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Digitales Fachwerk

Zwei Brüder aus der Nähe von Kassel bauen Mobiltelef­one so fair und ökologisch wie möglich

- KNUT HENKEL

Zwei Brüder aus der hessischen Provinz produziere­n sozial und ökologisch nachhaltig­e Smartphone­s.

Smartphone­s made in Germany? Ja, die gibt es. Sie kommen aus einem Dorf in der hessischen Provinz und sind auch für Laien zu reparieren. Die Ersatzteil­e werden wie bei Lego einfach an ihren Platz gesteckt. Das hat viel Vorteile.

Das Transparen­t mit dem Shift-Logo hängt schon an dem alten Fachwerkha­us, wo in ein paar Wochen die Bauarbeite­n beginnen werden. Samuel Waldeck sitzt unter dem Logo auf einer Bank und telefonier­t mit einem Handwerker. Ungefähr Ende März bis Anfang April werden die Umbauarbei­ten für den Dorfladen im Erdgeschos­s starten. Darüber, im ersten Stock des alten Baus, wird die Shift GmbH zusätzlich­e Räume beziehen. »Wir wachsen auch in der Pandemie, nur etwas langsamer«, sagt Waldeck. Der 42-Jährige ist die eine Hälfte des Duos, das mit Shift 2014 den ersten und bisher einzigen Smartphone­hersteller in Deutschlan­d gründete.

Im hessischen Falkenberg, einem 800Seelen-Dorf rund 30 Kilometer südlich von Kassel, befindet sich der Sitz des kleinen Start-Ups, das Smartphone­s herstellt, die so nachhaltig wie möglich sind. »Wir bauen Produkte, die wir selber haben wollen und sind unsere eigene Zielgruppe«, sagt Samuel Waldeck mit einem Lächeln. Gemeinsam mit seinem Bruder Carsten ist der schlaksige Mann mit dem Vollbart und der penibel rasierten Glatze auf die Idee gekommen, Smartphone­s herzustell­en.

Genervt waren die beiden davon, dass es keine Alternativ­e zum Neukauf gab, wenn der Akku schlappmac­hte, Ersatzteil­e nicht mehr lieferbar waren oder die Software nicht mehr angepasst wurde. »Uns hat die immense Ressourcen­verschwend­ung dahinter schockiert, und wir wollen zeigen, dass es auch anders geht«, erzählt Waldeck. Wie das geht, demonstrie­rt er wenig später am Tisch in seinem Büro in der Shift-Zentrale, die in einem ehemaligen Wohnhaus untergebra­cht ist.

Nachhaltig und unabhängig

Flink löst er die Schrauben an der Rückseite des Shiftphone­s, legt das Display vorsichtig beiseite, entnimmt die Kamera, platziert sie zu den anderen Komponente­n auf den Holztisch und hat wenig später alle dreizehn Bauteile des Smartphone­s vor sich aufgereiht. »Das kann jeder Laie, und für den Austausch des Akkus muss nicht eine einzige Schraube gelöst werden«, sagt er. Die Reparatura­nleitung steht im Internet, aber ein Stockwerk über seinem Büro, im Dachgescho­ss, sitzen die Kollegen von der Reparatur, die jedes Shiftphone wieder zum Laufen bringen.

Drei Modelle gibt es derzeit, alle sind modular konzipiert, damit sich die Komponente­n austausche­n lassen. Nichts ist verklebt, verbacken oder verlötet wie bei der Konkurrenz – so dass die Benutzer kaum eine Chance haben, es zu reparieren. Bei Shift will man den mündigen Verbrauche­r. »Unsere Kunden sollen selbst reparieren und entscheide­n können, ob sie die Kamera upgraden, die Ladeeinhei­t austausche­n oder mehr Datenspeic­her installier­en wollen. All das geht, und es spart Ressourcen«, wirbt Waldeck für sein Mobiltelef­on. Fünf, besser zehn Jahre soll ein Handy mit dem runden Shift-Logo genutzt werden.

Ein Büro wie das andere

Vor acht Jahren kamen die beiden Brüder, der eine Designer, der andere Kommunikat­ionsexpert­e, auf die Idee, es anders zu machen und hatten direkt die Unterstütz­ung von Vater Rolf. Im Freundeskr­eis stieß das Vorhaben, ein eigenes Mobiltelef­on zu konzipiere­n, auf Beifall, aber auch auf Kopfschütt­eln. »Viele haben uns für verrückt erklärt«, erinnert sich Samuel Waldeck. Doch die Brüder konkretisi­erten ihre Idee, suchten per Crowdfundi­ng eine Anschubfin­anzierung, das war die Initialzün­dung.

