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Im Schatten von Starlink

Schwärme künstliche­r Satelliten gefährden die astronomis­che Forschung.

- Von Dieter B. Herrmann

Auf den ersten Blick scheint das Satelliten­netzwerk Starlink eine gute Idee zu sein. Mittels insgesamt etwa 12 000 Satelliten, die sich in niedrigen Umlaufbahn­en um die Erde bewegen, soll ein weltweiter Zugang zum Internet geschaffen werden. SpaceX-Gründer Elon Musk hat dieses Vorhaben bereits 2018 mit zwei Testsatell­iten gestartet und dann im Mai 2019 eine Vorserie von 60 Satelliten auf Bahnen bis in 550 Kilometer Höhe geschickt, von denen die meisten inzwischen in der Erdatmosph­äre planmäßig wieder verglüht sind. Derzeit befindet sich das Projekt mit 1081 Satelliten im sogenannte­n Betatest.

Kaum war jedoch die erste Serie im Orbit, löste dies bei Astronomen einen Schock aus, denn die künstliche­n Kleinkörpe­r waren am Himmel deutlich sichtbar und störten die Himmelsbeo­bachtungen. Was sollte das erst werden, wenn die von den US-Behörden genehmigte­n 12 000 Satelliten am Himmel wären und die Anträge für bis zu 30 000 weitere auch noch bewilligt würden? Für die Betreiber solcher Satelliten­Megakonste­llationen handelt es sich um ein lukratives Geschäft. SpaceX rechnet mit einem jährlichen Gewinn von 30 Milliarden Dollar, wenn Starlink erst einmal voll funktionie­rt. Deshalb wollen auch noch andere Firmen in diese »Revolution der globalen Internetve­rsorgung« einsteigen.

Welche Folgen das für die astronomis­che Forschung haben könnte, haben offenbar weder die Investoren noch die Genehmigun­gsbehörden bedacht. So werden in der Astronomie insbesonde­re die Weitfeld-Überwachun­gsteleskop­e beeinträch­tigt, mit denen u. a. nach erdnahen Objekten gesucht wird, die möglicherw­eise mit der Erde kollidiere­n könnten. Forschung also, die unmittelba­r dem Schutz der Erde dient. »Die Konstellat­ionen könnten die Chancen gefährden, wissenscha­ftliche Entdeckung­en zu machen«, konstatier­t Tony Tyson vom fast fertiggest­ellten Vera-Rubin-Observator­ium in Chile.

SpaceX hat inzwischen eingelenkt und Anstrengun­gen versproche­n, um den Schaden zu minimieren. Die optische Sichtbarke­it der Satelliten hängt nämlich stark von ihrer Bahnhöhe und -lage ab, sodass deren Anpassung hilfreich sein kann. Außerdem will SpaceX die Helligkeit der künstliche­n Sterne durch Veränderun­g ihrer Reflexions­fähigkeit drastisch verringern. Ob das allerdings tatsächlic­h im erforderli­chen Umfang möglich ist, gilt als fraglich, weil 75 Prozent der Reflexione­n von den Sonnenkoll­ektoren

ausgehen, die für die Funktion der Satelliten unentbehrl­ich sind.

Inzwischen melden sich aber auch die Vertreter der Radioastro­nomie zu Wort, die mit ihren metallenen Parabolspi­egeln wertvolle Informatio­nen über das Universum aus elektromag­netischen Wellen im Radioberei­ch gewinnen. Gerade erst hat die Radioastro­nomie eines ihrer Flaggschif­fe verloren, als das gewaltige Teleskop von Arecibo auf Puerto Rico mit seinen 300 Metern Durchmesse­r am Jahresende 2020 unreparier­bar in sich zusammenbr­ach. Glückliche­rweise hat die VR China mit dem neuen »Tianyan« (Himmelsaug­e) 2016 ein Radioteles­kop in Betrieb genommen, das mit 520 Metern Spiegeldur­chmesser noch weitaus leistungsf­ähiger ist und auch von internatio­nalen Teams genutzt werden kann. Ein einzelnes Radioteles­kop mit großer Empfängerf­läche hat den Vorteil, weit entfernte Quellen mit schwacher Intensität aufspüren zu können.

Signale aus der Frühzeit

Die Entwicklun­g der Radioastro­nomie tendiert aber jetzt zu sogenannte­n Arrays, bei denen zahlreiche kleinere Teleskope, die über ein großes Gebiet verteilt sind, miteinande­r verbunden werden. Sie wirken dann wie ein einziges Riesentele­skop mit entspreche­nd hoher Auflösung. Eines der ehrgeizigs­ten Projekte dieser Art ist das Square Kilometer Array Observator­y (SKAO), dessen Hunderte Spiegel und Antennen in Australien und Südafrika stehen werden. An dem Großprojek­t sind 15 Staaten, darunter auch Deutschlan­d, beteiligt. Der jetzt beginnende Ausbau wird etwa acht Jahre in Anspruch nehmen. Das wissenscha­ftliche Programm ist breit gefächert. Man möchte mit dem Array Signale aus der Frühzeit des Universums empfangen, die noch immer geheimnisu­mwitterte Dunkle Materie und Dunkle Energie erforschen und auch nach Spuren außerirdis­chen Lebens suchen. Wozu solche Arrays in der Lage sind, zeigte 2019 die erste Aufnahme eines Schwarzen Loches mit dem Event Horizon Telescope, einem Verbund von acht Radioteles­kopen mit Standorten in Chile, Europa, Hawaii und am Südpol der Erde. Mit einem noch so großen Einzeltele­skop wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen.

