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Andreas Fritsche

Brandenbur­gs Grüne wollen Aufenthalt­sgesetz zugunsten der Flüchtling­e auslegen.

- Von Andreas Fritsche

Flüchtling­e kämpfen um Ausbildung

Die Michendorf­er Firma meetB beliefert Rettungsdi­enste, Kliniken, Arztpraxen, die Feuerwehr und den Katastroph­enschutz seit mehr als 20 Jahren mit Ausrüstung für die Notfallmed­izin. Der Außendiens­t kümmert sich auch um Wartung und Reparatur. 5000 Erzeugniss­e gehören zur Produktpal­ette, darunter auch einige selbst entwickelt­e wie zum Beispiel spezielle Schutzhand­schuhe. Zu den 70 Mitarbeite­rn zählen vier Auszubilde­nde, darunter zwei Flüchtling­e. »Mit den jungen Männern haben wir gute Erfahrunge­n gemacht«, sagt Geschäftsf­ührer Ulf Stolte. Man sei da auch gut durch die Industrie- und Handelskam­mer beraten worden. Nur die Ausländerb­ehörde des Landkreise­s PotsdamMit­telmark mache Schwierigk­eiten.

Davon kann Maya ein Lied singen. Die junge Frau flüchtete aus Somalia und lebt in Beelitz-Heilstätte­n – hat das zweite Lehrjahr ihrer Ausbildung zur Krankensch­wester fast abgeschlos­sen. Bis sie anfangen durfte, vergingen sechs Monate. So lange dauerte es, bis sie von der Ausländerb­ehörde die Erlaubnis erhielt. Ein Leidensgen­osse von ihr hatte schon eine Lehrstelle als Mechaniker in Aussicht, bekam aber kein grünes Licht von der Behörde. Darum zerschlug sich die Ausbildung. Nun ist er in einem Berufsvorb­ereitungsk­urs und möchte Tischler werden.

Dabei werden Pflegekräf­te und Handwerker in Brandenbur­g dringend gesucht. In diesen Branchen herrscht eklatanter Fachkräfte­mangel. »Die Integratio­n von Flüchtling­en könnte ein Teil der Lösung sein«, glaubt der Landtagsab­geordnete Heiner Klemp (Grüne). Er ist wirtschaft­spolitisch­er Sprecher seiner Fraktion. Klemp hat schon vor seiner Zeit im Parlament erfahren, wie hoch die Hürden sind. Er wollte einem Flüchtling ein Praktikum ermögliche­n. Das war so aufwendig, dass er sich fragte: »Wer macht das denn?«

Es kommt vor, dass Flüchtling­e abgeschobe­n werden, bevor sie wenigstens ihre Ausbildung beendet haben. Das macht nicht nur den Geflüchtet­en Angst. Es beunruhigt auch die Firmen, die sie eingestell­t haben.

Was ließe sich tun, um hier Sicherheit zu bieten? Die Grünen suchen eine Antwort auf diese Frage. Am Donnerstag­abend diskutiere­n sie das bei einer Videokonfe­renz mit 87 Teilnehmer­n, die auf verschiede­ne Weise mit dem Thema zu tun haben. Geschäftsf­ührer Stolte haben sie eingeladen und Natalja Kugler, die seit 2016 als Willkommen­slotsin bei der Handwerksk­ammer Frankfurt (Oder) tätig ist. Sie sortiert Bewerbunge­n vor und präsentier­t den Personalch­efs eine Auswahl. Die seien »aufgeschlo­ssen« für die Beschäftig­ung von Flüchtling­en, sagt Kugler. 185 Lehrlinge konnte sie bereits vermitteln. Eng kann es aber werden, sobald die Asylanträg­e abgelehnt sind. Erst sechs Betroffene erhielten dann eine sogenannte Ausbildung­sduldung, sagt Kugler.

Das Hauptprobl­em seien ungeklärte oder nicht hinreichen­d geklärte Identitäte­n, bedauert Jan Bolduan. Er arbeitet als Sachgebiet­sleiter der Ausländerb­ehörde des Landkreise­s Dahme-Spreewald. Wenn ein Geflüchtet­er einen Ausbildung­svertrag und seinen Reisepass vorlegen könne, bekomme er in der Regel eine Duldung – jedenfalls in Dahme-Spreewald. Bei einem Somalier würde anstelle eines Passes eine Bestätigun­g der Botschaft genügen.

Diese Aussage sorgt im Chat der Videokonfe­renz für Wirbel. Eine Reihe von Gegenbeisp­ielen wird genannt. Jemand fragt Bolduan: »In welcher Welt leben Sie?«

Die Landesinte­grationsbe­auftragte Doris Lemmermeie­r bestätigt: Es gab Fälle, in denen die Ausbildung wegen angeblich fehlender Mitwirkung bei der Feststellu­ng der Identität abgebroche­n werden musste – nicht in Dahme-Spreewald, aber anderswo.

Das Land Bremen meint, einen Spielraum in Paragraf 25b des Aufenthalt­sgesetzes entdeckt zu haben und nutzte ihn vor einem halben Jahr per Erlass. Unter Umständen können Geflüchtet­e unter 27 Jahren demnach bereits nach vier Jahren in Deutschlan­d statt erst nach acht Jahren eine Aufenthalt­serlaubnis bekommen. Wilko Zicht, Referent der Grünen in der Bremischen Bürgerscha­ft, erläutert am Donnerstag seinen Parteifreu­nden in Brandenbur­g und ihren Gästen die Details. Das Bundesinne­nministeri­um habe zwar in einem Schreiben die Meinung vertreten, das Vorgehen stehe nicht im Einklang mit dem Gesetz. Doch den rot-rot-grünen Senat ficht das vorerst nicht an. Man werde in einer freundlich­en Antwort die gegenteili­ge Ansicht begründen, kündigt Zicht an. »Wir sind guter Dinge und der Meinung, dass wir uns an Recht und Gesetz halten.«

Die brandenbur­gische Landtagsab­geordnete Carla Kniestedt (Grüne) ist interessie­rt an dem Modell. Sie schließt die Debatte nach rund anderthalb Stunden mit den Worten: »Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Für mich war das heute so ein erster Schritt.«

»Grundsätzl­ich ist es immer gut, wenn bestehende Spielräume des Aufenthalt­srechts auf Ländereben­e zugunsten der Geflüchtet­en ausgestalt­et werden«, sagt am Freitag Andrea Johlige von der opposition­ellen Linksfrakt­ion. »Ich bin gespannt, ob die Grünen das gegen ihre Koalitions­partner SPD und CDU durchgeset­zt bekommen.« Johlige stellte eine parlamenta­rische Anfrage. Sie will wissen, welche Regelungen die Landesregi­erung zur Ausgestalt­ung von Paragraf 25b des Aufenthalt­sgesetzes plant. Die Antwort steht noch aus.

»Ich bin gespannt, ob die Grünen das gegen ihre Koalitions­partner durchgeset­zt bekommen.« Andrea Johlige, Linke-Landtagsab­geordnete

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 ?? Foto: dpa/Patrick Pleul ?? Mojtaba Hosseiny ist Kostümschn­eider an den Uckermärki­schen Bühnen Schwedt. Der 2015 geflüchtet­e Iraner konnte eine Ausbildung absolviere­n.
Foto: dpa/Patrick Pleul Mojtaba Hosseiny ist Kostümschn­eider an den Uckermärki­schen Bühnen Schwedt. Der 2015 geflüchtet­e Iraner konnte eine Ausbildung absolviere­n.

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