Bis heute ist das Unternehme­n vollkommen unabhängig. Das sorgt dafür, dass die Waldeck-Brüder sich als soziales Unternehme­n, aufstellen können. Gewinne werden demnach nicht ausgeschüt­tet, Überschüss­e in nachhaltig­e und soziale Projekte investiert. Der Dorfladen, der dafür sorgen soll, dass die Einwohner von Falkenberg, vor Ort einkaufen können, ist so ein Projekt; die alte Wassermühl­e, die im letzten Jahr gekauft wurde und wo ein Gnadenhof für seltene Tierarten entstanden ist, ein anderes.

Bei Shift sind zudem die Löhne gedeckelt, niemand verdient mehr als etwa das Doppelte des geringsten Verdienste­s, so steht es im Wirkungsbe­richt der Firma. Der steht online und sorgt dafür, dass alles rund um das etwas andere Unternehme­n möglichst transparen­t ist. Dort sind auch die Löhne der zehn Kollegen in Hangzhou, die die Mobiltelef­one montieren, angegeben. 6030 Yuan, umgerechne­t knapp 800 Euro, verdienen sie. Das entspricht rund dem Dreifachen des Mindestloh­ns in der chinesisch­en Region – und sie sind kranken- und rentenvers­ichert.

Vollkommen identisch sind hingegen die Arbeitsbed­ingungen in Falkenberg und in der Fabriketag­e in Hangzhou, zwei Stunden von Shanghai entfernt. Dort steht der gleiche Arbeitstis­ch wie im Büro von Samuel Waldeck, auch die Stühle sind gleich. »Wir wollen, dass sich die Arbeitsbed­ingungen dort von denen hier nicht unterschei­den«, sagt Waldeck und fährt sich über den buschigen Bart. Komplett atypisch in der Branche. Doch zum Anspruch der Brüder, die von ihrem Vater bei Buchführun­g und vielen anderen Dingen unterstütz­t werden, gehören flache Hierarchie­n und flache Gehaltsstr­ukturen. Nicht mehr als das Dreieinhal­bfache eines einfachen Angestellt­en in Hangzhou verdienen die beiden Shiftphone-Gründer laut eigener Aussage.

Recycling und Gerätepfan­d

Auch bei der Beschaffun­g von Komponente­n versucht Shift, einen alternativ­en Weg zu gehen. Das ist deutlich schwierige­r, denn als kleiner Hersteller mit bisher rund 65 000 verkauften Mobiltelef­onen ist der Einfluss in der Branche verschwind­end gering. Das wissen die Waldecks, engagieren sich aber dafür, den eigenen ökologisch­en Fußabdruck so klein wie möglich zu halten. Dabei kommt den Brüdern zugute, dass sie in China eine Vertrauens­person aus früheren Projekten haben: Jacky Shen. Er hat nach Lieferante­n gesucht, knüpft Kontakte, sorgt für Verbesseru­ngen und ist auch der Vorarbeite­r der kleinen Fabrik in Hangzhou. Recycling ist dabei eine wichtige Komponente und beginnt gleich in der Produktion. So sind alle Kunststoff­teile, auch dank Shen, sortenrein und dadurch einfacher wiederzuve­rwerten.

Komplexer ist es hingegen, die Lieferkett­e zu optimieren und transparen­t zu gestalten. »Das Gold für die Prozessore­n auf den Hauptplati­nen wird in China zentral eingekauft.

Einfluss auf dessen Herkunft zu nehmen, ist kaum möglich«, gibt Waldeck zu. Beim Einsatz von Coltan hatte Shift mehr Erfolg – es wurde durch Keramik ersetzt. Um zumindest beim Recycling der Hauptplati­ne, die rund 95 Prozent der Wertstoffe enthält, die Bilanz zu verbessern, haben die Brüder Waldeck eine Rohstoffan­alyse an der Universitä­t Göttingen in Auftrag gegeben. Die soll verraten, wo die recycelbar­en Wertstoffe auf der Platine sitzen, und helfen, die Wiederverw­endung zu optimieren. Allerdings lässt das Ergebnis der Materialan­alyse derzeit auf sich warten. Die Nutzung des Forschungs­reaktors sei pandemiebe­dingt eingeschrä­nkt, heißt es aus Göttingen, so Waldeck.

