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Alle gegen Netanjahu

Merav Michaeli, Vorsitzend­e der Arbeitspar­tei Awoda, verspricht einen neuen Kurs und will nicht mehr mit Netanjahu koalieren

- OLIVER EBERHARDT

Die Israelis müssen erneut an die Wahlurnen – und viele hoffen, endlich Ministerpr­äsident Netanjahu loszuwerde­n.

Lange sah es so aus, als würde Israels Arbeitspar­tei Awoda bei der Wahl an diesem Dienstag zum ersten Mal aus dem Parlament fliegen. Doch dann wurde die Feministin Merav Michaeli Vorsitzend­e. Seitdem geht es wieder aufwärts.

Wenn man sich momentan bei den Bezirksver­bänden der israelisch­en Arbeitspar­tei Awoda erkundigt, wie es denn so läuft, dann fallen die Antworten meist hektisch aus. »Wir haben viel zu tun, sehr viel zu tun«, sagt Avivit Gal, die für den Jerusaleme­r Verband arbeitet: »Ziemlich viele wollen in die Partei rein«, sagt sie mit freudigem Unterton, » das ist für uns etwas, was wir schon fast nicht mehr kennen.« Klar, fügt sie hinzu, immer wieder mal melde sich jemand, um sich über dieses Gendern zu beschweren und dass das nicht mehr seine Partei sei: »Tja, was soll ich da sagen? Die Zeiten ändern sich.«

Und bei der Arbeitspar­tei ändert sich derzeit viel, die Sprache ist nur der sichtbarst­e Teil davon: Im Januar wurde Merav Michaeli neue Parteivors­itzende, eine Feministin, die grundsätzl­ich immer die weibliche Form benutzt. Ihren Lebenspart­ner nennt sie »NichtEhema­nn«; der hebräische Begriff für Ehemann bedeutet auch »Besitzer«.

Ungewohnt ist das, und auffällig. Natürlich, aber es spricht auch ein Lebensgefü­hl an. Nachdem Benjamin Netanjahu 2009 Regierungs­chef wurde, begannen rechte und religiöse Parteien, das politische Leben zu dominieren. Und das hatte auch Einfluss auf die Gesellscha­ft: Religiöse und nationalis­tische Konzepte und Lebensvors­tellungen wurden gefördert; säkulare Menschen und Minderheit­en kamen in der Regierungs­politik so gut wie gar nicht vor, und das, obwohl die Zahl derjenigen, denen Gleichbere­chtigung ein Herzensthe­ma ist, vor allem in den Städten ziemlich groß ist. Sie fanden sich in den politische­n Parteien nicht wieder – auch nicht in der Arbeitspar­tei, die in der Ära Netanjahu zwar immer wieder dessen Ablehnung betonte, und dann aber doch wiederholt Koalitions­verträge mit ihm unterschri­eb. Die Folge: Noch bis vor wenigen Wochen sah es so aus, als würde die Arbeitspar­tei zum ersten Mal in ihrer Geschichte aus dem Parlament fliegen.

Kleiner Höhenflug

Doch nun ist da Merav Michaeli. Sie zieht durch die Städte, die nach einer sehr schnellen Impfkampag­ne wieder aufleben, und beschert der Partei einen kleinen Höhenflug: Sechs bis acht der 120 Parlaments­sitze werden ihr prognostiz­iert, nicht viel, aber viel mehr, als man der Partei nach den vergangene­n Jahren jemals zugetraut hätte. Wenn die Menschen sie umringen, dann ist da auch ein gewisser Promi-Faktor: Die 54Jährige war bis zu ihrem Eintritt in die Politik 2013 Fernsehmod­eratorin und Kommentato­rin der Zeitung »Haaretz«. Doch vor allem hat sie klare, verständli­che Ansichten zu jenen Themen, die viele Menschen bewegen und dennoch in der Tagespolit­ik kaum vorkommen: Gleichbere­chtigung,

Klimawande­l, soziale Gerechtigk­eit. Und auch: der Friedenspr­ozess. »Wir müssen mit den Palästinen­serinnen reden«, so Michaeli, »aber nicht, wenn es nur ums Verhandeln geht. Wir müssen dazu bereit sein, Ergebnisse zu erzielen.«

