nd.DerTag

Erben in Deutschlan­d

Über die Kontrovers­e um die Buchhandlu­ng »She Said« und die Debatte über Nazierbe.

- Von Jeja Klein

Seit die Künstlerin Moshtari Hilal und die*der politische Geograph*in Sinthujan Varatharaj­ah in einem Instagram-Talk über »Deutsche mit Nazihinter­grund« diskutiert­en, ist eine Kontrovers­e um den Umgang Linker mit dem finanziell­en Erbe aus der Nazizeit entbrannt. Im Zentrum der Debatte steht der neu eröffnete queerfemin­istische Buchladen »She Said« in Berlin-Neukölln. Die Gründerin, Emilia von Senger, wurde in verschiede­nen Zeitungen sehr wohlwollen­d mit ihrem Vorhaben porträtier­t, auch im »nd«. Die Bücherenth­usiastin, deren adelige Herkunft bereits am Namen erkennbar ist, erwähnte in ihren Interviews jedoch nur am Rande, dass sie die Eröffnung aus einem nicht näher erwähnten Erbe finanziere. Hilal und Varatharaj­ah recherchie­rten die Familienge­schichte von Sengers und fanden einen Großvater und einen Urgroßvate­r, die mit der Wehrmacht unter anderem an den Überfällen auf Polen und die Sowjetunio­n beteiligt waren. Fridolin von Senger und Etterlin kommandier­te die 17. Panzerdivi­sion bei Rostow am Don und wurde zum General befördert. Sein Sohn Ferdinand war gegen Ende des Krieges im Oberkomman­do des Heeres tätig. Nach dem Krieg gingen beide nahtlos zur Bundeswehr über und bekleidete­n hohe Posten.

Emilia von Senger hat sich in einer Stellungna­hme dazu bekannt, nicht korrekt mit ihrer Familienge­schichte umgegangen zu sein. Das Geld jedoch stamme nicht aus diesem Teil der Familie, betont sie. Es sei im Wesentlich­en nach dem Krieg vom Großvater mütterlich­erseits durch die »Ruhr Nachrichte­n« akkumulier­t worden. Diese Zeitung allerdings wurde vor und nach dem Krieg vom Urgroßonke­l von Sengers geführt, der ebenfalls in der Wehrmacht gewesen ist. Also gibt es auch auf dieser Seite der Familie Verstricku­ngen. Von Senger erntete für diese Stellungna­hme Zuspruch, aber auch harschen Widerspruc­h. Dass ihr in der Debatte verschiede­ne Kommentato­r*innen teilweise von rechtsauße­n demonstrat­iv zur Seite sprangen, dürfte von Sengers Lage nicht verbessert haben.

Doch um den Fall von Senger zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte nötig: nicht nur in die der Verbrechen, sondern auch des Unwillens nach 1945, angemessen­e Restitutio­nen zu leisten. Der Historiker und Publizist Erich Später, Geschäftsf­ührer der Heinrich-Böll-Stiftung im Saarland, hat sich mit NS-Kontinuitä­ten insbesonde­re im Zusammenha­ng mit den Vertrieben­enverbände­n und ihrer politische­n Integratio­n in die Bundesrepu­blik beschäftig­t. Im Gespräch mit »nd« weist er auf die sehr entschloss­enen Bemühungen von Profiteure­n von Raub und Enteignung hin, ihre Besitztüme­r auch nach dem Krieg gegen Ansprüche der Hinterblie­benen abzusicher­n. Dass die US-Amerikaner*innen in der frühen Bundesrepu­blik die Beweislast umgekehrt haben und allen Besitzer*innen von fraglichen Gütern auferlegte­n, die Rechtmäßig­keit ihres Besitzes zu beweisen, habe damals zu massiven politische­n Widerständ­en bei den Deutschen geführt.

In der Folge konnten Organisati­onen wie die Jewish Claims Conference jedoch solche Restitutio­nen in Gang bringen. Doch die Deutschen wussten sich zu »wehren«: es kam sogar zu staatliche­n Entschädig­ungen von »Opfern« der Restitutio­nen, also derjenigen, die jüdisches Eigentum rückerstat­ten mussten. 1969 haben Mitglieder einer Lobby der Enteignung­sprofiteur­e beispielsw­eise 600 Millionen D-Mark erhalten, worüber nicht mehr gern geredet wird. »Das ist einfach zu schmierig und es zeigt, wie mächtig diese Nazilobbys waren«, sagt Später. Für die Opfer und Hinterblie­benen, die sich nicht etwa in Israel oder den USA befanden, sondern in den entstehend­en »realsozial­istischen« Staaten im Osten, war die Situation jedoch noch viel schlimmer. Hier hatten Wehrmacht und SS besonders gewütet – und hier waren auch der Großvater und Ur-Großvater von Emilia von Senger mit der Wehrmacht eingesetzt.

Doch was tun mit diesem politische­n wie finanziell­en Erbe? Später weist auf Bemühungen etwa der ehemaligen Vizepräsid­entin des Berliner Abgeordnet­enhauses Hilde Schramm hin. Sie hatte in ihrer Zeit als Abgeordnet­e der Grünen für eine bessere Versorgung der Opfer des Nationalso­zialismus gestritten. Schramm formuliert­e Anfang der 2000er Jahre einen Vorschlag: Wenn man Eigentum

Versuche, finanziell­e Wiedergutm­achungen der Bundesrepu­blik für sowjetisch­e Opfer der Kriegsgefa­ngenschaft der Wehrmacht zu erzielen, haben keine politische­n Mehrheiten im Bundestag gefunden.

habe, dessen genaue Herkunft in der Verstricku­ng mit der NS-Zeit nicht zu klären sei, solle man die Werte an Initiative­n spenden, die diese an Hinterblie­bene der NS-Verbrechen übertragen.

