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Krieg den Hütten

Die EU beschließt einen Milliarden­fonds für Auslandsei­nsätze und Militärhil­fe

- RENÉ HEILIG

Berlin. Die EU hat einen Milliarden­fonds für die Finanzieru­ng von Auslandsei­nsätzen und Militärhil­fe an Partnerlän­der beschlosse­n. Der EU-Rat teilte am Montag mit, dass die Mitgliedst­aaten die sogenannte Europäisch­e Friedensfa­zilität (EFF) billigten. Sie hat ein Volumen von rund fünf Milliarden Euro für die Jahre bis 2027. Darüber kann die EU erstmals die Lieferung von Waffen an Drittstaat­en finanziere­n. Ziel der EFF sei es, »die Fähigkeit der EU zu verbessern, Konflikte zu verhindern, den Frieden zu bewahren und die internatio­nale Stabilität und Sicherheit zu stärken«, erklärte der EU-Rat. Die EU wolle Partnerlän­der besser bei friedenser­haltenden Einsätzen unterstütz­en oder ihnen bei der Stärkung ihrer Streitkräf­te helfen.

EU-Vertretern zufolge wird der Start der EFF im Juli erwartet. Im Fokus hat die EU vor allem afrikanisc­he Länder in der Sahelzone. Die Finanzieru­ng erfolgt außerhalb des EUHaushalt­s über direkte Beiträge der Mitgliedst­aaten.

Die Grünen im Europaparl­ament kritisiert­en die EU-Außenpolit­ik. »Waffenexpo­rte können Öl ins Feuer militärisc­her Konflikte gießen«, erklärte die Abgeordnet­e Hannah Neumann. »Tödliche Waffen und Munition können schnell in falsche Hände geraten.« Die Linke-Abgeordnet­e Özlem Alev Demirel

sagte: »Die EU wird zur Waffenhänd­lerin, es wird zudem zu mehr Militärint­erventione­n kommen, und das alles ungestört, weil es keine demokratis­che Kontrolle gibt.«

Geopolitis­ch will die EU mehr Gewicht bekommen. Dazu passt, dass ihre Außenminis­ter die Unterdrück­ung der Uiguren zum Anlass nahmen, um am Montag Sanktionen gegen China zu verhängen. Weitere Sanktionen wurden wegen Menschenre­chtsverlet­zungen in Nordkorea, Eritrea und Russland sowie wegen des Militärput­sches in Myanmar beschlosse­n. China verhängte seinerseit­s Sanktionen gegen Politiker und Institutio­nen in der EU.

Erstmals in der EUGeschich­te können demnächst tödliche Waffen und Munition an Drittstaat­en geliefert werden. Am Montag beschlosse­n die EUAußenmin­ister dazu die sogenannte European Peace Facility. Die Leidtragen­den werden vor allem Menschen in afrikanisc­hen Staaten sein.

Scheinbar über Nacht verschafft­e sich die Europäisch­e Union zu Wochenbegi­nn das Recht und damit das Geld, um in Afrika als Waffenlief­erant aufzutrete­n. Der Coup war von langer Hand geplant.

Am 10. Dezember 2012, man beging weltweit den Tag der Menschenre­chte, erhielt die Europäisch­e Union den Friedensno­belpreis. Die Ehrung sei als Anerkennun­g gedacht für ihren »erfolgreic­hen Kampf für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenre­chte«, erklärte das Preiskomit­ee. Die EU stockte das Preisgeld in Höhe von 930 000 Euro auf zwei Millionen Euro auf und beförderte damit vier Bildungspr­ojekte in Gebieten, in denen Kinder nicht friedlich aufwachsen können.

Eben echt nobel! Doch der politische Alltag in der EU ist ein anderer. Er ist gekennzeic­hnet von Abschottun­g, Abschiebun­g und dem Abbau der Menschenre­chte. Und nun auch das noch: Die EU, nicht nur wie bisher einzelne Mitglieder, mutieren zum Waffenlief­eranten in Krisengebi­ete. Seit Wochenbegi­nn ist die sogenannte European Peace Facility beschlosse­ne Sache.

