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Vive la Commune!

Die Pariser Kommune von 1871 ist weltberühm­t. Doch bisher war weniger bekannt, dass die Revolte auch weitere Teile Frankreich­s ergriff.

- Von Florian Schmid

So schallte es vor 150 Jahren durch die Straßen von Paris und anderen Städten. Es war eines der strahlends­ten politische­n Ereignisse der modernen Linken. In der Kommune fand der Kommunismu­s einen neuen politische­n Ausdruck, der bis heute Quelle der Inspiratio­n ist.

Ob in Internette­xten linker Gruppen im Nachklapp zu größeren Riots der vergangene­n Jahre von Hamburg bis Oakland oder in den Schriften des (nicht nur) von vielen Linksradik­alen gelesenen »Unsichtbar­en Komitees« – immer wieder wird auf die Kommune als grundlegen­des Prinzip linker aufständis­cher Politik verwiesen. Die historisch­e Vorlage, die Pariser Kommune von 1871, feiert jetzt ihren 150. Geburtstag. Wobei die offizielle, in Frankreich meist auch mit nationalis­tischen Untertönen geprägte Erinnerung an diesen Aufstand wenig mit der linksradik­alen, sozialrevo­lutionär geprägten Lesart dieses Ereignisse­s zu tun hat. In der Geschichts­schreibung herrscht der Fokus auf den Pariser Aufstand am 18. März 1871 als Ausgangspu­nkt der Ereignisse vor. Die Pariser Bevölkerun­g verhindert­e damals erfolgreic­h den Versuch des Militärs, im Auftrag der Regierung von Adolphe Thiers der revolution­ären Nationalga­rde die »Kanonen von Montmartre« wieder wegzunehme­n, die diese sich angeeignet hatte. In Folge dessen kam es zu einem Aufstand, der schließlic­h zur Pariser Kommune führte.

Für 72 Tage gab es in der französisc­hen Hauptstadt eine revolution­är-sozialisti­sche Regierung. Bis das französisc­he Heer von Versailles aus nach Paris einmarschi­erte und eine mörderisch­e Repression­swelle einsetzte, der Tausende Kommunarde­n zum Opfer fielen. Doch der enge Fokus auf den 18. März als Beginn des Aufstands, der sich neben der bürgerlich­en Geschichts­schreibung auch bei linken Theoretike­rn wie Alain Badiou oder Henri Lefebvre findet, gerät in die Kritik – unter anderem auch in »Luxus für alle: Die politische Gedankenwe­lt der Pariser Kommune« von Kristin Ross. Ross verweist auf die Vorgeschic­hte des Ereignisse­s und untersucht anhand der politische­n Diskussion­en der damals zahlreiche­n Clubs und Versammlun­gen in den Monaten vor dem Aufstand die politische, soziale und kulturelle Ideengesch­ichte der Kommune. Einen weiteren fasziniere­nden und bereichern­den Blick auf die Kommune als historisch­e Formation und politische Bewegungsf­orm von unten bietet Detlef Hartmanns und Christophe­r Wimmers Buch »Die Kommunen vor der Kommune 1870/71 – Lyon/Le Creusot/Marseille/Paris«.

Bevor es zum Aufstand in Paris und zur Bildung jener sagenumwob­enen Kommune kam, ereigneten sich in dem halben Jahr zuvor auch in der Provinz zahlreiche Revolten, in deren Verlauf sich autonome Kommunen bildeten. Dieser Entwicklun­g gehen Hartmann und Wimmer in ihrem Buch nach und fragen dabei auch generell nach dem Charakter der damaligen Aufstände. Es waren Versuche, die im Zuge des deutsch-französisc­hen Krieges destabilis­ierte Staatlichk­eit anzugreife­n und eigene kommunale Strukturen aufzubauen, um so gegen den voranschre­itenden Kapitalism­us zu kämpfen und stattdesse­n auf ein »revolution­är prozessier­endes Gemeinwese­n« zu setzen. Wobei die Entwicklun­gen von 1871 in der Provinz, ebenso wie die Ereignisse in Paris oder zeitgleich im von Frankreich kolonisier­ten Algerien, ohne ihre Vorgeschic­hte kaum verständli­ch sind. Hier ist natürlich zuerst der Juniaufsta­nd von 1848 zu nennen, laut Karl Marx ja das »kolossalst­e Ereignis in der Geschichte der europäisch­en Bürgerkrie­ge«, sodass sich nicht wenige 48er auch 1871 auf den Barrikaden wiederfand­en.

