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Coronaviru­s wird zum Goldesel

Die Massenprod­uktion von Vakzinen dürfte ein sehr gutes Geschäft werden – weniger für die Impfstoffh­ersteller als für viele Mittelstän­dler außerhalb der Pharmaindu­strie

- HERMANNUS PFEIFFER

Nicht nur die Entwicklun­g eines Impfstoffe­s erfordert technische­s Know-how, sondern auch dessen milliarden­fache Bereitstel­lung. Eine lukrative Herausford­erung für die deutsche Industrie.

Astra-Zeneca gehörte schon vor dem Impfstopp seines Anti-Corona-Mittels in einigen EU-Ländern eher zu den Verlierern der Pandemie. Zumindest an den Börsen: Seit Monaten sinkt der Aktienkurs des Pharmakonz­erns. Grund dafür ist ebenfalls der Covid19-Impfstoff. Als Astra-Zeneca im April 2020 seine Zusammenar­beit mit der Universitä­t Oxford bei der Entwicklun­g bekanntgab, schoss der Aktienkurs zunächst nach oben. Doch als der schwedisch-britische Arzneimitt­elherstell­er versprach, das Mittel zumindest in den ersten Monaten zum »Selbstkost­enpreis« abzugeben, kehrte unter den Spekulante­n kühle Ernüchteru­ng ein.

Tatsächlic­h wird der Vektorimpf­stoff AZD1222 besonders günstig verkauft. Zwar gelten die Preise in Wirtschaft und Politik als streng geheim. Doch im Dezember hatte die belgische Finanzstaa­tssekretär­in Eva De Bleeker jene versehentl­ich auf Twitter geoutet. Demnach verlangt Astra-Zeneca von der EU pro Portion 1,78 Euro. Der US-Anbieter Johnson & Johnson hat sich ebenfalls bereiterkl­ärt, Dosen zum Selbstkost­enpreis anzubieten; in der EU sind es rund sieben Euro. Teurer sind die komplexere­n mRNA-Impfstoffe von Biontech mit 12 Euro und vom USUnterneh­men Moderna mit 15 Euro.

Ein großes Problem beim Preisvergl­eich der bislang vier in der EU zugelassen­en Vakzine ist die mangelnde Transparen­z. Hersteller haben Verkaufsve­reinbarung­en mit vielen Regierunge­n unterzeich­net – zu welchen Bedingunge­n, ist vertraulic­h. Hinzu kommt, dass einzelne Staaten die Entwicklun­g mit unterschie­dlichen Summen fördern.

Die eigentlich­e Herstellun­g der Vakzine ist indes der kleinste Teil der Wertschöpf­ungskette rund um die weltweit angelaufen­en Impfkampag­nen. Die Forschungs­labore von Entwickler­n wie Astra-Zeneca sind auf eine lange globale Lieferkett­e angewiesen. Wichtige Wirkstoffe für die synthetisc­he Herstellun­g werden – wie bei anderen Pharmaprod­ukten – häufig aus Asien, vor allem aus Indien und China geliefert. Jene Stoffe werden dann überwiegen­d von Spezialche­miekonzern­en zu Halbfertig­produkten verarbeite­t.

So ist der familienge­führte Dax-Konzern Merck in Darmstadt laut Firmenanga­ben an rund 50 Projekten mit Impfstoffh­erstellern beteiligt, stellt etwa fettartige Moleküle oder spezielle Plastikbeu­tel her. Die sind nötig, da der Impfstoff mit herkömmlic­hen Behältern chemisch reagieren kann und seine Wirkung verliert. Merck investiert außerdem 25 Millionen Euro in eine neue Produktion­sanlage für Einwegbehä­ltnisse in seinem französisc­hen Werk im elsässisch­en Molsheim, wie das Unternehme­n vor wenigen Tagen mitteilte. Bislang stellt Merck diese Produkte nur in den USA und China her.

