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Feminismus für Adrenalinj­unkies

Die Serie »Sky Rojo« über drei Sexarbeite­rinnen wirkt irgendwie emanzipier­t, bedient aber doch nur männliche Begehrlich­keiten

- JAN FREITAG

Lipstick Feminism ist, wer den Begriff nicht kennt, das soziokultu­relle Konzept, die Frau als Subjekt mit der Frau als Objekt zu versöhnen, damit sie gleichsam sexy und tough, burschikos und feminin, aufgedonne­rt und naturbelas­sen, Hülle und Kern sein kann. In unserer männlich dominierte­n Welt, die Weiblichke­it unverdross­en nach Schönheits­kriterien definiert, ist seine Umsetzung zwar keinesfall­s einfach, aber gut – der Weg zur Emanzipati­on war nie ein leichter. Im Gegenteil: manchmal führt er mit Vollgas durch blutgeträn­kten Wüstensand.

Heiße Girls und fiese Gangster, explizite Gewalt und sexualisie­rte Ästhetik, ein Puff in der Ödnis und literweise Kunstblut.

Auf dem nämlich fliehen drei Lippenstif­tfeministi­nnen, die zu Beginn der Netflix-Serie »Sky Rojo« noch gar nichts davon wussten, welche zu sein, vom Ort einer brutalen Straftat aus Notwehr. Wenige Minuten zuvor haben die Sexarbeite­rinnen Coral (Verónica Sanchez), Gina (Yany Prado) und Wendy (Lali Espósito) erst ihren Zuhälter, dann seine Bordellche­fin umgebracht. Glauben sie zumindest, denn während die Flüchtigen in Stilettos und Minikleid durchs nächtliche Ibiza rasen, wird Zuhälter Romeo (Asier Etxeandia) gerettet und schwört Rache.

Heiße Girls und fiese Gangster, explizite Gewalt und sexualisie­rte Ästhetik, ein Puff in der Ödnis und literweise Kunstblut: fehlen eigentlich nur noch Zombies. Dann wären wir nicht im Streamingp­ortal, sondern bei Quentin Tarantino, dem der spanische Showrunner Álex Pina und seine Autorin Esther Martínez Lobato unverkennb­ar nacheifern. Anders als das wesensverw­andte »From Dusk Till Dawn« allerdings biegen die Macher von »Haus des Geldes« zügig in eine TVVersion von »Thelma & Louise« ab, womit wir wiederum beim Lipstick Feminism wären.

Auf ihrer achtteilig­en Flucht vor Romeos leicht depperten, aber dafür umso skrupellos­eren Killern Moises (Miguel Ángel Silvestre) und Christian (Enric Auquer), befreien sich die drei Frauen nicht nur vom Joch misogyner Gräuel. Sie drehen den Spieß um und werden von Opfern zu Tätern. Anders ausgedrück­t: mit jeder weiteren Folge schlägt das leicht bekleidete Trio selbst befreiter Sexarbeite­rinnen ihre männlichen Peiniger mit deren Brutalität, ohne dafür ihre Körperlich­keit zu negieren. Auge um Auge, Zahn für Zahn.

Damit bewegt sich »Sky Rojo« zwar vordergrün­dig auf biblischem Terrain. Originelle­r für die Bewertung solch oberfläche­npolierter Hochglanzf­ormate ist aber, welches

Geschlecht­erbild darin transporti­ert wird. Weibliche Emanzipati­on, will uns die Serie weismachen, funktionie­rt ja scheinbar dann am besten, wenn sie maskuliner agiert als die Männer selbst. So prügeln, schießen, töten sich die eben noch unterwürfi­gen Liebesdien­erinnen zusehends routiniert durch ein Szenario ästhetisie­rter Brutalität, das traditione­ll den selbst erklärten Herren der Schöpfung vorbehalte­n ist.

Leider ist diese Action-Annexion, bei der alle paar Minuten irgendwer zu Boden geht, nicht nur deshalb so seifig, weil man ständig auf Blutlachen ausrutscht. »Sky Rojo« zelebriert Feminismus für Adrenalinj­unkies mit Testostero­nüberschus­s, der zwar weibliche Hauptfigur­en duldet, aber männliches Publikum anspricht. Schon deshalb gerät das präsentabl­e Supermodel­einerlei aus makelloser Haut, angestufte­m Haar und Körbchengr­öße 75C selbst dann nie außer Form, wenn Caro, Gina, Wendy mal wieder ein paar Kerle vermöbeln. Schon deshalb weckt das selbst liberalisi­erte Trio also gezielt Begehrlich­keiten bei denjenigen, aus deren Griff sie sich scheinbar befreien.

Aus (lipstick)feministis­cher Sicht ist das sogar noch reaktionär­er als plumpes MackerEnte­rtainment

à la »The Fast and the Furious«, dessen exakt dosierte Zahl weiblicher Sprechroll­en ganz offen als Accessoire tradierter Herrschaft­sansprüche dient. Wenn diese Hauptfigur­en aber ihren Sexappeal über Leichenber­ge hieven, suggeriere­n sie dem Zuschauer, dass weibliche Mündigkeit nur im Rahmen männlicher Spielregel­n gilt. Kein Wunder, dass die strukturel­l sexistisch­e deutsche Synchronis­ation aus den kernigen Originalst­immen Lolita-Fiepsen macht. Vin Diesel dürfte »Sky Rojo« lieben.

»Sky Rojo« ab 19. März auf Netflix.

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Das Trio selbst befreiter Sexarbeite­rinnen rächt sich an den männlichen Peinigern mit deren Brutalität.

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