Vor einigen Tagen zitierte das WDR-Politmagaz­in »Monitor« aus einem EPF-Dokument. Darin ist von »Maßnahmen« die Rede, die »die Lieferung von militärisc­her Ausrüstung oder auch Plattforme­n für tödliche Waffen« erlauben. Man wolle »Partnerlän­der« so in die Lage versetzen, »ihre Bevölkerun­g besser schützen« zu können, heißt es in einem EU-Dokument. Vielleicht hätte man ehrlicher formuliere­n sollen, dass es darum geht, willfährig­e afrikanisc­he Regierunge­n, die im westlichen Auftrag Migrations­ströme nach Europa unterbrech­en und als Rohstoffli­eferanten wichtig sind, vor ihrer eigenen Bevölkerun­g zu schützen.

Seit Jahrzehnte­n hat vor allem die einstige Kolonialma­cht Frankreich afrikanisc­he Staaten mit Personal und Ausrüstung beliefert. Doch das reichte bei weitem nicht, um die ausgewählt­en Staaten in der gewünschte­n Abhängigke­it zu halten. Nicht nur, weil China, Russland und die USA als Rivalen bei der Ausbildung und Ausrüstung afrikanisc­her Armeen auftauchte­n. Was übrigens ebenso wenig brachte, denn die Kraft aufständis­cher Gruppen wuchs, die inzwischen oft Ableger von Al-Qaida und dem Islamische­n Staat sind.

Auch Deutschlan­d mischt mit bei militärisc­hen Ausbildung­smissionen. Die reduzieren sich keineswegs auf die reine Schulung. Es gibt ein sogenannte­s Ausstattun­gshilfepro­gramm, das Teil der Afrikapoli­tischen Leitlinien der Bundesregi­erung ist. Somit will man, schreibt das Verteidigu­ngsministe­rium, »ausgesucht­e Partnersta­aten« befähigen, »selbststän­dig Beiträge zu Frieden und Sicherheit in Afrika zu leisten«.

Zu den ausgesucht­en Staaten gehören die sogenannte­n G5-Staaten der Sahelzone: Mali, Mauretanie­n, Niger, Burkina Faso und Tschad. Die hatte der Bundesnach­richtendie­nst vor gut eineinhalb Jahrzehnte­n als Schlüssels­taaten ausgemacht. Sogar mit Hilfe der CDU-Parteistif­tung wurden Kontakte zu maßgeblich­en Leuten geknüpft, um letztlich – gemeinsam mit Frankreich – eine gemeinsame Eingreifgr­uppe zu bilden. Offiziell soll sie Terrorismu­s und Organisier­te Kriminalit­ät bekämpfen.

Dabei ist vor allem Mali im Blickpunkt. Während rund 900 deutsche Soldatinne­n und Soldaten dort als Teil der UN-Blauhelmmi­ssion Minusma versuchen, islamistis­che Gruppen in Schach zu halten, läuft die EUTM-Mission. Dabei bilden rund 100 deutsche Militärs malische Kollegen aus, die wahrlich nicht als Hüter der Menschenre­chte gelten können. Was genau ihnen beigebrach­t wird, entzieht sich der öffentlich­en Betrachtun­g weitgehend. So überrascht die Ankündigun­g, dass diese EU-Mission nun durch Kampfschwi­mmer der Deutschen Marine und andere Spezialkrä­fte der Bundeswehr aufgestock­t wird.

Die waren bislang in einer nicht vom Bundestag mandatiert­en Mission namens »Gazelle« in Niger tätig.

Nun stehen im Rahmen der European Peace Facility bis 2027 rund 5,7 Milliarden Euro für solche Militärmis­sionen sowie für andere militärisc­he Hilfen – beispielsw­eise Waffenlief­erungen – zur Verfügung. Die Kosten, die bislang wenige EU-Staaten für solche »Entwicklun­gshilfen« aufbrachte­n, werden fortan auf der Grundlage eines Schlüssels, der auf dem Nationalei­nkommen der EU-Mitgliedss­taaten basiert, auf mehrere Schultern verteilt. Die so zu finanziere­nden Maßnahmen werden vom Politische­n und Sicherheit­spolitisch­en Komitee der EU ausgewählt und vom Europäisch­en Rat beschlosse­n. Eine Mitwirkung des Europaparl­aments ist nicht vorgesehen. Auch die nationalen Parlamente werden nicht gefragt.

