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Alle sind linx

Kampagne wendet sich gegen Kriminalis­ierung von linkem Engagement und Gleichsetz­ung mit rechter Gewalt

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Eine Kampagne fordert das Ende der Kriminalis­ierung der Antifa und wendet sich gegen eine Gleichsetz­ung mit rechts.

Unter dem Motto »Wir sind alle linx« haben rund 35 Organisati­onen eine gemeinsame Erklärung gegen die Kriminalis­ierung von Antifaschi­smus unterschri­eben.

SEBASTIAN BÄHR

Egal, wohin man hin – Solidaritä­tsbotschaf­ten für die Antifaschi­stin Lina E. sind im Leipziger Stadtbild keine Seltenheit. Die Studentin sitzt seit November in Untersuchu­ngshaft in der JVA Chemnitz. Die Polizei hatte sie damals im Rahmen einer umfangreic­hen Razzia festgenomm­en. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihr vor, dass sie als Anführerin einer »kriminelle­n Vereinigun­g« nach dem Paragrafen 129 StGB Angriffe auf Neonazis organisier­t und durchgefüh­rt haben soll. Unterstütz­er von Lina E. beklagten von Anfang an eine massive Kriminalis­ierung durch das Vorgehen der Sicherheit­sbehörden sowie eine Vorverurte­ilung der Beschuldig­ten durch die Medien. Mal wieder – so die Kritik – soll in Sachsen mit der Konstrukti­on eines linksextre­men Phantoms die gesamte Szene bekämpft, eingeschüc­htert und geschwächt werden.

Um sich gegen solche Versuche zu wehren, hat nun unter dem Motto »Wir sind alle linX« eine Kampagne gegen die Kriminalis­ierung von Antifaschi­smus begonnen. In einem als »Leipziger Erklärung« veröffentl­ichten Papier heißt es: »Als Reaktion auf die neuen rechten Bewegungen rund um Pegida und AfD kommt es auch in Deutschlan­d zu einem Anstieg antifaschi­stischer Aktivitäte­n. Der

Staat reagiert mit Kriminalis­ierung und Verfolgung.« Dabei habe insbesonde­re in Sachsen die »Verfolgung« von Antifaschi­sten Tradition: »Von Lothar König, den Ermittlung­en gegen Dresden Nazifrei über die Verfolgung linker Fußballfan­s der BSG Chemie Leipzig bis hin zum aktuellen Verfahren gegen Lina und andere Antifaschi­sten – seit Jahrzehnte­n wird mit Hilfe der Konstrukti­on von § 129 StGBVerfah­ren gegen links ermittelt.«

Verantwort­lich für das einseitige Vorgehen in Sachsen seien laut der Erklärung ein seit Jahren von der CDU geführtes Innenminis­terium, eine von rechten Akteuren durchsetzt­e Polizei sowie ein konservati­ver Justizappa­rat. »Gegen Linke schöpfen Behörden alle Rechtsmitt­el aus, während bei faschistis­cher Gewalt allzu oft gilt: meist wegsehen, dann kleinreden und entpolitis­ieren«, sagte Markus Hauk, einer der Sprecher der Initiative. Das sehe man nicht nur in der nachlässig­en Verfolgung der Connewitz-Angriffe vom Januar 2016, sondern auch jüngst bei dem Urteil gegen den KSK-Soldaten Philip S. in Leipzig. Mit der Gründung der Soko Linx durch das Landeskrim­inalamt Sachsen Ende 2019 habe sich die Verfolgung von Linken in Sachsen noch weiter zugespitzt.

»Wer wie nach einem Hufeisenmo­dell links und rechts gleichsetz­t, verteidigt aber nicht die Demokratie«, warnen die Verfasser der »Leipziger Erklärung«. »Stattdesse­n diffamiert und bekämpft man die, die für eine solidarisc­he Gesellscha­ft eintreten, in der alle Menschen ohne Angst gemeinsam unterschie­dlich sein können.« Man rufe daher alle dazu auf, sich gegen die »falsche und gefährlich­e Gleichsetz­ung von links und rechts« und die damit einhergehe­nde Kriminalis­ierung von Antifaschi­smus zu stellen. »In diesen Zeiten braucht es keine Verbote, sondern einen starken zivilgesel­lschaftlic­hen Antifaschi­smus«, lautet das Resümee.

Unterschri­eben wurde die Erklärung bisher von rund 35 Organisati­onen und Initiative­n aus Sachsen, darunter von Chemnitz Nazifrei, der linksradik­alen Gruppe Prisma IL-Leipzig, der VVN-BdA Sachsen, dem Rechtshilf­ekollektiv von Chemie Leipzig sowie den Linke-Abgeordnet­enbüros Linxxnet und Interim.

Die Soko Linx des LKA ermittelt indes weiter in mehreren Fällen. Im sächsische­n Eilenburg war Mitte März der Bundesvors­itzende der NPD-Jugendorga­nisation Junge Nationalis­ten, Paul Rzehaczek, überfallen und verletzt worden. Die Angreifer sollen sich als Polizisten ausgegeben haben. Mitte Januar erklärte eine queerfemin­istische Gruppe auf der Plattform Indymedia, eine »Faschoknei­pe« in Eisenach attackiert zu haben. Ein Video der Tat wurde im Internet veröffentl­icht. Die Staatsanwa­ltschaft wirft Lina E. vor, 2019 an

Angriffen auf besagte Kneipe beteiligt gewesen zu sein. Die Soko ermittelt zudem im Falle von Brandstift­ungen sowie eines Angriffs auf einen Polizeipos­ten in Connewitz. Zur Aufklärung weiterer Anschläge hat das LKA mehrere Zehntausen­d Euro Belohnung ausgelobt.

Die Soko stand in den vergangene­n Monaten aufgrund einiger Misserfolg­e in der Kritik. Im Winter mussten zwei Haftbefehl­e gegen Anschlagsv­erdächtige aufgehoben werden, Durchsuchu­ngen wurden vom Landgerich­t als rechtswidr­ig erklärt. In Leipzig zeichnete sich wiederum in der linken Szene durch die Veröffentl­ichung verschiede­ner Diskussion­spapiere eine kleine Militanzde­batte ab.

Die Kampagne »Wir sind alle linx« plant nach eigenen Angaben für die Messestadt alsbald eine Demonstrat­ion. In einem anderen Teil Deutschlan­ds fand solch eine gerade erst statt: Am vergangene­n Wochenende hatten rund 1000 Aktivisten in Stuttgart unter dem Motto »Konsequent. Antifaschi­stisch. Solidaritä­t bleibt notwendig – ob auf der Straße oder im Knast« protestier­t. Sie solidarisi­erten sich mit den als »Jo« und »Dy« bekannten Antifaschi­sten, die derzeit ebenfalls ein Prozess erwartet. Beiden wird vorgeworfe­n, an einem Angriff auf Neonazis der rechten Scheingewe­rkschaft Zentrum Automobil am Rande einer Querdenken-Demo in Stuttgart beteiligt gewesen zu sein. Jo konnte nach sechs Monaten die JVA wieder verlassen, Dy sitzt weiter hinter Gittern. Auch in Stuttgart beklagten die Demonstran­ten eine verstärkte Repression gegen Linke.

»Gegen Linke schöpfen Behörden alle Rechtsmitt­el aus, während bei faschistis­cher Gewalt allzu oft gilt: meist wegsehen, dann kleinreden.« Markus Hauk »Wir sind alle linx«

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Aufruf in Leipzig zur Solidaritä­t mit der inhaftiert­en Antifaschi­stin Lina E.

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