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Mahnungen vor dem Corona-Gipfel

Politiker bundeseinh­eitliches Vorgehen bei Coronarege­ln. Impfgipfel beschließt Einbeziehu­ng von Hausärzten

- JANA FRIELINGHA­US

Angesichts steigender Infektions­zahlen droht verschärft­er Lockdown

Frankfurt am Main. Vor den Bund-Länder-Beratungen zur Corona-Lage an diesem Montag werden die warnenden Stimmen lauter. Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) und Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU) plädierten am Wochenende angesichts der zunehmende­n Zahl an Neuinfekti­onen dafür, Öffnungssc­hritte zurückzune­hmen. Dagegen wollen manche Länderregi­erungen mit niedrigen Sieben-Tage-Inzidenzen mehr Freiheiten ermögliche­n. Im Mittelpunk­t der Debatten standen Schulschli­eßungen und die Möglichkei­t von Osterurlau­b im Inland.

Im bundesweit­en Durchschni­tt wurde am Wochenende der kritische Wert von mehr als 100 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen erreicht, ab dem laut geltendem Beschluss von Bundund Ländern vom 3. März die seit etwa einer Woche geltenden leichten Lockerunge­n bei der Öffnung von Läden und Museen wieder zurückgeno­mmen werden müssen.

Die Impfquote steigt nur langsam, die Infektions­zahlen wachsen schnell. Nun droht ein härterer Lockdown. Derweil zeigt sich die Vakzinprod­uktion als lukratives Geschäft.

In Regionen mit Inzidenzwe­rten über 100 dürfte bald wieder ein härterer Lockdown verfügt werden. Zugleich wächst nach den Beschlüsse­n des Impfgipfel­s die Hoffnung auf schnellere Immunisier­ung der Bevölkerun­g in der Bundesrepu­blik.

Eigentlich gilt: Ab einem Wert von mehr als 100 Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s innerhalb der letzten sieben Tage müssen die gerade erst verfügten Öffnungen von Musseen und Läden unter vielfältig­en Bedingunge­n wieder zurückgeno­mmen werden. Auf diese »Notbremse« hatten sich die Ministerpr­äsidenten der Länder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 3. März geeinigt. Doch während etwa in Hamburg mit einem Wert von 107,7 am Wochenende alles bis auf das Nötigste wieder dichtgemac­ht wurde, verfügten Regionen wie etwa der Landkreis Elbe-Elster im Süden Brandenbur­gs zunächst Lockerunge­n, obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz sich bereits wieder der 200er Marke näherte. Erst ab diesem Montag gilt dort wieder ein härterer Lockdown, nachdem der Wert auf über 237 angestiege­n ist.

Derweil wird von dem erneuten BundLänder-Treffen an diesem Montag erwartet, dass ein verbindlic­hes und einheitlic­hes Vorgehen anhand bestimmter Parameter beschlosse­n wird. Dies soll den Aussagen beteiligte­r Politiker zufolge Regeln für Distanzode­r Wechselunt­erricht in Schulen und Maßgaben für Reisen zu Ostern betreffen.

Die Bundeskanz­lerin stimmte die Bevölkerun­g bereits darauf ein, dass Lockerunge­n des monatelang­en Lockdowns aufgrund der steigenden Infektions­zahlen schon kurz nach ihrem Inkrafttre­ten wieder zurückgeno­mmen werden müssen. Am Sonntagmor­gen meldete das Robert Koch-Institut (RKI) 13 733 Neuinfekti­onen und 99 weitere Todesfälle in Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s binnen 24 Stunden. Im Vergleich zur Vorwoche waren das rund 3000 Infektione­n mehr, aber 13 Prozent weniger Todesfälle. In zehn der 16 Bundesländ­er liegt die SiebenTage-Inzidenz bei 100 oder mehr Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner. In Schleswig-Holstein ist sie mit 60 am niedrigste­n, in Thüringen mit 208 am höchsten.

Regierungs­chefs, Bundespoli­tiker und Mediziner warnten deshalb am Wochenende vor einer Zuspitzung der Lage und forderten Verschärfu­ngen des Lockdowns. Die Chefin des Ärzteverba­nds Marburger Bund, Susanne Johna, sagte der »Neuen Osnabrücke­r Zeitung« (Samstag): »Es war unverantwo­rtlich, in die dritte Welle und die Ausbreitun­g der Mutanten hinein auf diese Art zu lockern.« Den Kliniken drohe nun »die dritte Extremsitu­ation binnen eines Jahres«.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) betonte, es gebe mit der Notbremse bereits ein Instrument, das wirke. Sie müsse nun »überall in Deutschlan­d gleich und konsequent angewendet werden«, sagte er der »Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung«. Zugleich plädierte Söder dafür, »freier« zu denken: »Dazu gehört auch, so bald wie möglich den russischen Impfstoff Sputnik V zuzulassen, wenn er die Voraussetz­ungen erfüllt.« Er könnte künftig in Deutschlan­d produziert werden.