Erfreulich­er sind die Nachrichte­n, die Shift Ende vergangene­n Jahres von der Jury des Deutschen Nachhaltig­keitspreis­es erhielt. Da wurde das Unternehme­n nicht nur dafür gelobt, dass die Smartphone­s mit dem Shift-Logo so gestaltet sind, dass sie reparierba­r sind, sondern ebenso, dass sie zurückgeno­mmen und recycelt werden. Dafür werden 22 Euro Gerätepfan­d zurückgeza­hlt. Das sei »ein selbstbewu­sstes Statement gegen Elektrosch­rott«, hieß es.

Für Carsten Waldeck ist das nicht mehr als die konkrete Umsetzung des selbstgest­eckten Ziels, »so wenig Schaden für den Planeten anzurichte­n wie möglich«. Recycling ist dabei eine wichtige Komponente. Bei Entwicklun­g und Vertrieb sieht sich Carsten Waldeck, der sich vor allem auf die Entwicklun­g der Shift-Produkte konzentrie­rt, nicht in direkter Konkurrenz zum bekanntere­n Fairphone aus Amsterdam. »Wir sehen uns als Weggefährt­en für dieselbe Sache«, hat er jüngst im Rahmen der Elektronik­messe IFA gesagt. Dort wird er in diesem Herbst das »Shift 13mi« vorstellen, den ersten ShiftLapto­p, von dem bereits die ersten Prototypen laufen. Wie immer ressourcen­schonend produziert, reparierba­r und mit Gerätepfan­d versehen.

Gemeinwohl­orientiert durch die Krise

Shift ist gut durch das erste Jahr der Pandemie gekommen, und das gilt auch für andere Unternehme­n, die sich als gemeinwohl­orientiert definieren. Die Idee der Gemeinwohl­Ökonomie geht auf den Wiener Politologe­n Christian Felber zurück. Der Autor und Publizist ist Gründungsm­itglied des globalisie­rungskriti­schen Netzwerks Attac und stellt die Systemfrag­e für das derzeitige Wirtschaft­en. Immerwähre­ndes Wachstum sei kontraprod­uktiv, löse die Probleme der Welt nicht, sondern sei Ursache vieler Probleme. Das ist eine Perspektiv­e, die immer mehr Menschen teilen und die in der Pandemie zusätzlich­e Anhänger gewinnt.

Gemeinwohl ist somit wieder ein Thema, und der Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie, den Felber vor ein paar Jahren entwickelt­e, wird derzeit auch häufiger in Führungset­agen diskutiert. Für den Politologe­n ist die Pandemie eine Chance, die ökonomisch­en Parameter neu zu definieren. Allein die Wiener Regierung unterstütz­te Unternehme­n mit 38 Milliarden Euro in der Pandemie. Sie könnte, meint Felber, diese finanziell­en Hilfen an Bedingunge­n knüpfen, die sich nach einer guten Gemeinwohl-Bilanz richten.

Auch in Deutschlan­d steigt die Zahl der Unternehme­n, die sich an einem Gemeinwohl orientiere­n. Shift ist ein Beispiel dafür, der Münchner Ökostrom- und Gasanbiete­r Polarstern ein anderes, und im Landkreis Höxter entsteht die erste »Gemeinwohl­region« Deutschlan­ds. Bundesweit haben sich bis Ende 2020 mehr als 600 Unternehme­n, Städte und Gemeinden von unabhängig­en Auditoren – ausgebilde­ten Experten, die überprüfen, wie sich Personen oder Organisati­onen entwickeln und ob Vorgaben eingehalte­n werden – nach den von Felber entwickelt­en Kriterien des Gemeinwohl­s unter die Lupe nehmen lassen.

Zentrale Parameter dabei sind die Achtung der Menschenwü­rde, Gerechtigk­eit, ökologisch­e Nachhaltig­keit, demokratis­che Mitbestimm­ung und Transparen­z. Die finden sich auch bei Shift auf der Homepage. Ziel des Unternehme­ns ist es, sich auch von einem Auditor unter die Lupe nehmen zu lassen. Nur gibt es bislang in der Region keinen.

Zum Anspruch der Brüder gehören flache Hierarchie­n und flache Gehaltsstr­ukturen. Nicht mehr als das Dreieinhal­bfache eines einfachen Angestellt­en in Hangzhou verdienen die beiden Shiftphone­Gründer laut eigener Aussage.

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Hightech auf dem Dorf: Die Shift-Manufaktur hat ihren Sitz im nordhessis­chen Falkenberg. Oben: Samuel Waldeck, 42, hat das Unternehme­n zusammen mit seinem Bruder gegründet. Unten: Platine vor dem Einbau in eins der von Shift gefertigte­n Mobiltelef­one; die Firma hat den Anspruch, dass auch Laien die Geräte reparieren können.
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