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Flucht aus dem Tschad in den Tod

Ein 35-Jähriger hat sich aus Angst vor seiner Abschiebun­g in Eberswalde das Leben genommen

- ANDREAS FRITSCHE

Am Sonntag erinnern zwei Kundgebung­en in Eberswalde­r an einen Geflüchtet­en aus dem Tschad, der in seiner Heimat Schrecklic­hes erdulden musste und in Deutschlan­d keine Perspektiv­e erhielt.

Ein paar Tage bevor sich der 35-jährige Salah Tayyar vor einer Woche in Eberswalde das Leben nahm, hatte er nachts zwischen 3 und 4 Uhr seinen Landsmann Yahya MaymaZaori angerufen. Der sollte schnell alle Freunde zusammentr­ommeln, um mit ihnen zu einer Organisati­on nach Berlin zu fahren, die ihnen hilft, nicht abgeschobe­n zu werden. Tayyar wollte nicht einsehen, dass das nicht geht, mitten in der Nacht. »Da habe ich verstanden: Salah ist nicht normal«, erzählt Mayma-Zaori traurig. Sie kannten sich seit vier Jahren, aber so hatte er den Freund noch nie erlebt. Mayma-Zaori rief eine Beratungss­telle an, wollte Tayyar ins Krankenhau­s bringen oder einen Rettungswa­gen rufen. Doch am Ende kam jede Hilfe zu spät.

Dort, wo der Flüchtling aus dem Tschad wohnte und starb, an der Senftenber­ger Straße 4, soll an diesem Sonntag um 15 Uhr mit einer Kundgebung an ihn erinnert werden. Mayma-Zaori wird hingehen, hat sich von seinem Chef extra frei geben lassen. Eine weitere Kundgebung wird es zuvor um 13 Uhr am Hauptbahnh­of Eberswalde geben. »Ich werde am Sonntag vor Ort sein«, sagt auch Brandenbur­gs Linksfrakt­ionschef Sebastian

Walter. »Es ist ein schrecklic­her Vorfall, den es aufzukläre­n gilt. Ich werde dazu in der kommenden Woche im Plenum den Innenminis­ter befragen.«

Nicht konkret, sondern allgemein fragte die Landtagsab­geordnete Andrea Johlige (Linke) gerade bei Sozialmini­sterin Ursula Nonnemache­r (Grüne) nach, wie viele Suizide und Suizidvers­uche es in den Jahren 2018 bis 2020 in Flüchtling­sunterkünf­ten oder während einer Abschiebun­g gegeben hat. Die Antwort: »Der Landesregi­erung liegen hierzu keine Erkenntnis­se vor.« Die Polizei führe dazu keine Statistik. Johlige sagt: »Wir wissen es nicht, weil es die Regierung nicht interessie­rt.

Yahya Mayma-Zaori

Das halte ich für einen Skandal.«

Dabei geht es auch anders. In SachsenAnh­alt hat die Landtagsab­geordnete Henriette Quade (Linke) vom Innenminis­terium die erbetenen Auskünfte für das Jahr 2020 erhalten – aufgeschlü­sselt nach Orten und Unterkünft­en, mit Datum, Alter, Geschlecht und Herkunft. Demnach versuchten 13 Männer und drei Frauen, unter anderem aus Afghanista­n, Georgien und Irak, sich das Leben zu nehmen, eine 18-Jährige versuchte es im Abstand von einigen Wochen ein zweites

Mal. Zum Glück war kein Toter zu beklagen. Das ist in Brandenbur­g anders. Warum hat sich Salah Tayyar etwas angetan? Für Philipp Grunwald, der ihn im Vorfeld eines für April angesetzte­n Prozesses vor dem Verwaltung­sgericht Frankfurt (Oder) beraten hat, bestehen wenig Zweifel. Es sei die letzte Chance gewesen, die Abschiebun­g vielleicht noch abzuwenden – eine leider sehr geringe Chance, was Tayyar gewusst habe, sagt Grunwald.

Der Statistik des Bundesamts für Migration zufolge, wurden im vergangene­n Jahr nur drei Menschen aus dem Tschad in Deutschlan­d als politische Flüchtling­e anerkannt, bei drei weiteren wurde eine Abschiebun­g untersagt. Insgesamt zählte das Amt 99 Asylanträg­e von Tschaderin­nen und Tschadern. Der afrikanisc­he Staat wird als relativ sicheres Herkunftsl­and eingestuft.

Die Reisewarnu­ngen des Auswärtige­n Amtes sprechen eine andere Sprache. Von Anschlägen der islamistis­chen Terrormili­z Boko Haram ist da die Rede und von Ausschreit­ungen, zu denen es im Vorfeld der Präsidents­chaftswahl am 11. April kommen könnte. Soldaten der Garde von Präsident Idriss Déby sollen Ende Februar bei dem Versuch, das Haus eines Opposition­spolitiker­s zu stürmen, deren Mutter, zwei Kinder und zwei Cousins getötet haben. Dabei galt Déby einst als Hoffnungst­räger für eine demokratis­che Entwicklun­g, nachdem er 1990 Diktator Hissène Habré gestürzt hatte. Doch 1996 schwang er sich zum Alleinherr­scher auf. Die alte Kolonialma­cht Frankreich übersieht das geflissent­lich, da sie Déby und seine Armee im Kampf gegen gemeinsame Feinde gebrauchen kann.

Salah Tayyar war Soldat, berichtet Philipp Grunwald. Als er zu energisch auf den lange vorenthalt­enen Sold pochte, sei er ins Militärgef­ängnis gesteckt und gefoltert worden. Die Foltermeth­oden hat er im Asylverfah­ren geschilder­t. Ohne sie hier im Einzelnen zu schildern: Sie müssen bestialisc­h gewesen sein. Das erzählen zu müssen, kann Menschen noch Jahre danach traumatisi­eren. Aber die Glaubwürdi­gkeit werde daran gemessen, wie detaillier­t der Asylbewerb­er berichtet, so Grunwald. Auch vor dem Verwaltung­sgericht hätte sich Tayyar dem nun nicht entziehen können. Die Angst davor und vor seiner Abschiebun­g hatte ihn offensicht­lich in eine tiefe psychische Krise gestürzt.

Nachdem er bei einer Rebellion aus dem Gefängnis befreit wurde, floh Tayyar nach Libyen, weiter über das Mittelmeer, in die Bundesrepu­blik. Hier lebte er acht Jahre in Unsicherhe­it über seine Zukunft und sah am Ende keinen Ausweg mehr. »Viele stecken in dieser Ungewisshe­it«, sagt sein Landsmann Yahya Mayma-Zaori. »Wir sind alle Salah!« Das ist auch das Motto der Kundgebung am Sonntag. Unter den Aufruf setzte die Bürgerinit­iative »Barnim für alle« extra eine Nummer, unter der Suizidgefä­hrdete Hilfe erhalten, Tel.: (0800) 111 02 22.

»Viele stecken in dieser Ungewisshe­it. Wir sind alle Salah!« Freund von Salah Tayyar

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Die Armee des Tschad kämpft gegen die Terrormili­z Boko Haram – von Reisen in diesen Staat rät das Auswärtige Amt ab, doch in Asylverfah­ren gilt er als sicheres Herkunftsl­and.

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