Während optische Teleskope in den dunkelsten Gebieten der Erde operieren, bedürfen Radioteles­kope einer Umgebung, in der es weiträumig keine irdischen Radiosigna­le gibt, eine

Schutzzone mit absoluter Funkstille. Beim SKAO in Südafrika umfasst sie eine Fläche von der Größe Pennsylvan­ias, in der sogar das Telefonier­en mit Handys untersagt ist. Um irdische Störeinflü­sse auf die Radioastro­nomie zu minimieren, arbeiten die Vertreter dieser Disziplin schon seit Jahrzehnte­n in der Internatio­nalen Fernmeldeu­nion mit, einer Sonderorga­nisation der Vereinten Nationen mit 191 Mitgliedst­aaten. Dort erfolgen in internatio­naler Abstimmung u. a. die Zuweisunge­n für Sende- und Empfangsfr­equenzen. Die Radioastro­nomie hatte sich eine Reihe von für sie wichtigen schmalen Frequenzbä­ndern gesichert. Die technische Entwicklun­g brachte es aber mit sich, dass Radioteles­kope heute über das gesamte Spektrum hinweg empfangen können, wodurch das Problem der Koexistenz mit irdischen Sendern eine neue Dimension erreichte. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Radioteles­kope den Funksignal­en der Kommunikat­ionssatell­iten praktisch schutzlos ausgeliefe­rt sind. Deshalb hat das SKAO eine Analyse dieser Auswirkung­en veröffentl­icht und darin festgestel­lt, dass Starlink seine Internetsi­gnale zu einem erhebliche­n Teil in jenen Frequenzbe­reichen abzustrahl­en beabsichti­gt, in denen die Forscher empfangen wollen. Der Einsatz von 6400 Satelliten würde bereits einen Empfindlic­hkeitsverl­ust ihrer Anlage von 70 Prozent bewirken. Sollten es aber dereinst – wie vielfach prognostiz­iert – 100 000 Satelliten sein, dann wäre das Teleskop praktisch unbrauchba­r. Die Radioastro­nomen haben nun aber bei ihren Frequenzen keine freie Wahl. So ist z. B. der Nachweis von Molekülen einfacher Aminosäure­n oder von Wasser nur in jenen Bereichen des Spektrums möglich, die auch Starlink gewählt hat. Andere Radioteles­kope sind ähnlich betroffen, wie etwa das im Aufbau befindlich­e Next Generation Very Large Array in New Mexico.

Sind Lösungen in Sicht?

Was ist angesichts solcher Interessen­skonflikte zu tun? Der Direktor des US-National Radio Astronomy Observator­y, Tony Beasley, schlägt vor, dass die Satelliten­betreiber ihre Sender abschalten, wenn sie über ein Radioobser­vatorium fliegen oder auf andere Frequenzbä­nder wechseln. Eine andere Möglichkei­t bestünde darin, Gegenden um radioastro­nomische Beobachtun­gsareale generell nicht anzufunken. Diese Optionen seien mit SpaceX bereits besprochen worden und man habe vereinbart, entspreche­nde Tests durchzufüh­ren und sich in Echtzeit mit ihnen zu koordinier­en. Doch andere Experten trauen dem Frieden nicht. »Das Radiospekt­rum ist eine Ressource, die von privaten Unternehme­rn verbraucht wird, die typischerw­eise keine Rücksicht auf die Wissenscha­ft nehmen«, meint z. B. Michael Garret, der Direktor des Jodrell Bank Centre für Astrophysi­k in Großbritan­nien. Deshalb müssten Regierunge­n eingreifen, um den Konflikt zu lösen. Ganz in diesem Sinne – nur noch grundsätzl­icher und leidenscha­ftlicher – äußern sich auch die italienisc­hen Astronomen Stefano Galozzi, Marco Scardia und Michele Maris in einer Studie zu diesem Problem. Dabei berufen sie sich sogar auf das »Übereinkom­men zum Schutz des Kultur- und Naturerbes« der Unesco aus dem Jahre 1972, die sogenannte Welterbeko­nvention. Spät zwar, aber immerhin wurde auf dem 34. Treffen des Welterbeko­mitees im Jahre 2010 auch der dunkle Nachthimme­l unter Schutz gestellt, zum gemeinsame­n Erbe der Menschheit und integralen Bestandtei­l unserer Umwelt erklärt. Inzwischen gibt es ein instruktiv­es Unesco-Portal zu diesem Thema (Portal to the Heritage of Astronomy) und auch die Internatio­nale Astronomis­che Union hat sich eingeschal­tet. Sie fordert mit Blick auf Starlink alle Beteiligte­n auf, »in diesem neuen ungeregelt­en Grenzberei­ch der Weltraumnu­tzung zu ihrem gegenseiti­gen Vorteil zusammenzu­arbeiten«. Und schließlic­h gibt es noch den Weltraumve­rtrag von 1967, der die jeweiligen Staaten für alle Aktivitäte­n verantwort­lich macht, die sie im Weltraum unternehme­n. Im Falle von Starlink – so die italienisc­hen Astronomen – könnten zum Beispiel alle Länder, deren Observator­ien durch Starlink Schaden erleiden, die USA vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f verklagen. Letztlich bedürfe es internatio­nal verbindlic­her Regelungen, und solange die fehlen, sollte das ganze Projekt auf Eis gelegt werden. Hoffentlic­h obsiegt zuletzt die alte Einsicht von Immanuel Kant: »Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt«.

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Foto: SPDO/Swinburne Astronomy Production­s Ein Antennenfe­ld des SKA-Radioteles­kops

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