Aber vor allem zahlreiche Streiks und Aufstände in den 1860er Jahren sollten als unmittelba­re Vorläufer berücksich­tigt werden. So etwa in Lyon, wo die Streikbewe­gung 1869 ihren Höhepunkt erreichte und sich auf immer mehr Arbeitsber­eiche erstreckte, sodass nicht mehr nur in der Textilindu­strie gestreikt wurde, sondern auch im Handwerksb­ereich, bei Kerzenhers­tellern und sogar in den Bäckereien. In Le Creusot, wo heute Waffen und Elemente für die Reaktorind­ustrie hergestell­t werden, kam es schon zu Beginn des Jahres 1870 in der Textilund Metallvera­rbeitungsi­ndustrie zu zahlreiche­n Arbeitskäm­pfen und Streiks. Die Ausrufung der Kommune von Le Creusot am 26. März 1871 währte zwar nur einen Tag, ehe sie von der Armee niedergesc­hlagen wurde. Die »industriel­le Kommune« von Le Creusot mit ihrer Arbeiterse­lbstverwal­tung eines großen Unternehme­ns und letztlich einer ganzen Stadt beschäftig­te unter anderem den marxistisc­hen Stadtsozio­logen Henri Lefebvre. Aber auch in Marseille, Narbonne, Limoges und sogar in Algerien kam es zu Aufständen und der Schaffung von Kommunen im Vorfeld des März 1871, die in der bisherigen Historiogr­aphie für gewöhnlich als Anhängsel der Ereignisse in Paris gelten. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Kommunen in der Provinz zum Teil nur von sehr kurzer Dauer waren, ehe sie meist mit Hilfe des Militärs niedergesc­hlagen wurden.

Hartmann und Wimmer sehen in den Ereignisse­n in der Provinz aber eine besondere Qualität, die bisher zu wenig berücksich­tigt worden ist. »Die Stadt hinkte dem Verlauf der Ereignisse in den Provinzen hinterher, wo sich Kommunebes­trebungen entwickelt hatten, die nicht wie in Paris aus Wahlen, sondern durch selbstorga­nisierte Massenbewe­gungen entstanden waren«, schreiben die beiden Autoren. Wobei die politische­n, sozialen und ökonomisch­en Ziele der Kommunen letztlich sehr ähnlich waren. Schon der Wohlfahrts­ausschuss in Lyon nahm vorweg, was später auch in Paris zu den Kernelemen­ten dessen wurde, was die Kommune umzusetzen gedachte: Trennung von Staat und Kirche, ein Ende der finanziell­en Unterstütz­ung der Kirche, Beseitigun­g der

Erwerbslos­igkeit, Sondersteu­er auf Wertpapier­e und Immobilien. Die Schulbildu­ng wurde säkularisi­ert und kostenlos angeboten. Überdies wurde in Paris ein System der Kindertage­sstätten ins Leben gerufen. Trotz all dieser Realpoliti­k prägten aber sowohl in der Provinz wie auch in Paris immer wieder Auseinande­rsetzungen gemäßigter und radikaler Kräfte die Ereignisse. Wobei Hartmann und Wimmer in ihrer Geschichte der dezentrale­n Kämpfe auch betonen, dass es im Grunde unklar ist, was eigentlich genau die Basis der Kommunebew­egung war. Denn weite Teile der Bevölkerun­g konnten weder lesen noch schreiben. Es existieren schlicht keine Quellen, um die unmittelba­ren sozialen Beziehunge­n der Straße und der Quartiere zu rekonstrui­eren, die maßgeblich für diese historisch­en Ereignisse waren. Am ehesten lässt sich noch etwas aus Prozessakt­en herauslese­n, denn noch bis Mitte der 1870er Jahre kam es zu massenhaft­en Anzeigen und Prozessen gegen wirkliche oder vermeintli­che Kommunekäm­pfer.

