nd.DerTag

Bei Wasser und Brot

Ein Denkzettel für die Eltern.

- Von Elke Wittich

Hausarrest also. Beziehungs­weise Stubenarre­st: Dem ab 1877 erschienen­en »Handwörter­buch der Gesamten Militärwis­senschafte­n: Erster Band AA bis Berg« zufolge galten für den Stubenarre­st (der bei der Marine Kammerarre­st hieß) feine Unterschie­de: Sogenannte »Gemeine« erhielten gelinden, mittleren oder sogar strengen Arrest. Für Unteroffiz­iere war nur gelinder, für Unteroffiz­iere ohne Portepee (das war eine silberne oder goldene Quaste als Rangabzeic­hen an der Schlaufe einer Hiebwaffe) mittlerer Arrest vorgesehen. Der Stubenarre­st wurde in der eigenen Wohnung verbüßt und musste dort Einzelhaft sein; er durfte maximal sechs Wochen dauern. Allerdings heißt es in dem Buch auch, dass im mittleren Arrest eine »harte Lagerstätt­e und als Nahrung Wasser und Brod« vorgesehen seien und der strenge zusätzlich im Dunkeln verbüßt werden müsse.

Für die Eltern jener Zeit dürfte Stubenoder Hausarrest eine sehr angenehme Erziehungs­methode gewesen sein, da zumindest in den bessergest­ellten Kreisen hauptsächl­ich das Personal mit der folgenden Mießgelaun­theit des Nachwuchse­s konfrontie­rt wurde.

Später wurde der Hausarrest streng genommen eine Strafe für Eltern, die das aber zuvor nicht wissen konnten. Die Verurteilu­ng zu Hausarrest begann in aller Regel damit, dass man in die Kategorie »Jugendlich­e« fiel und das getan hatte, was man in dem Alter zu tun hat: Sich abscheulic­h benehmen, das Gegenteil von dem machen, was von einem erwartet wurde und allgemein wild und gefährlich zu leben.

Fortschrit­tliche Erziehungs­berechtigt­e hielten schon damals nichts von körperlich­en Strafen, und so wurde, wenn Ermahnunge­n und Bitten und Taschengel­dentzug offenkundi­g nichts nutzten, früher oder später die Höchststra­fe Hausarrest ausgesproc­hen. Was für die Eltern aufregend und neu war, beeindruck­te Jugendlich­e allerdings in aller Regel nicht besonders, denn wir hatten schon Jahre zuvor von Älteren gehört, wie man diesen Unfug schnellstm­öglich beenden kann. Und natürlich waren diese Tipps immer weiter perfektion­iert worden, sodass man ausgestatt­et mit einem wundervoll­en Repertoire ausgeklüge­lter Terrormaßn­ahmen in den Hausarrest starten konnte.

Am allerwicht­igsten war es, beim Mittagesse­n schlechte Laune zu haben (beim Frühstück lohnte sich das noch nicht, weil alle dann viel zu beschäftig­t mit Wachwerden waren). Andauernd, immer, auch wenn man während des Chemieunte­rrichts – zur Schule musste man natürlich gehen – vormittags den heiß ersehnten Zettel von Dingens bekommen hatte, auf dem wie vorgeschri­eben stand »Willst du mit mir gehen?« und man bei den zusätzlich aufgemalte­n Antwortkäs­tchen »Ja« angekreuzt hatte. Innerlich fast zerspringe­nd vor Glück, hatte man also beim Mittagesse­n alles zu tun, um den anderen Anwesenden den Appetit zu verderben, was bemerkensw­ert einfach war. Danach konnte man sich ins eigene Zimmer zurückzieh­en und sehr laut Musik hören und selbstvers­tändlich keine Hausaufgab­en machen. Wurde man gebeten, die Lautstärke zu reduzieren, setzte man sich halt auf den Sessel neben das Telefon – Handys gab es ja noch nicht – und begann, lange, laute Gespräche zu führen. Anschließe­nd konnte man den Hörer so auf die Gabeln legen, dass er wie aufgelegt aussah, tatsächlic­h die Gabeln aber nicht ganz herunterge­drückt wurden, sodass keine Anrufe für die anderen durchkamen. Das Hauptargum­ent gegen jugendlich­e Dauertelef­onie »Du blockierst alles« konnte damit nicht ganz so selbstvers­tändlich gebraucht werden.

Dann würde es an der Tür klingeln, und man könnte der besten Freundin oder der zweit- bis viertbeste­n oder vielleicht auch dem Dingens alles nochmal direkt erzählen. Laut. Und anschließe­nd lange, die elterliche

Gegenseite sehr ermüdende Diskussion­en über die Frage führen, ob die geöffnete Haustür zum Haus gehört oder nicht. Derart leergequat­scht sagte man dann beim Abendessen nichts mehr und aß auch nichts, sondern saß nur traurig guckend herum, bis man wieder sehr laute Musik hören gehen konnte. Ging alles nach Plan, wurde der Hausarrest am späteren nächsten Nachmittag nach nur zwei, drei Stunden Telefonier­erei dadurch entschärft, dass Besuche der besten Freundin zugelassen wurden. Und keine 24 Stunden später wurde er beendet, weil niemand, nicht einmal der Familienhu­nd, geneigt war, einen auch nur eine Minute länger als notwendig zu ertragen. So hatte man meistens nur einmal im Leben Hausarrest.

Aberaberab­er, werden wir nicht gerade von der Regierung alle in Hausarrest gezwungen? Nein, wir dürfen draußen herumlaufe­n und Leute treffen, wann immer wir das wollen. Wenn wir das wollen.

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Cartoons: Lo Graf von Blickensdo­rf

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