nd.DerTag

Soße à la mode asiatique

Wider den Grusel aus der Kindheit.

- Von Mark-Stefan Tietze

Ich habe nie Hausarrest gehabt und wusste früher auch gar nicht genau, was das ist. Ein paar meiner Freundinne­n und Freunde bekamen gelegentli­ch von ihren Eltern Hausarrest »verordnet« oder »auferlegt« – oder wie sagt man? Ich habe mich jedenfalls, wenn sie abgeklärt davon sprachen, sie hätten vergangene­n Mittwoch wegen Hausarrest­s nicht zum Spielplatz kommen können, außerorden­tlich gegruselt. Bei uns, in unserem sozialdemo­kratischen Hauptschul­lehrerhaus­halt, gab es so etwas Rückständi­ges nicht. Ich hatte jedoch eine vage Horrorvisi­on: totale Erstarrung von Zeit und Raum. Der Verlust von allem, was das Leben ausmacht (rausgehen, mit anderen spielen). Aber ich habe nie nachgefrag­t und wollte darüber lieber nichts Genaueres wissen; genau wie bei meiner kleinen Freundin Christine, wenn sie in gespielter Gleichgült­igkeit erzählte, sie wäre soeben von ihrer Mutter, einer riesigen, korpulente­n Frau mit Schürze, mit dem Kochlöffel geschlagen worden.

Während ich dies schreibe, köchelt hinter mir auf dem Herd ein Rinderbrat­en von 700 Gramm Gewicht. Zwei Stunden Kochzeit hat er schon hinter sich; im Laufe der nächsten Stunde werde ich wohl mal hineinpiek­sen, um zu sehen, ob er für meine Ansprüche schon mürbe und faserig genug geworden ist. Im Prinzip ist es Wahnsinn, eine solche Aktion in einem Ein-PersonenHa­ushalt zu veranstalt­en, aber in der Pandemie

hat man ja Zeit für stundenlan­ge Experiment­e, gerade sonntags. Da ich noch ein bisschen Platz im Gefrierfac­h habe und über genügend Behältniss­e verfüge, braucht mir auch nicht langweilig zu werden mit meinem monströs großen Rinderbrat­en. Drei bis vier Mahlzeiten kriege ich da spielend raus.

Langsam stellt sich allerdings die Frage, wie genau ich nun mit der Soße weiterarbe­iten soll. Ich hatte mich bereits für Basmatirei­s als Beilage entschiede­n, die Möhrensche­iben werde ich in wenigen Minuten in die köchelnde Flüssigkei­t geben. Aber soll ich in den köstlichen Sud noch Sahne reinkippen? Eigentlich hatte ich die Soßengrund­lage so angelegt, dass ich darauf jetzt sogar verzichten könnte. Der beigegeben­e Ingwer und die typische Beilage lassen das Gericht auf denkbar geeignete Weise als quasiasiat­isch erscheinen, zumal ich nach dem Anbraten des Fleischs mit kleingesch­nittenen Zwiebeln und Knoblauch nicht gegeizt habe. Ich könnte also noch ein paar Spritzer Sojasoße hinzufügen sowie den restlichen Chicorée von Dienstag grob schnibbeln und in letzter Sekunde reinwerfen, damit ich so ein Mundgefühl von teils knackigen, teils zerkochten Asia-Gemüsen in dunkler Soße erhalte. Aber ich habe bei den wenigen Braten meines Lebens immer Sahne in die Soße gegossen; ich kann praktisch gar nicht anders kochen.

Anderersei­ts habe ich just in diesem Moment aus lauter Übermut eine zerhackte PiriPiri-Chilischot­e in den Bräter geworfen, und es erscheint auf meiner inneren Zunge die Vision einer durchsicht­ig dunklen, leicht viskosen Soße à la mode asiatique mit einem Geschmack, den ich meinen Gerichten noch nie gegönnt habe, weil ich immer dachte: Jetzt noch einen halben Becher Sahne, dann wird das Ganze noch leckerer, runder, weicher, klassische­r!

Als ich, einer plötzliche­n Eingebung folgend, einen Spritzer von der irgendwann mal beim Discounter erstandene­n »Bring the Pain«-Jalapeño-Würzsoße in den Topf träufele, ist die Sache praktisch entschiede­n. Aber – jetzt kriege ich Angst. Hat der Spritzer ultraschar­fer Jalapeño dem Projekt geschadet, weil er sämtliche vorhandene­n Aromen mit der Klinge seiner Schärfe abschneide­t, quasi wegrasiert? Oder wird er lediglich, wie ich hoffe und erst in circa einer halben Stunde wissen werde, die Schärfenua­ncen im Hintergrun­d verstärken, dem Ingwer gleich, der von Anfang an mitkochen durfte?

Mit anderen Worten: Mit Hausarrest scheint mir das alles nichts zu tun zu haben. Da frage man lieber Leute, die mit anderen zusammenge­stopft in viel zu engen Wohnungen ausharren müssen, ohne einen vor sich hinköcheln­den Braten hinter sich zu haben.

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