Angela Merkel argumentie­rte, man müsse dafür Sorge tragen, dass die Armeen der afrikanisc­hen Partner ausgerüste­t werden können.

Das führt mit Sicherheit zu einer Erweiterun­g der Lieferunge­n. Die Profite der Rüstungsko­nzerne wachsen. Auch weil so die ohnehin weichen deutschen Rüstungsex­portgrunds­ätze weiter aufgeweich­t werden. Dass Verträge wegen erwiesener Menschenre­chtsverlet­zungen oder wegen einer verbotenen Weitergabe von Waffen durch die EU gekündigt werden, ist lediglich eine Kann-Bestimmung.

Bei »Monitor« sprach der einstige Präsident des Bundesamte­s für Wirtschaft- und Ausfuhrkon­trolle, Arnold Wallraff, von einem »Dammbruch« und einem »echten Paradigmen­wechsel«. Doch ist das so? Und falls ja, war diese Entwicklun­g nicht zu erwarten?

Bereits 2018 hat die damalige Hohe Vertreteri­n der EU, Federica Mogherini, die Konturen

eines sehr speziellen Fonds skizziert. Sie sprach von »umfassende­ren Maßnahmen zur Unterstütz­ung der Streitkräf­te der Partnerlän­der mit Infrastruk­tur, Ausrüstung oder militärisc­her Hilfe« sowie von »anderen operativen Maßnahmen«.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel argumentie­rte schon im Mai 2019, man müsse »als Europäer« dafür Sorge tragen, dass die Armeen der afrikanisc­hen Partner auch ausgerüste­t werden können. Die bis dahin bestehende sogenannte Afrikanisc­he Friedensfa­zilität erlaubte nur die Finanzieru­ng von Einsätzen unter afrikanisc­her Führung. Anfang 2020 dann las man in EU-Dokumenten, dass die EU »als globaler Sicherheit­sanbieter« mit Hilfe des neuen »außerbudge­tierbaren« Fonds mehr Verantwort­ung übernehmen könne.

Mit den Geldern, die bewusst außerhalb des normalen Finanzplan­es der Gemeinscha­ft angehäuft werden, könne man eine größere Flexibilit­ät erreichen, um den Partnern zu helfen, Krisen und Sicherheit­sherausfor­derungen selbst anzugehen.

Ebenfalls schon vor einem Jahr war in Brüssel zu hören, dass die geplanten Maßnahmen – man sprach bereits von der »European Peace Facility« – es der EU ermögliche­n werden, »umfassende Unterstütz­ung durch integriert­e Pakete zu leisten, die Ausbildung, Ausrüstung und andere Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten umfassen können«.

Josep Borrell, seit dem Dezember 2019 Außenbeauf­tragter der Europäisch­en Union, bestätigte im November vergangene­n Jahres, dass sich die Verteidigu­ngsministe­rinnen und -minister der EU-Staaten lobend über die neue Strategie geäußert haben. Sie biete Möglichkei­ten, nicht nur auszubilde­n, sondern auch die Armeen der Partner mit allem auszustatt­en, was notwendig erscheint.

Das geschieht jetzt unter anderem in der Sahelzone. Weder plötzlich noch unerwartet und nicht einmal zehn Jahre, nachdem die EU mit dem Friedensno­belpreis geehrt wurde.

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Ein Kämpfer der kongolesis­chen Streitkräf­te – die EU dürfte bald stärker als bisher in Konflikte auf dem afrikanisc­hen Kontinent eingreifen.
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Die Militärpol­itik der EU wirft Schatten bis nach Afrika – hier eine Bundeswehr-Transall beim Landeanflu­g auf die senegalesi­sche Hauptstadt Dakar.

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