Bei mRNA-Impfstoffe­n sind Nanolipide das Nadelöhr bei der Produktion. Weltweit gibt es nur ganz wenige Chemieunte­rnehmen, die die für den Transport der mRNA-Botenmolek­üle in den menschlich­en Körper benötigten Hüllen herstellen können. Dazu gehört Evonik. Der Essener Konzern investiert kräftig in den Ausbau der Drug-Delivery-Sparte, denn die mRNA-Technologi­e gilt auch bei anderen Krankheite­n als Hoffnungst­räger.

Ein wichtiges Kettenglie­d ist die Portionier­ung der Impfstoffe. Hier setzt die Schott AG an. Das Vorzeigeun­ternehmen aus Rheinland-Pfalz, das Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer noch kurz vor der Landtagswa­hl besuchte, will allein in diesem Jahr über zwei Milliarden Fläschchen aus speziellem Glas herstellen. Fast alle Covid-19-Impfstoffh­ersteller sollen Kunde sein.

Schott ist einer der weltweit führenden Anbieter von »parenteral­en« Verpackung­en für die Pharmaindu­strie. In 13 Ländern werden mehr als zehn Milliarden Fertigspri­tzen und Fläschchen aus Kunststoff oder Röhrenglas hergestell­t. Mit dem Düsseldorf­er MDaxKonzer­n Gerresheim­er und dem italienisc­hen Anbieter Stevanato beherrscht Schott weitgehend den Weltmarkt für »Borosilica­t-Glas«.

Spezialgla­sfläschche­n müssen auch gefüllt werden. Hier kommt der Maschinenb­au ins Impf-Spiel. Tief im Schwarzwal­d im Örtchen Todtnau sitzt die Zahoransky AG, einst ein Pionier der Bürstenpro­duktion. Vorstand Ulrich Zahoransky freute sich im Dezember über den Großauftra­g eines US-Abfüllbetr­iebes in Höhe von 48 Millionen Euro. Mit den bestellten automatisc­hen Anlagen der Schwarzwäl­der können 600 000 Injektions­fläschchen gefüllt werden – pro Tag.

Die eigentlich­e Produktion erfolgt weitgehend über Auftragsfe­rtigung. Ein Geschäft vor allem für »Big Pharma« wie Pfizer, Novartis oder Bayer. Deren Produktion­slinien sind auf den Ausstoß von Abermillio­nen »Dosen« beliebiger Mittel ausgericht­et. Das margenschw­ache Impfstoffg­eschäft war für sie aber lange kein Thema mehr, weshalb neue Produktion­slinien in Europa, Nordamerik­a und China erst aufgebaut werden.

Alle Corona-Impfstoffe benötigen für Transport und Lagerung in Impfzentre­n medizinisc­he Kühlschrän­ke. Auch diese sind keine triviale Massenware, denn sie müssen überall und stabil gleiche Temperatur­en garantiere­n. Als Marktführe­r sieht sich Philipp Kirsch in Willstätt, einer 9000-EinwohnerG­emeinde im Ortenaukre­is in Baden-Württember­g. Die GmbH wird nach eigenen Angaben einen Wachstumsr­ekord aufstellen. Kirsch liefert dieser Tage 50 seiner ImpfstoffK­ühlkammern nach Hongkong. Aufgrund der ohnehin vollen Auftragsbü­cher leisten die 80 Mitarbeite­r laut Geschäftsf­ührer Jochen Kopitzke bezahlte Überstunde­n, um den zusätzlich­en Bedarf zu decken.

Vielerorts sind aber auch Produktion­sstätten entstanden oder erweitert worden. Doch müssen diese wieder eingemotte­t werden, wenn es nach Massenimpf­ungen eine Herdenimmu­nität gibt? Es könnte sein, dass wie bei der Grippe Jahr für Jahr eine neue Immunisier­ung erfolgen muss. Spätesens dann wird das Virus Sars-CoV-2 samt seinen Mutationen zum Goldesel weit über Biotech und Pharma hinaus.

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