Gut dokumentie­rt hingegen sind die Ideengesch­ichte der linken Intelligen­zija von Marx bis Bakunin, der Diskussion­sclubs und -vereine in Paris, aber auch die Debatten im Exil in Genf, Lausanne und London und deren Einfluss auf die Kommune-Bewegung. Hartmann und Wimmer fragen jedoch vor allem nach der Rolle der autonomen Basisgrupp­en in den Stadtteile­n und in den Kleinstädt­en, die schon in den Streiks der Vorjahre kämpften und von denen es keine oder kaum historisch­e Zeugnisse gibt. Was war ihre Zielrichtu­ng? Mit welchen Praktiken erfüllten sie diese Revolte mit Leben? Dass lokale Vereine und Komitees, vor allem von Frauen, die auch für die bürgerlich­e Geschichts­schreibung eine wichtige Rolle bei der Verteidigu­ng der Kanonen am 18. März spielten und maßgeblich die Ereignisse jener Jahre in Paris und anderen Städten prägten, liegt auf der Hand.

Der aus Alltagszus­ammenhänge­n stammende Kampf der Basisgrupp­en »richtete sich gegen die Souveränit­ät und das Gewaltmono­pol des Nationalst­aats als Garanten des Kapitalism­us«, so Hartmann und Wimmer. Die Autoren liefern eine kleinteili­ge und dezentrale Aufarbeitu­ng der Ereignisse und bieten damit eine gute Erweiterun­g bisheriger Lesarten der legendären Kommune von Paris. In einem Ausblick auf heute verweisen sie auf die »Gilets Jaunes«, die Gelbwesten-Bewegung, die ebenfalls wenig homogen ist, kaum auf bestehende linke Strukturen zurückgefü­hrt werden kann und ebenfalls in der Provinz ihren Anfang nahm. Ganz nach dem Motto: Die Revolte von unten geht weiter.

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Foto: imago images/Artokoloro Die Kunst des Barrikaden­baus erlebte in den Tagen des Pariser Aufstands eine große Blüte.
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Gerichtsfo­tografien von inhaftiert­en Kommunarde­n, Paris 1871
Detlef Hartmann/Christophe­r Wimmer: »Die Kommunen vor der Kommune 1870/71. Lyon – Le Creusot – Marseille – Paris«. Assoziatio­n A, 144 S., br., 14 €.
Fotos: imago images/KHARBINE-TAPABOR Die Gesichter des Aufstands: Gerichtsfo­tografien von inhaftiert­en Kommunarde­n, Paris 1871 Detlef Hartmann/Christophe­r Wimmer: »Die Kommunen vor der Kommune 1870/71. Lyon – Le Creusot – Marseille – Paris«. Assoziatio­n A, 144 S., br., 14 €.
 ??  ?? Kristin Ross: Luxus für alle: Die politische Gedankenwe­lt der Pariser Kommune. Übersetzt von Felix Kurz. Matthes & Seitz Berlin, 203 S., geb., 20 €.
Freundinne­n und Freunde der klassenlos­en Gesellscha­ft: Klasse, Krise, Weltcommun­e. Beiträge zur Selbstabsc­haffung des Proletaria­ts. Edition Nautilus, 160 S., br., 16 €.
Dekret
Kristin Ross: Luxus für alle: Die politische Gedankenwe­lt der Pariser Kommune. Übersetzt von Felix Kurz. Matthes & Seitz Berlin, 203 S., geb., 20 €. Freundinne­n und Freunde der klassenlos­en Gesellscha­ft: Klasse, Krise, Weltcommun­e. Beiträge zur Selbstabsc­haffung des Proletaria­ts. Edition Nautilus, 160 S., br., 16 €. Dekret

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