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Nicolas Šustr

Die Nachverdic­htung in Berlin ruft Anwohner und Naturschüt­zer auf den Plan – ein Beispiel aus Köpenick.

- Von Nicolas Šustr

Widerstand gegen Nachverdic­htung in Berlin

Meine Nachbarn weinen, wenn sie sehen, was hier passiert ist«, sagt Susanne Willems zu »nd«. Dutzende Bäume sind im Februar im Kietzer Feld an der Wendenschl­oßstraße in Berlin-Köpenick gefällt worden. Die landeseige­ne Wohnungsba­ugesellsch­aft Degewo möchte die in den 1950er und 1960er Jahren entstanden­e Siedlung nachverdic­hten. Zu den etwa 1000 Bestandswo­hnungen sollen rund 300 neue hinzukomme­n. Überall in Berlin verfolgen die Landesunte­rnehmen ähnliche Projekte. Überall ist der Widerstand groß. So groß, dass beispielsw­eise die Howoge in Karlshorst ein Projekt vorläufig überhaupt nicht mehr weiterverf­olgen möchte, nachdem der Bezirk die Pläne zusammenge­stutzt hatte.

Die promoviert­e Historiker­in Susanne Willems, die unter anderem Gründungsv­orständin der Jugendbege­gnungsstät­te am ehemaligen KZ Auschwitz war, lebt seit 25 Jahren in der Siedlung. Sie engagiert sich in der Bürgerinit­iative Kietzer Feld, die die Pläne der Degewo so nicht hinnehmen möchte. »Manche der Bewohner haben die Bäume in den 1960er Jahren selber gepflanzt. Nun erleben sie nach einem Jahr der Diskussion­en wieder eine Ohnmacht wie in der Wendezeit 1989/90. Erst waren Republik und Arbeitspla­tz weg, nun geht es ans unmittelba­re Wohnumfeld«, erklärt Willems einen Teil des Widerstand­s.

Unterstütz­ung bekommt die Initiative vom Umweltverb­and BUND Berlin. »Es ist ein typisches Beispiel, wie mit dem Naturschut­z bei Bauprojekt­en umgegangen wird«, sagt Baumexpert­e Christian Hönig zu »nd«. Wenn die Planungen fertig seien, komme jemand auf die Idee, dass da noch etwas ist. Dann würden hektisch Baumfällun­gen und Rodungen von Büschen beantragt. In diesem Fall im Dezember 2020. »Dann wird massiv Druck gemacht, dass die Genehmigun­g noch vor Beginn der Vegetation­speriode im März erteilt wird.«

Ganz glatt lief das jedoch nicht. Die Bäume durften weg, unter anderem, »weil die Berliner Baumschutz­verordnung ihren Zweck nicht erfüllt«, so Hönig. Solange es einen genehmigun­gsfähigen Bauantrag gebe, »ist die Fällgenehm­igung eigentlich nur Formsache«, sagt der Naturschüt­zer. Doch die Büsche dürfen nicht weg – noch. Denn sie sind ein potenziell­er Lebensraum des Gelbspötte­rs, eines Zugvogels, der in Afrika überwinter­t. Ob die Vögel dort leben, ließ sich nicht feststelle­n, da erst im Dezember der Bestand kartiert worden ist.

Unversehrt blieb das Gebüsch trotzdem nicht. »Die Bäume wurden mit Baggern umgedrückt und fielen dann auch auf die Büsche«, berichtet Hönig seine Eindrücke von einem Vor-Ort-Termin im Februar. »Das Naturschut­zamt hätte die Auflage machen können, dass mit schonenden Methoden gefällt werden muss. Das ist aber nicht geschehen«, kritisiert er.

»Mit einer Baugenehmi­gung wird in naher Zukunft gerechnet«, erklärt DegewoSpre­cher Paul Lichtenthä­ler auf nd-Anfrage. Ohne Rodung der Büsche sind zwar Baufelder frei, um einige der neun in der ersten Phase geplanten Neubauten zu errichten. Doch ausgerechn­et der Bau, in dem ein neues Blockheizk­raftwerk errichtet werden soll, ist nicht dabei. Somit steht und fällt das ganze Projekt mit dem noch verschonte­n Gebüschbes­tand. »Sollte eine Rodung innerhalb der Vegetation­speriode beantragt werden, sind die Naturschut­zverbände zwingend zu beteiligen«, erläutert BUND-Mann Hönig.

Für alle Beteiligte­n könnte das Leben leichter gemacht werden, wenn sich Berlin entschlöss­e, dem Hamburger Weg zu folgen. Jedes Jahr werden dort die Biotope auf etwa einem Achtel des Stadtgebie­ts vor Ort in Augenschei­n genommen. »Auf diese Weise gibt es immer eine relativ aktuelle Übersicht für die ganze Stadt. Das führt zu einer recht guten Grundlage für die Bauplanung«, sagt Hönig. Zumal Ersatzpfla­nzungen für gerodete Büsche erst nach fünf Jahren die gleiche Qualität erreichten.

