem Haus. »Ein Verkauf an einen privaten Investor kann eine Bedrohung für uns darstellen, die Mieten können erneut steigen, und viele der Menschen aus dem Haus könnten sich das nicht leisten«, heißt es in einer Online-Petition, die sie und einige Mitstreiter eilig aufgesetzt haben. Die Menschen könnten wegen der in den letzten Jahren enorm gestiegenen Mieten nicht einfach in die Umgebung umziehen.
Die Immobilie gehört noch der Covivio, einem der großen Player in Berlin mit über 15 000 Wohnungen. Größter Aktionär ist laut aktuellen Marktinformationen der italienische Multimilliardär Leonardo del Vecchio, der sein Vermögen im Brillengeschäft gemacht hatte. Wer der Käufer sein soll, wissen die Mieter nicht.
Wie üblich haben landeseigene Wohnungsbaugesellschaften geprüft, das Vorkaufsrecht im Auftrag des Bezirks auszuüben. Über die Ergebnisse ist noch nichts bekannt, allerdings sind die Landesunternehmen seit geraumer Zeit sehr zurückhaltend bei Vorkäufen. Sie setzen eher auf den Kauf größerer Bestände, die besser in ihre Verwaltungsstrukturen passen. Vom zuständigen Stadtrat Ephraim Gothe (SPD) gibt es nur eine knappe Bestätigung, dass er den Fall kennt.
»Wir sind auch selbst aktiv geworden und haben Genossenschaften angefragt«, berichtet Herold. Mit unklarer Aussicht. »Leider konnten wir erst sehr spät in den Kampf um die Ausübung des Vorkaufsrechts einsteigen, weil wir erst mal gar nicht richtig wussten, wie wir das anstellen sollen.« Erst Anfang März war das der Fall. Fast anderthalb Monate der sowieso schon sehr knappen Vorkaufsfrist sind also verstrichen, ohne dass die Mieter das Übliche angehen konnten: Klinkenputzen, Appellieren an Politiker, Öffentlichkeitsarbeit. Medien kommen oft auch nicht mehr hinterher angesichts der Vielzahl der Fälle berlinweit. In der Treptower Beermannstraße 6 läuft beispielsweise diesen Freitag die Frist aus. In FriedrichshainKreuzberg hoffen die Mieter der Auerstraße 41-43 auf die Ausübung – hier ist noch bis Mitte April Zeit.
»Richtig gute Unterstützung und Beratung« habe es dann vom Projekt »Häuser bewegen« gegeben. »Wir können uns aber nur ein paar Wochen richtig reinhängen, weil wir Studierende sind«, sagt Herold. Die meisten Nachbarn hätten wegen ihrer Arbeit ganz wenig Zeit. »Es wird sehr viel bei den Mietern abgeladen. Wieso fragt der Bezirk selbst beispielsweise nur landeseigene Wohnungsunternehmen an und nicht auch Genossenschaften?«, will die Studentin wissen.
Doch auch die Berater haben ihre Nöte. »Obwohl es in Mitte einen Haushaltstitel über 48 000 Euro für diese Arbeit gibt, haben wir 2020 nur 17 000 Euro bekommen«, berichtet Sandrine Woinzeck von »Häuser bewegen« dem »nd«. Es sei nicht mal sicher, ob es nicht noch Rückforderungen geben werde. Lange sei unklar gewesen, welche Verwaltungsstelle für die Abrechnung zuständig sei. »Wir haben viel Konzeptarbeit gemacht, die nicht honoriert wurde«, sagt Woinzeck. Gern und regelmäßig verweist Stadtrat Gothe auf die Arbeit des Projekts und die Förderung durch den Bezirk. Gerade habe der Bezirk Lichtenberg angefragt, ob »Häuser bewegen« Mieter unterstützen könne, so Woinzeck. »Wir machen das gerne, aber alles umsonst geht nicht«, sagt die Aktivistin.