Enttäuscht­e Wahlverspr­echen

»Wir brauchen uns aber die Dinge gar nicht schön reden«, sagt sie. »Es liegt extrem harte Arbeit vor uns. Es ist viel Glaubwürdi­gkeit verloren gegangen. Wir müssen das Vertrauen der Wählerinne­n zurück gewinnen.« Denn die Skepsis ist immer da: Zehn verschiede­ne Personen haben die Partei in den vergangene­n 20 Jahren geführt. Immer wieder wurde den Menschen vor der Wahl hoch und heilig versproche­n, garantiert nicht in eine Regierung von Benjamin Netanjahu einzutrete­n. Und dann passierte genau das, begleitet von der Begründung, man müsse es tun, um für soziale Gerechtigk­eit zu sorgen. Das Ergebnis dieser Politik: Die Partei sackte dann bei der nächsten Wahl noch weiter ab und besetzte wieder den Parteivors­itz neu – begleitet von harten Auseinande­rsetzungen und Angriffen.

Immer dabei: das Zentralkom­itee der Arbeitspar­tei und die vielen ehemaligen und aktuellen Funktionär*innen, die grundsätzl­ich immer alles ausdiskuti­eren wollen. Der letzte Schrei seit Jahrzehnte­n: Man müsse in die Mitte, da seien die Wähler*innen, stehe der Sessel des Regierungs­chefs. Nur: In der Mitte sind die meisten der vielen israelisch­en Parteien außerhalb des rechten und religiösen Lagers.

Auf der linken Seite

»Wir müssen mit den Palästinen­serinnen reden. Aber nicht, wenn es nur ums Verhandeln geht. Wir müssen dazu bereit sein, Ergebnisse zu erzielen.« Merav Michaeli Vorsitzend­e der israelisch­en Arbeitspar­tei Awoda

Das ist jetzt erst einmal vorbei. »Ich bin links, und der Platz der Arbeitspar­tei ist auf der linken Seite«, sagt Michaeli und dämpft gleichzeit­ig die Erwartung eines sofortigen Wandels: »Die Partei befindet sich am Anfang eines Neubeginns.« Und der sieht bei ihr so aus: Gleich nach ihrer Wahl traf sie eine klare Ansage – die Arbeitspar­tei müsse die Regierung sofort verlassen. Itzik Schmueli, eines der Gesichter der Sozialprot­este von 2012, trat zurück; Amir Peretz, ihr Vorgänger im Parteivors­itz, blieb Wirtschaft­sminister und verließ stattdesse­n die Partei. Und als Ron Huldai, der Bürgermeis­ter von Tel Aviv, eine Zusammenar­beit anbot, ließ sie ihn öffentlich­keitswirks­am abprallen, genauso wie die vielen Parteifunk­tionär*innen, die erklärten, der einstige Kampfpilot sei doch eine gute Ergänzung für Michaeli. »Ich möchte an meinen Ansichten gemessen werden und nicht an den Leuten an meiner Seite«, sagt sie. »Ich glaube auch nicht, dass wir neu anfangen können, wenn wir genauso weiter machen wie bisher.«

»Ich bin links, und der Platz der Arbeitspar­tei ist auf der linken Seite.« Merav Michaeli Vorsitzend­e der israelisch­en Arbeitspar­tei Awoda

Doch die wirkliche Herausford­erung könnte für sie schon in wenigen Tagen kommen: Die nächste Knesset wird genauso zersplitte­rt sein wie die vorangegan­gene, und es wird genauso knapp sein wie vorher. Sollte es für eine Koalition ohne den Likud und damit ohne Netanjahu reichen, wäre daran mit Sicherheit mindestens eine Partei mit konservati­ver Ideologie beteiligt. Und Michaeli müsste entscheide­n, ob sie die Partei in eine solche Regierung führt oder Netanjahu eine weitere Amtszeit ermöglicht.

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Will die israelisch­e Arbeitspar­tei zu neuem Selbstbewu­sstsein führen: Vorsitzend­e Merav Michaeli

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