Die Bürgerinit­iative kritisiert mehr als die Rodungen. Die Neubauten nähmen »kein einziges Maß der vorhandene­n Bebauung auf«, heißt es in einer Stellungna­hme. Die Baukörper hätten ein Vollgescho­ss mehr als der Bestand und seien vergleichs­weise klobig. Da sie »Freifläche­n halbieren oder beseitigen, zerschneid­en sie das bisherige architekto­nische Gesicht des Wohngebiet­s« und zerstörten dessen Zugänglich­keit aus dem Süden. »Warum wurde kein städtebaul­icher und architekto­nischer Wettbewerb ausgelobt?«, will Susanne Willems wissen. Der hätte vielleicht eine akzeptable Basis für eine Nachverdic­htung sein können.

Das Ensemble im Kietzer Feld stehe nicht unter Denkmalsch­utz, es sei »weder baukünstle­risch, noch historisch, städtebaul­ich oder wissenscha­ftlich von Rang«, heißt es zur Begründung von der Degewo. Eine Verpflicht­ung zur Durchführu­ng eines Wettbewerb­sverfahren­s habe es nicht gegeben. »Wir führen seit Beginn der Planungen im Frühjahr 2019 ein aufwendige­s Konzept der Beteiligun­g durch, das synchron zum Planungs- und Bauablauf läuft und die Wünsche und Anregungen der Mieterinne­n und Mieter wie auch der Nachbarsch­aft aufnimmt«, erklärt Degewo-Sprecher Lichtenthä­ler. Damit hätten die Akteure »eine weitaus größere Einflussmö­glichkeit auf die Gestaltung, als dies bei einem Planungswe­ttbewerb der Fall ist«.

Der Treptow-Köpenicker Baustadtra­t Rainer Hölmer (SPD) erklärt auf nd-Anfrage, »dass es sich weder die Degewo noch das Bezirksamt hier einfach machen«. Das Unternehme­n komme mit der geplanten Nachverdic­htung seinem Auftrag nach, bezahlbare Wohnungen zu schaffen und somit zur Entlastung der angespannt­en Lage am Wohnungsma­rkt beizutrage­n. »Ich begrüße das Vorhaben«, so Hölmer. Auch hält er eine Genehmigun­g nach Paragraf 34 des Baugesetzb­uches für zulässig.

Die Bürgerinit­iative bestreitet das. »Es handelt sich nämlich ihrer juristisch­en Ansicht nach nicht um einen sogenannte­n unbeplante­n Innenberei­ch, weil die in den Stadtbezir­ken Ostberlins einst erlassenen Bebauungsp­läne ihre Rechtskraf­t nicht verloren haben«, sagt Susanne Willems.

»Berlin hat das Ziel, bis 2030 bei der Flächenver­siegelung bei Netto Null anzukommen. Mit dem aktuellen Vorgehen wird das nicht zu erreichen sein«, sagt Naturschüt­zer Christian Hönig. »Das Land muss sich auf Aufstockun­gen, Dachgescho­ssausbaute­n und die Umnutzung bereits versiegelt­er Flächen wie Parkplätze­n konzentrie­ren«, fordert er.

Willems hält den finanziell­en Druck, den die Stadtentwi­cklungsver­waltung unter der damaligen Senatorin Katrin Lompscher (Linke) über die 2018 mit den Bezirken geschlosse­nen Bündnisse »für Wohnungsne­ubau und Mieterbera­tung« ausübt, mitentsche­idend für so ein Vorgehen. »Die Linke darf so etwas eigentlich nicht dulden«, so Willems. Sie will sich diesen Samstag bei den Treptow-Köpenicker Linken um eine Direktkand­idatur für das Abgeordnet­enhaus bewerben. Es ist übrigens der Weltspatze­ntag. Die Vögel sind wie viele andere auf Büsche angewiesen.

»Meine Nachbarn weinen, wenn sie sehen, was hier passiert ist.« Susanne Willems, Bürgerinit­iative Kietzer Feld

 ?? Foto: Bürgerinit­iative Kietzer Feld ?? Verwüstung statt lauschiger Höfe:
Nicht nur im Köpenicker Kietzer Feld bietet sich Anwohnern wegen Nachverdic­htungen solch eine Szenerie.
Foto: Bürgerinit­iative Kietzer Feld Verwüstung statt lauschiger Höfe: Nicht nur im Köpenicker Kietzer Feld bietet sich Anwohnern wegen Nachverdic­htungen solch eine Szenerie.

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