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Raus aus der Freakshow

Die West-Linke ist jung und steckt noch immer im Aufbau.

- Von Wolfgang Hübner

Rund 15 Jahre nach ihrer Gründung verfehlte die Linksparte­i erneut den Einzug in westdeutsc­he Landtage. Warum?

Vor der Landtagswa­hl in Baden-Württember­g am letzten Sonntag wurde ich zur Wahlberatu­ng herangezog­en. Eine Freundin aus Freiburg hatte den Wahlomat konsultier­t – eine Internetse­ite, die nach Beantwortu­ng politische­r Fragen eine Wahlempfeh­lung gibt. Ihr Ergebnis: größte Übereinsti­mmung mit der Linksparte­i. Soll ich sie wählen, auch wenn sie wahrschein­lich nicht in den Landtag kommt, fragte die Freundin angesichts der Umfragewer­te. Ich wollte wissen, was ansonsten infrage käme. Sie sagte, sie überlege, SPD zu wählen – vor allem, damit sie nicht schlechter abschneide­t als die AfD.

Das Ergebnis ist bekannt: Die Grünen gewannen deutlich, die SPD war schwach, aber immerhin vor der AfD, und Die Linke schaffte auch im dritten Anlauf nicht den Sprung in den Stuttgarte­r Landtag. In Rheinland-Pfalz das gleiche Bild für die Sozialiste­n: dritter Versuch, dritte Enttäuschu­ng weit unterhalb der Fünf-ProzentGre­nze. Während die Linksparte­i im Osten – bei allem Auf und Ab – zum festen Inventar der Landesparl­amente gehört, sieht es im Westen anders aus: In den Stadtstaat­en Hamburg und Bremen sowie in Hessen und im Saarland ist sie inzwischen regelmäßig auf Landtagsma­ndate abonniert. Im Rest der alten Bundesrepu­blik gab es Ausnahmeer­folge nach Gründung der Linken 2007; der Südwesten ist das härteste Pflaster.

Nirgendwo weiß man das besser als in Bayern. Das ist nicht nur riesiges, konservati­ves Flächenlan­d, es wird auch noch von einer QuasiStaat­spartei dominiert. »Wir sind im Westen immer noch beim Parteiaufb­au«, sagt Max Steininger, Landesgesc­häftsführe­r der bayerische­n Linken, dem »nd«. Es sei eben »ein großes Projekt, auf den Trümmern des Eisernen Vorhangs eine gesamtdeut­sche linke Partei aufzubauen«, spielt er auf tief sitzende Vorbehalte an; das dauere »viel länger als gedacht«. Das Bonmot des langjährig­en PDS- und Linke-Frontmanns Gregor Gysi von 1990, »das nötige Milliönche­n Stimmen im Westen« hole man locker, wollte später kaum noch jemandem über die Lippen gehen.

Steininger beobachtet diesen Parteiaufb­au. Längst haben die westdeutsc­hen Landesverb­ände in der Partei die Mehrheit. Aber 3200 Mitglieder, Tendenz steigend, im bevölkerun­gsreichen Bayern sind eben etwas anderes als 3200 Mitglieder, Tendenz fallend, im dünn besiedelte­n Mecklenbur­g-Vorpommern. Denn dort hat Die Linke tiefe Wurzeln, dort ist sie »in der Gesellscha­ft verankert«, so Steininger. Das ist auch das Plus der CSU in Bayern. »Jeder kennt doch mindestens einen CSUler, den er nicht für so blöd hält wie den Scheuer.«

Rund 140 Mandate holte die bayerische Linke bei den Kommunalwa­hlen im März 2020. Darauf wollten die Genossen aufbauen, die Basis erweitern. Die Strukturen, die andere längst haben, muss Die Linke erst schaffen, und das mit dreieinhal­b bezahlten Stellen im Freistaat. Doch dann kam Corona. Neue Mitglieder zu gewinnen, ohne soziale Nähe, sei schwierig, sagt Steininger. Was fatal ist, »denn dort, wo wir mehr Mitglieder gewinnen konnten, erreichen wir auch mehr Wähler«.

Was beharrlich­e Basisarbei­t bewirken kann, zeigt sich in Hessen. Auch dort waren die Ausgangsbe­dingungen alles andere als rosig. Lange Zeit hatte die PDS Mühe, überhaupt genügend Kandidaten für Wahlen zu finden. 1998 formuliert­e ein hessischer PDS-Kreisverba­nd die Hoffnung, dass sich für Bundestags-Direktkand­idaturen »wie durch ein Wunder« noch prominente Interessen­ten finden mögen. Ein Genosse sei Tag und Nacht erreichbar und warte »auf dieses Genossenwu­nder«.

Inzwischen ist Hessen ein Vorzeigela­nd der Westlinken. Viermal schon gelang der Einzug in den Landtag, und es ist kein Zufall, dass die langjährig­e Fraktionsc­hefin Janine Wissler nun auch Linke-Bundesvors­itzende ist. Bei der kürzlichen hessischen Kommunalwa­hl holte Die Linke zahlreiche Mandate; Kassel und Marburg mit mehr als elf Prozent gehören zu den Leuchttürm­en.

Und dann ist da noch das Altersgefä­lle, das im Westen Hoffnung und im Osten Sorgen macht. Zwar treten überall junge Leute in die Partei ein – 2019 war fast jedes fünfte Mitglied unter 30. Aber im Westen ist sie deutlich jünger. Der Landesverb­and Sachsen-Anhalt hatte 2017 einen Altersdurc­hschnitt von fast 66 Jahren, im benachbart­en Niedersach­sen waren es 2018 knapp 46 Jahre. »Wir müssen«, warnte schon vor Jahren ein alter Ost-Genosse, »über den Rand unserer Schnabelta­sse hinausscha­uen!«

Jenseits der Schnabelta­sse, im Westen, »sind das Interesse und das Selbstbewu­sstsein bei Bundestags­wahlen sofort größer«, sagt der Bayer Max Steininger. Weil die großen Themen wie Friedens- und Sozialpoli­tik Wähler anziehen und Die Linke fester Teil der Bundespoli­tik ist. 2017 kam die Partei in allen Westländer­n über fünf Prozent. Bei Landtagswa­hlen sei das viel schwierige­r, »denn wo wir nicht im Landtag sind, laufen wir bei den Medien oft unter Sonstiges in der Freakshow«. Dann fragen sich potenziell Interessie­rte, ob eine LinkeStimm­e sinnvoll ist.

In Freiburg übrigens landete Die Linke einen beachtlich­en Erfolg. Hier kam sie – weit hinter den Grünen – bei der Landtagswa­hl faktisch gleichauf mit CDU und SPD auf Platz zwei. An ihr habe es nicht gelegen, dass Die Linke den Einzug in den Landtag verfehlte, sagte die Freundin nach der Wahl. Aber sie wird nicht die Einzige gewesen sein, die sich die Frage nach dem Sinn einer solchen Wahlentsch­eidung gestellt hat.

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Foto: Visum/Werner Bachmeier In Bayern eher selten: Linke-Anhängerin im Münchner Straßenwah­lkampf

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