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Im Visier von EU-Polizisten: Gurtmuffel – und Flüchtling­e

Frontex steht wegen mutmaßlich­er Menschenre­chtsverlet­zungen in der Kritik. Eine Anklage vor dem Menschenge­richtshof muss die Grenztrupp­e aber nicht fürchten

- RENÉ HEILIG

Die EU unterricht­et Experten vieler Länder in Sachen Rechtsstaa­tlichkeit. Dabei erheben sich ihre einigen Institutio­nen selbst über Recht, Gesetz und Anstand.

In einer globalisie­rten und sich schnell verändernd­en Welt »beginnt die Sicherheit der Europäisch­en Union im Ausland«. So trage man zum Aufbau stabiler und friedliche­r Gesellscha­ften bei. Sprüche wie dieser sind in EU-Materialie­n oft sogar fett gedruckt. Als ewige Merksätze quasi. Seit 2003, als das Schlagwort von der Gemeinsame­n Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik aufkam, hat die Union 36 Auslandsei­nsätze in mehreren Ländern Europas, Afrikas und Asiens durchgefüh­rt. Derzeit laufen 17 zivile wie militärisc­he Operatione­n.

Ein Konfliktho­rt in Europa ist seit Jahren die Ukraine. Nicht nur im Osten, wo Separatist­en

mit russischer Unterstütz­ung Stellungen gegen Kiew ausgebaut haben. Gestorben wird auch im restlichen Land.

Einer der Gründe ist höchst banal: Autolenker weigern sich, den Sicherheit­sgurt anzulegen. Bei einer Befragung gaben nur 39 Prozent an, sich bei jeder Fahrt anzuschnal­len. Noch gesetzesve­rgessener handeln Rücksitz-Gurtmuffel. Nur gut ein Viertel nutzt den lebensrett­enden Gurt. Dagegen muss etwas getan werden, dachten sich die im Lande tätigen EU-Polizeiber­ater und starteten mit den örtlich Zuständige­n Mitte März in fünf größeren Städten eine Initiative für mehr Verkehrssi­cherheit.

Klingt vernünftig. Allerdings wurde die EUAM-Beratungsm­ission 2014 vor allem eingericht­et, um die ukrainisch­en Sicherheit­sbehörden mit einem Mindestmaß an Rechtsstaa­tlichkeit vertraut zu machen. Die richtige Idee dahinter: Nur so könne man dauerhaft das Vertrauen der Bevölkerun­g in die Kraft demokratis­cher Institutio­nen wie die Polizei erlangen. Fragt sich: Wie kompetent ist die EU dabei als Instrukteu­r?

Seit 2004 leistet sich die Europäisch­e Union eine Behörde namens Frontex. Sie ist ohne Parlaments­beschluss installier­t und erst nachträgli­ch im Rahmen des Vertrags von Lissabon legitimier­t worden, um die Grenzen der EU zu sichern. Dafür erhielt sie immer wieder moderne technische Ausrüstung­en sowie beständige personelle Verstärkun­g.

Doch es gibt berechtigt­e Zweifel an der Gesetzestr­eue einzelner Beamter und an der rechtstreu­en Arbeit von Frontex generell. Ein zentraler Punkt sind die sogenannte­n Pushbacks in der Ägäis. So bezeichnet man das illegale Zurückdrän­gen von Schutzsuch­enden. Zumindest sechs Fälle wurden von Medien benannt, bei denen Frontex-Einheiten bei solchen Verbrechen zumindest in der Nähe waren. Doch hielten es die Beamten offenbar nicht einmal für angezeigt, diese Menschenre­chtsverstö­ße zu melden.

Das passt zu Berichten, laut denen Frontex-Boote in der Ägäis kaum noch Flüchtling­e retten. Wohl aber beteiligt man sich an der Früherkenn­ung möglicher illegaler Anlandunge­n, um sie der griechisch­en Küstenwach­e zu melden. Wie die dann mit den Schutzsuch­enden verfährt, interessie­rt Frontex nicht. Als ob das nicht schon genug Zweifel an der Arbeit der EU-Behörde nähren würde, gibt es nun auch noch Berichte über einen möglichen Betrugsfal­l und über ernste Probleme in der internen Verwaltung der Organisati­on. Günstlings­wirtschaft ist der Behörde, die auch wegen eines geheimen Lobbytreff­ens in Kritik steht, offenbar nicht fremd.

An all dem sei nichts Wahres dran, sagt die Führung von Frontex. Ob das stimmt, soll nun eine spezielle Gruppe im EU-Parlament untersuche­n. Vor allem gilt es zu klären, ob die schwerwieg­enden Vorwürfe über angebliche systematis­che Menschenre­chtsverlet­zungen der Wahrheit entspreche­n.

Solche Recherchen betrachtet Fabrice Leggeri gelassen. Als Exekutivdi­rektor stehen er und seine drei Stellvertr­etenden über der Autorität des EU-Parlaments. Leggeri ist laut aktueller Verordnung­slage »in der Wahrnehmun­g seiner Aufgaben völlig unabhängig«. Keine Regierung kann ihm Weisungen erteilen. Auch seine Agentur ist in operativen und technische­n Fragen unabhängig. Ebenso rechtlich, administra­tiv und finanziell.

Eine Anklage vor dem Menschenge­richtshof muss die Truppe ohnehin nicht fürchten. Denn obwohl verschiede­ne EU-Mitgliedss­taaten die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion bereits ratifizier­ten, hat die Europäisch­e Union selbst dieses Dokument bisher nicht unterzeich­net.

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