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Aert van Riel

Programmen­twurf der Vorsitzend­en ist Angebot an Unternehme­n.

- Von Aert van Riel

über den Wahlprogra­mm-Entwurf der Grünen

Auf den ersten Blick hat Annalena Baerbock nicht viel mit Ludwig Erhard gemeinsam. Vom CDU-Politiker, der zu Beginn der 1960er Jahre Bundeskanz­ler war, ist das Bild des feisten älteren Herrn im Anzug mit einer Vorliebe für Zigarre in Erinnerung geblieben. Als er 1977 starb, war Baerbock noch nicht geboren. Nun sitzt sie am Freitag mit ihrem Ko-Parteichef Robert Habeck vor Kameras in Berlin, trägt einen roten Pullover und stellt den Programmen­twurf der Grünen für die Bundestags­wahl im Herbst vor. Baerbock zitiert zu Beginn den Titel des Hauptwerks von Erhard. »Wir wollen Wohlstand für alle«, erklärt sie. Dieser solle klimagerec­ht sein.

Vorbild Kretschman­n

Das Zitat signalisie­rt ein Bekenntnis zur sogenannte­n Sozialen Marktwirts­chaft, als deren Begründer Erhard gilt. Die Vorsitzend­en der Grünen sehen Unternehme­n in Klimafrage­n nicht als Gegner, sondern als Partner. In ihrem Programmen­twurf heißt es, dass Klimaneutr­alität »die große Chance für den Industries­tandort Deutschlan­d ist. Grüne Technologi­en aus Deutschlan­d werden weltweit nachgefrag­t.« Die Spitzenpol­itiker der Grünen glauben an die Kräfte des freien Marktes. »Wir sind überzeugt, dass das freie und kreative Handeln, die Dynamik eines fairen Wettbewerb­s, die Stärke von gesellscha­ftlicher Kooperatio­n innovativ Probleme löst«, schreiben sie. Für mittelstän­dische Unternehme­n werden »die Verringeru­ng bürokratis­cher Lasten und eine innovation­sfreundlic­he Steuerpoli­tik« in Aussicht gestellt. Das bedeutet: Steuersenk­ungen.

Die Grünen im Bund nehmen sich offensicht­lich die unternehme­rnahe Politik des badenwürtt­embergisch­en Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n zum Vorbild. Er hatte am vergangene­n Wochenende einen überzeugen­den Sieg bei der Landtagswa­hl eingefahre­n und kann sich nun aussuchen, ob er weiter mit der CDU oder in einem Bündnis mit SPD und FDP regieren wird. Das sind auch im Bund mögliche Optionen – wobei die Grünen nach jetzigem Stand nur in dem genannten Dreierbünd­nis den Kanzler stellen könnten. In Umfragen liegen sie hinter der Union auf dem zweiten Platz. Bei der Pressekonf­erenz betont Habeck, dass »das Programm nicht mit Blick auf Koalitions­gespräche geschriebe­n« worden sei. Allerdings machen sich die Führungsgr­emien der Partei in internen Runden Gedanken über mögliche Bündnisse.

Auch Gespräche über Grün-Rot-Rot sind möglich, wenn die Parteien über eine Mehrheit verfügen sollten. Ein Knackpunkt ist jedoch die Außenpolit­ik. Die Grünen sind laut Programmen­twurf weiter für bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Ausland offen, wenn diese »in ein politische­s Gesamtkonz­ept, basierend auf dem Grundgeset­z und dem Völkerrech­t, eingebette­t sind«. Auch eine Aufrüstung des deutschen Militärs wird an den Grünen wohl nicht scheitern. Ihre Führung spricht sich dafür aus, »die Bundeswehr entspreche­nd ihrem Auftrag und ihren Aufgaben personell und materiell sicher auszustatt­en«. Die Linksfrakt­ion im Bundestag hat dagegen fast alle Militärein­sätze der Bundeswehr geschlosse­n abgelehnt. Allerdings wird in der Linksparte­i derzeit über das Thema Auslandsei­nsätze kontrovers diskutiert.

Für Grüne, die sich als links definieren, hat das Programm ein paar Bonbons. Denn auch ihre Stimmen sind notwendig, wenn das Papier auf einem Parteitag im Juni verabschie­det wird. So soll Hartz IV durch eine sanktionsf­reie Garantiesi­cherung ersetzt werden. Wie hoch diese sein müsste, erfährt man in dem Entwurf nicht. Etwas detaillier­ter beschreibe­n die Grünen ihre Pläne zum »Energiegel­d«. Der in Deutschlan­d geltende neue CO2-Preis soll demnach 2023 auf 60 Euro pro Tonne erhöht werden. Gegenwärti­g liegt er bei 25 Euro. Unternehme­n, die fossile Brennstoff­e nutzen, müssen für ihren Ausstoß den CO2-Preis zahlen. Die Einnahmen wollen die Grünen als »Energiegel­d« an die Bürger zurückgeza­hlt wird.

Etwas höhere Steuern

Das Programm sieht außerdem Investitio­nen in Höhe 50 Milliarden Euro jährlich vor. Sie sollen in schnelles Internet, klimaneutr­ale Infrastruk­turen, E-Ladesäulen, den Ausbau der Bahn, emissionsf­reie Busse und moderne Stadtentwi­cklung fließen. Zusätzlich­e Einnahmen erhoffen sich die Verfasser durch die Bekämpfung von Steuerhint­erziehung und Steuerverm­eidung. Das Steuersyst­em soll leicht verändert werden, etwa durch eine »moderate Erhöhung« des Spitzenste­uersatzes. Dieser soll ab 100 000 Euro Einkommen für Alleinsteh­ende und 200 000 Euro für Paare bei 45 Prozent liegen. Ab einem Einkommen von 250 000 beziehungs­weise 500 000 Euro folgt eine Stufe mit einem Spitzenste­uersatz von 48 Prozent.

Nach Ostern wollen die Grünen entscheide­n, wer Spitzenkan­didat für die Bundestags­wahl wird. Favoritin dürfte Baerbock sein, die intern viel Zuspruch hat. Auch eine Kandidatur von Habeck ist möglich. Aber es würde Fragen aufwerfen, wenn die Partei ein Programm vorlegt, in dem Feminismus und Frauenförd­erung viel Raum einnehmen, und mit einem Mann an der Spitze um den Einzug ins Kanzleramt kämpft.

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Foto: AFP/John MacDougall An der Seite der Unternehme­n in eine klimafreun­dliche Zukunft: Grünen-Doppelspit­ze Robert Habeck und Annalena Baerbock

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