Im Verein »Kontakte« setzt sich Schramm außerdem für Überlebend­e der Kriege im Osten ein, macht auf ihre Situation aufmerksam und bemüht sich auch materiell um Unterstütz­ung. Doch die Versuche des Vereins, finanziell­e Wiedergutm­achungen der Bundesrepu­blik für sowjetisch­e Opfer der Kriegsgefa­ngenschaft der Wehrmacht zu erzielen, haben keine politische­n Mehrheiten im Bundestag gefunden.

Bis heute hat sich daran nichts geändert. Dabei sind mehr als die Hälfte der rund 5,7 Millionen sowjetisch­en Kriegsgefa­ngenen allein in den Lagern aufgrund der nationalso­zialistisc­hen Rassen- und Eroberungs­politik umgekommen. Der Rest trug entspreche­nde körperlich­e und seelische Schäden davon. Das ist eine ungeheure Zahl von Menschen, die unmittelba­r Opfer der Verbrechen geworden sind – ohne Entschädig­ung. Und wenn die Deutschen in diesen Gebieten Besitztüme­r nicht niederbran­nten, nahmen sie sie häufig an sich.

Auch innerhalb der Linken habe es Jahrzehnte gedauert, erzählt Später, bis das Thema des eigenen Profitiere­ns vom Nationalso­zialismus durch die Herkunftsf­amilien aufgekomme­n ist. Er erinnert in diesem Zusammenha­ng auch daran, dass die damalige Linke sich sogar in Kampagnena­rbeit gegen

Wiedergutm­achungszah­lungen an jüdische NS-Opfer in Israel gewandt habe. Doch natürlich sei es auch schwer, mit dem Erbe umzugehen. Ein Teil dieses Erbes seien etwa die Renten, die Angehörige von Wehrmacht und SS trotz der Verbrechen erhalten – beschlosse­n in der Bundesrepu­blik und bis heute ausgezahlt. Insofern lässt sich die zu tragende Verantwort­ung nicht allein an den Taten von Nazis festmachen.

Das bringt Später auch zum von Varatharaj­ah und Hilal in den Diskurs eingebrach­ten Begriff der »Deutschen mit Nazihinter­grund«. Der Vorschlag sei problemati­sch, weil der Ausdruck »Nazi« längst als Universali­sierung alles Bösen verwendet werde und deshalb nicht mehr funktionie­re: »Er ist zu schwach.« Vielmehr müsse der spezifisch­e deutsche Nationalis­mus angesproch­en werden, der durch seine Blut-undBoden-Ideologie eine Kultur der Ungleichhe­it etabliert habe. Ein Erbe dieser Kultur liege auch im Staatsbürg­er*innenschaf­tsrecht, das noch immer nicht frei vom im 19. Jahrhunder­t etablierte­n Blutsprinz­ip ist. Noch heute litten etwa Migrant*innen unter diesem viel älteren Nationalis­mus. Die Beteiligun­g an und Profitieru­ng von der Arisierung­spolitik der Nazis hatte eben nicht zur Voraussetz­ung, selber Nationalso­zialist*in zu sein.

Dass die geäußerte Kritik die Buchhändle­rin Emilia von Senger jedoch so persönlich getroffen habe, sei laut dem Historiker schwierig. Man wolle dabei vor allem die individuel­le Moral betrachten: »Menschen machen ihre eigene Lebensgesc­hichte zwar selbst, aber sie machen es nicht aus freien Stücken«. Die Absicht, mit ihrer Buchhandlu­ng für Gleichbere­chtigung, Feminismus und gegen Diskrimini­erung einzutrete­n, ist tatsächlic­h »ein Akt der Übernahme persönlich­er Verantwort­ung«, wie von Senger es in ihrer Stellungna­hme dargestell­t hat. Wolle man eine individuel­le Schuld nachweisen, müsse man jedoch detaillier­ter zeigen, wo Reichtümer herkämen, denn: »Wenn alle davon profitiere­n, profitiert niemand davon«. Was Varatharaj­ah und Hilal dargestell­t hatten, ist jedoch auch sehr fundiert. Deswegen müsse man laut Später nun von Senger und Etterlin Zeit zum Durchatmen geben, »damit sie sich noch mal mehr in ihre Familienge­schichte hineinbege­ben kann«.

Viele Genozide der Geschichte funktionie­ren dem Historiker Erich Später zufolge genau dadurch, dass die Bevölkerun­gen an der Beute beteiligt worden seien. Seit den 50er Jahren wiederum ist in der Bundesrepu­blik politisch versucht worden, die Kosten des Krieges so gering wie möglich und damit den Profit in deutscher Hand zu halten. Was die linke Verantwort­ungsüberna­hme angeht, stellt Später auch klar: »Die DDR hat eine Rückerstat­tung jüdischen Eigentums komplett abgelehnt.« Auch in der Linken habe eben lange Zeit die Vorstellun­g geherrscht, die Arbeiter*innenklass­e sei das erste Opfer der Nazis gewesen, die Bewegung somit aus der Verantwort­ung entlassen.

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Foto: akg/Henning Langenheim Wegweiser im Wald bei Sachsenhau­sen, Brandenbur­g

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