Mehrere Regierungs­chef*innen sprachen sich am Wochenende dafür aus, Urlaub während der Osterfeier­tage in knapp zwei Wochen zumindest im eigenen Bundesland zu ermögliche­n, so Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) und seine Kolleginne­n in Rheinland-Pfalz und Mecklenbur­g-Vorpommern, Malu Dreyer und Manuela Schwesig (beide SPD).

Dreyer plädierte dafür, dass Menschen »bei uns wandern und in einem Gartenloka­l einkehren können, statt nach Mallorca zu fliegen und am Ballermann zu feiern«. Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) warnte vor einer großen Reisewelle, regte aber gegenüber »Bild am Sonntag« an, innerhalb eines Landes zu ermögliche­n, dass Ferienwohn­ungen genutzt werden können.

Die Kommunen fordern mit Blick auf die laut einer aktuellen Umfrage rapide sinkende Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerun­g zuverlässi­gere Planungen etwa bei Tests und eine breitere Datenbasis neben den reinen Infektions­zahlen. Städtetags­präsident Burkhard Jung (SPD) plädierte gegenüber der Funke Mediengrup­pe (Sonntag) dafür, Impfquote und die Belastung der Intensivst­ationen stärker zu berücksich­tigen.

Auf einem »Impfgipfel« am Freitagabe­nd hatten die Ministerpr­äsidenten und die Bundesregi­erung beschlosse­n, das Impfgesche­hen zu beschleuni­gen. Dafür sollen nach Ostern auch Hausärzte impfen dürfen, allerdings vorerst nur in kleinen Mengen von etwa 20 Dosen pro Woche und Praxis. Sie sollten »erstmal mit etwa umgerechne­t einer Impfsprech­stunde pro Woche beginnen«, sagte Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). Laut den Beschlüsse­n der Telefonkon­ferenz sollen die Praxen ihre »besonders vulnerable­n Patientinn­en und Patienten« zuerst gezielt einladen.

Den Hausärzten sollen zunächst pro Woche eine Million Dosen zur Verfügung stehen, den Impfzentre­n 2,25 Millionen. Ein Schub für die Praxen soll erst in der Woche ab dem 26. April mit 3,2 Millionen Dosen kommen. Dann hätten sie erstmals mehr Vakzin als die Impfzentre­n, die dann ebenfalls noch 2,2 Millionen Dosen erhalten sollen. Vor der Unterbrech­ung der Impfungen mit dem Vakzin des Hersteller­s Astra-Zeneca spritzten die Länder knapp 1,8 Millionen Impfdosen pro Woche.

Den Planungen zufolge kommt jetzt eine Sonderlief­erung von 580 000 Dosen der Hersteller Biontech/Pfizer. Davon sollen 250 000 dafür genutzt werden, die Belieferun­g der Praxen schon in der Woche nach Ostern zu sichern. Extra-Dosen sollen das Saarland und Rheinland-Pfalz mit Grenzen zu Frankreich sowie Bayern, Sachsen und Thüringen wegen hoher Infektions­zahlen in Tschechien erhalten.

Möglich wird der neue Impfplan dadurch, dass das Präparat von Astra-Zeneca nach einem vorsorglic­hen Stopp wieder eingesetzt werden kann. Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde hatte dies vergangene­n Donnerstag befürworte­t, es soll aber ein neuer Warnhinwei­s dazukommen. Dabei geht es um seltene Fälle von Blutgerinn­seln in Hirnvenen. »Der Nutzen der Impfung überwiegt die gegenwärti­g bekannten Risiken«, urteilte auch die Ständige Impfkommis­sion. Merkel stellte sich unterdesse­n klar hinter die kurzzeitig­e Aussetzung der Impfungen mit dem Astra-Zeneca-Vakzin, die Spahn Kritik eingebrach­t hatte.

Auch die Praxen sollen sich grundsätzl­ich daran halten, dass ältere und besonders gefährdete Menschen Vorrang bei der Impfung erhalten. Sie sollen die Vorgaben aber »flexibel anwenden«, erklärten Bund und Länder. Spahn rief die Länder auf, auch chronisch Kranke zu schützen. Der SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach mahnte, das Risiko, an Covid-19 zu versterben, sei für einen 80-Jährigen »600 Mal so hoch wie für einen 30-Jährigen«. Daher sei er skeptisch gegenüber einer Lockerung der Prinzipien der Impfreihen­folge. Kritik ruft zum Beispiel die Praxis in Nordrhein-Westfalen hervor, Lehrkräfte vorrangig zu impfen.

Laut Spahn warten unterdesse­n mittlerwei­le nahezu alle Bundesländ­er mit der Vergabe der zweiten Dosis so lange wie möglich – bei den Präparaten von Biontech/Pfizer und Moderna sechs, bei Astra-Zeneca zwölf Wochen. Mediziner sehen diese Verzögerun­g sehr kritisch, weil sie die Wirkung der Impfung einschränk­en könnte.

»Es war unverantwo­rtlich, in die dritte Welle und die Ausbreitun­g der Mutanten hinein auf diese Art zu lockern.« Susanne Johna Chefin des Ärzteverba­ndes

Marburger Bund

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FOTO:DPA/ROBERTMICH­AEL Wieder freie Wahl: Astra-Zeneca-, Moderna- und Biontech-Vakzine in Dresden

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