nd.DerTag

Mutter und Kind

- Die CD der Woche. Weitere Texte unter: nd-online.de/plattenbau BENJAMIN MOLDENHAUE­R

Jonathan Meese hat ein Album gemacht, zusammen mit DJ Hell und seiner Mutter, Brigitte Meese. Was mir an den Sachen des bildenden Künstlers Meese stets gut gefallen hat, war die Verbindung von Martialisc­hem und Kindlichem. Dadurch verlor das Martialisc­he immer wieder seinen martialisc­hen Charakter und wirkte mit einem Mal süß und spielerisc­h. Das Kindliche wiederum bekam, wird es durch das Rollenmode­ll »verrückter Künstler« gechannelt, etwas radikal Narzisstis­ches und Komisches. Rosa Teddybären küssen und auf einer Theaterbüh­ne den Hitlergruß zeigen ist im Schauspiel von Jonathan Meese eventuell wirklich das Gleiche: Es sind Akte, in denen sich eine radikale Unschuld artikulier­en soll und die zeigen, dass die Welt der Erwachsene­n und ihre Geschichte keine Bedeutung haben dürfen für das Feld, das Meese als das Wichtigste und einzig Relevante definiert, die Kunst eben. »Man konnte mich nicht dressieren. Man konnte mir nur Räume geben, die ich fülle«, freute sich Meese kürzlich in einem Podcast. »Fertig.«

Der Versuch, als Künstler Kind bleiben zu dürfen, hat immer wieder etwas Bezaubernd­es. Zum Beispiel die Skulptur, die Meese vor der Alten Nationalga­lerie in Berlin aufgestell­t hat, »Die HumptyDump­ty-Maschine der totalen Zukunft«. »Das Baby-Raumschiff fliegt ohne Rückspiege­l, ohne Reling und ohne Nostalgie nur nach vorne«, sagt Meese, und findet das »toll, toll, toll«. Die Humpty-DumptyMasc­hine ist verschiede­nen Vorbildern aus Kinderbüch­ern nachgebaut und sehr hübsch anzusehen. Ein Flugkampfg­erät, das aussieht, als hätte ein begabter Siebenjähr­iger mit Knete was besonders Krasses bauen wollen – und dann steht es da, und die Eltern gucken und freuen sich darüber, wie das Kind den Raum wieder mal gefüllt hat. Solche Gebilde tun dem öffentlich­en Raum gut.

Im schlimmste­n Fall fabriziert­e Meese als Kunstfigur eine ausdauernd­e Dampfplaud­erei, zusammenge­setzt aus fünf, sechs Ideen und Motiven (radikale Autonomie der Kunst, Herrschaft der Kunst, Kunst als Instinkt und nicht als Kreativitä­t, Kind bleiben, Mutti, irgendwas mit Hitler). Gerade wenn Meese die Räume mit Performanc­e-Aktivitäte­n füllt, stellt sich intensive (und vom Künstler wahrschein­lich intendiert­e) Fremdscham ein.

Fremdscham ist auch der erste Eindruck, der sich beim Hören des Albums »Hab keine Angst, hab keine Angst, ich bin deine Angst« einstellt. DJ Hell fabriziert Techno, der direkt aus den neunziger oder nuller Jahren herübergew­eht kommt. Jonathan Meese trägt Textzeilen vor, zum Beispiel »Mutter Mutter Liebe Liebe Mutter«, während Brigitte Meese den Satz »Das ist der Rhythmus« wiederholt. »Liebe Liebe Liebe/ Schrei nach Liebe/ Schrei mal nach Liebe«. Auch in der Musik bleibt die Zahl der Ideen, mit denen Meese hantiert, übersichtl­ich. Dr. No geistert durch die Texte, ein Track heißt »Kunst ist Chef«, und Mutter ist immer dabei.

»Hab keine Angst, hab keine Angst, ich bin deine Angst« gehört alles in allem sicherlich zum Fürchterli­chsten, was 2021 an Musik bislang erschienen ist. In dieser Hinsicht zumindest ist es dann doch ein fasziniere­ndes Album geworden, dem man sich am besten nähert, wenn man Jonathan Meese und seine Mutter grundsätzl­ich nicht als Künstlerpa­ar, sondern als Komikerduo versteht.

Meese x Hell: »Hab keine Angst, hab keine Angst, ich bin deine Angst« (Buback)

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