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Nicht in Verboten denken

Oliver Ruhnert, Manager des 1. FC Union Berlin, über Fußball und Politik

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Wenn der 1. FC Union Berlin am Sonnabend bei Eintracht Frankfurt antritt, spielt der Siebte beim Vierten. Gemessen am Personalet­at sind das herausrage­nde Platzierun­gen für beide Teams. Treffen die Klubs mit den beiden besten Managern der Liga aufeinande­r?

Bei solch einer Schlussfol­gerung wären wir sogar noch vor der Eintracht (lacht). Spaß beiseite: Wenn die Bundesliga jetzt zu Ende wäre, hätten beide Vereine etwas Sensatione­lles erreicht. Egal ob Fredi Bobic, andere Managerkol­legen oder ich: Jeder hat seine Pläne mit dem Kader. Ob die aufgehen, hängt auch an Trainern und Spielern – und ist auch ein bisschen Glückssach­e.

Sie haben vergangene­n Sommer ablösefrei Max Kruse unter Vertrag genommen. Über ihn hat die Eintracht 2018 auch nachgedach­t, damals standen aber Gehaltsfor­derungen von sechs Millionen Euro im Raum. Man kann davon ausgehen, dass er für nicht annähernd ein solches Salär bei Union spielt, oder?

Solche Größenordn­ungen sind für uns überhaupt nicht darstellba­r. Vielleicht haben wir bei Max einfach die Gunst der Stunde genutzt und waren schon sehr früh dran. Unser Verein ist anders: Vieles bleibt intern, die Stadt Berlin ist spannend. Am Ende hat für uns das Paket gesprochen – und da war nicht der wirtschaft­liche Punkt entscheide­nd. Wir haben gesagt: Wir haben bei dieser Personalie nichts zu verlieren.

Kruse ist ein polarisier­ender Profi. Er nimmt eine Pizza mit zum Fernsehint­erview, streitet mit der Polizei über einen Strafzette­l. Fürchten Sie da nicht manchmal um die vom Klub gelebten Werte?

Wenn mir gewisse Dinge zu viel sind, gehe ich auch mit Max in den Austausch. Er geht offen mit Kritik um und jedes Spiel auch profession­ell an.

Er hat aber wenig Lust auf einen neuen Europapoka­lwettbewer­b. Er sagte wörtlich: »Auf die Europa Conference League habe ich irgendwie keinen Bock. Ich weiß nicht einmal, was das ist.« Wenn Union aber Siebter bliebe, könnte genau das herauskomm­en.

Das ist sicherlich eine Sache, die ihm noch bewusst werden muss und wird. Wenn ein Verein wie der 1. FC Union Berlin mit seinen Möglichkei­ten und seiner Vergangenh­eit einen solchen Platz erreichen kann, ist das für die Menschen hier in Köpenick ein Wahnsinn. Dass wir derzeit siebtbeste Mannschaft in Deutschlan­d sind, ist für viele nicht zu fassen. Man sollte das mehr aus dieser Perspektiv­e betrachten. Ich möchte aber mal betonen, dass der Europapoka­l bei uns nicht wirklich ein Thema ist. Wir treten an den letzten Spieltagen fast ausnahmslo­s gegen vor uns stehende Mannschaft­en an.

Wie sehr erfüllt es Sie mit Stolz, dass Sie im zweiten Bundesliga­jahr bereits 17 Punkte mehr haben als Stadtrival­e Hertha BSC?

Es ist kaum zu glauben, dass wir gerade zwei Punkte hinter Leverkusen oder vier hinter Dortmund stehen. Natürlich ist man stolz darauf, das Saisonziel jetzt fast erreicht zu haben – das hat aber nichts mit Hertha zu tun.

Hat Hertha BSC bei Ihnen mal nachgefrag­t, ob Sie in Charlotten­burg Geschäftsf­ührer Sport werden wollen?

Nee. Das wäre für mich auch gar nicht wichtig, um ehrlich zu sein. Wenn ich in Berlin bin, dann bei Union. Es ist für mich keine Zielsetzun­g, bei der Hertha zu arbeiten.

Für Spieler eine Ablöse zu bezahlen, um Verträge zu brechen, ist im Fußball normal. Entschädig­ungen für Trainer sind auch nicht ungewöhnli­ch. Eintracht Frankfurt verlangt bei einem Wechsel von Manager Bobic fünf Millionen. Finden Sie das angemessen?

Es passiert auch bei Athletiktr­ainern oder Scouts. Es sind nicht so viele Spitzenleu­te auf dem Markt. Wir müssen so ehrlich sein, dass es sich im Fußball um eine Liaison auf Zeit handelt. Ob das gut ist, lasse ich mal offen.

Ihr Verein hat am vergangene­n Wochenende Schnelltes­ts für zutrittsbe­rechtigte Personen durchgefüh­rt. Wie lief das Pilotproje­kt für die baldige Rückkehr von Stadionbes­uchern?

Das war ein Einstieg, die Kultur in Berlin geht den nächsten Schritt und testet an diesem Wochenende für einige Pilotveran­staltungen das Publikum. Unser Pilotproje­kt lief hervorrage­nd, 165 Personen hatten wenige Minuten später das Ergebnis als Mitteilung auf dem Handy. Alle Tests waren negativ und jeder hat pro Person maximal zwei Minuten gedauert. Die Zahl der Stationen kann entspreche­nd ausgeweite­t werden. Denn es ist meine tiefe Überzeugun­g, dass wir mehr in Lösungen und nicht so viel in Verboten denken müssen. Das ist ein Punkt, der mich gerade sehr, sehr stört.

Sie wollen häufiger hören, was geht – und nicht mehr, was nicht geht?

Absolut. Es stört mich einfach, dass wir andauernd so tun, als sei alles alternativ­los. Das ist es nicht! Die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se nach einem Jahr Pandemie für den Sport sind ziemlich eindeutig, dass das Ansteckung­srisiko auf dem Rasen oder auf den Tribünen bei Einhalten des Abstands und Tragen von Masken nahezu nicht gegeben ist. Das gilt auch für andere Bereiche wie die Ausübung des Amateurspo­rts. Ich finde, dass es wirklich höchste Zeit ist, in den Wiedereins­tieg zu gehen. Wir können der Gesellscha­ft dauerhaft nicht das wegnehmen, was sie fürs Miteinande­r braucht.

Sie sind Fraktionsv­orsitzende­r der Linken im Stadtrat von Iserlohn. Die Corona-Politik reißt gerade tiefe Gräben in die Gesellscha­ft. Die Beschneidu­ng der Grundrecht­e zieht sich über Monate hin, gleichzeit­ig steht nicht genügend Impfstoff zur Verfügung. Die Impfungen laufen schleppend. Regt sich bei Ihnen auch Unmut?

Natürlich regt sich da auch bei mir Unmut. Wir werden gerne als die Privilegie­rten bezeichnet, was sicherlich so ist, weil wir im Profifußba­ll den Beruf ausüben dürfen. Aber natürlich nehme ich die Probleme in anderen Berufszwei­gen und in der Gesellscha­ft, in den Schulen wahr. Für mich ist entscheide­nd, dass wir eine Perspektiv­e bekommen.

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