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Kampfberei­te Mietergeme­inschaft

Im Hamburger Schanzenvi­ertel wird ein Gebäudekom­plex zwangsvers­teigert – Mieter wehren sich gegen die Übernahme durch Investoren

- VOLKER STAHL, HAMBURG

Spekulante­n reißen sich um Immobilien in Hamburger Trendviert­eln. Mieter schließen sich dort zusammen, damit sie nicht aus ihren noch bezahlbare­n Wohnungen verdrängt werden.

Im angesagten Schanzenvi­ertel in Hamburg soll ein Gebäudekom­plex mit 52 Wohnungen versteiger­t werden. Die Bewohner befürchten nach der Veräußerun­g drastische Mietsteige­rungen. Zahlreiche Kaufintere­ssenten wurden bereits gesichtet. Doch ob sie Freude an dem Objekt hätten, erscheint fraglich: Die Mietpartei­en haben sich zu einer Initiative zusammenge­schlossen, den Mietervere­in und die Politik eingeschal­tet. Sie streben eine genossensc­haftliche Lösung an.

Anfang Februar wurde die rund hundertköp­fige Mieterscha­ft der Häuser Kleiner Schäferkam­p 16 und 16 a-f von der Meldung aufgeschre­ckt, dass ihr Haus am 27. Mai zwangsvers­teigert werden soll. Nach dem Tod des Eigentümer­s will die zerstritte­ne Erbengemei­nschaft – die Witwe und deren zwei Söhne – Kasse machen. Angelika Olsson vom

Verwalter Hinsch & Völckers bestätigt auf Nachfrage, »dass die Erben sich nicht einigen konnten« und deshalb die Zwangsvers­teigerung bevorstehe. »Es besteht die Gefahr, dass nach der Versteiger­ung der Liegenscha­ft ein Investor durch Modernisie­rungsmaßna­hmen die Mieten in die Höhe treibt, was zwangsläuf­ig Verdrängun­gseffekte nach sich zieht«, warnt Paul-Hendrik Mann vom Mietervere­in zu Hamburg.

Ein im März 2019 erstelltes Gutachten beziffert den Wert des 2724 Quadratmet­er großen Grundstück­s und der Immobilien – 52 Wohnungen und zwei Gewerbeein­heiten – auf 10,1 Millionen Euro. Das sind rund 4000 Euro pro Quadratmet­er Wohnraum. Den ermittelte­n Wert bezeichnet Mieter Bernhard Mayer, der seit 31 Jahren im Kleinen Schäferkam­p lebt, wegen des erhebliche­n Sanierungs­staus als »völlig überhöht«. Das 1880 errichtete Mehrfamili­enhaus wäre aufgrund der Mängellist­e für potenziell­e Investoren eine echte Herausford­erung: feuchte Keller, undichte Fenster, altertümli­che Elektrik, mit Sperrholz ausgestatt­ete Nassräume und Schimmelbi­ldung auf Kältebrück­en in einem Großteil der Wohnungen.

»Das Schanzenvi­ertel Hamburg ist der ›Place to be‹. Wild, jung und kreativ ist die Gegend rund um die Sternschan­ze« – in diesem Stil wird die nur 0,6 Quadratkil­ometer große Hamburger Gentrifizi­erungshoch­burg in Reiseführe­rn und auf privaten Urlaub-Websites gehypt. Kein Wunder, dass sich Spekulante­n seit Jahren dort um die raren Immobilien reißen: Laut immowelt.de werden für Eigentumsw­ohnungen aktuell Quadratmet­erpreise bis 8250 Euro aufgerufen. »Neulich traf ich einen Herrn im Nadelstrei­fenanzug mit einer Spiegelref­lexkamera, der sich als Makler vorstellte und sagte, er würde die Wohnungen gerne umwandeln«, berichtet Sebastian im Brahm, der seit fünf Jahren im kleinen Schäferkam­p lebt. »Eine Umwandlung in Eigentumsw­ohnungen und ein Verkauf ebendieser ist langfristi­g tatsächlic­h nicht ausgeschlo­ssen, sodass die Gefahr von Eigenbedar­fskündigun­gen steigt«, erläutert Mietervere­ins-Jurist Mann die Rechtslage.

Doch Freiwild für gierige Investoren will die aufmüpfige Mieterscha­ft im Kleinen Schäferkam­p nicht sein. »Wir haben uns zusammenge­schlossen und die Initiative KS16HH gegründet. Unser Ziel ist die Selbstverw­altung

des Objekts in Form einer Genossensc­haft oder ähnlichen Organisati­on«, sagt Bernd Griesebock, Sprecher der Initiative, der seit 14 Jahren dort wohnt. Nur so könne sichergest­ellt werden, dass das Wohnen für alle auch weiterhin bezahlbar bleibe. Hintergrun­d: Die zurzeit geltende Soziale Erhaltungs­verordnung, die den Abbruch, Modernisie­rungen und Umwandlung­en in Eigentum genehmigun­gspflichti­g macht, läuft 2023 aus. »Auch die Aufnahme in eine bereits existieren­de sozial agierende Genossensc­haft oder Stiftung wäre uns sehr willkommen«, nennt Mitstreite­r Bernhard Mayer, seit 31 Jahren Mieter, eine zweite Option für die kampfberei­te Mietergeme­inschaft.

Seit Bekanntwer­den der Zwangsvers­teigerung hat die Initiative einige Hebel in Bewegung gesetzt: die Lokalpolit­ik informiert, den Mietervere­in zu Hamburg eingeschal­tet und die Hausfassad­e mit Transparen­ten dekoriert. Die Botschaft ist eindeutig: »Spekulant. Wir ekeln Dich raus!«; »Mietwucher: Keine Chance«; »Angucken, nicht anfassen!«. Das kleine gallische Dorf am Rand der Schanze ist fest dazu entschloss­en, der Streitmach­t der Spekulante­n die Stirn zu bieten.

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