nd.DerTag

Zielscheib­e Politiker

70 Prozent der politisch motivierte­n Straftaten in Sachsen-Anhalt haben einen rechtsradi­kalen Hintergrun­d. Die Gefahr von rechts wächst

- MAX ZEISING

2353 politisch motivierte Straftaten wurden 2020 in Sachsen-Anhalt registrier­t; 1642 wurden von Rechtsextr­emen verübt.

Als Katharina Zacharias eines Tages im Januar 2020 ihren Briefkaste­n öffnete, erschrak sie. Die junge SPD-Politikeri­n, die im Kreis Haldensleb­en für die Landtagswa­hl am 6. Juni antritt, fand dort die Abbildung eines langhaarig­en Strichmänn­chen, das an einem Galgen hängt. Ihr war sofort klar: Das ist eine Drohung! »Ich habe das sofort öffentlich gemacht. Daraufhin hat sich der Staatsschu­tz eingeschal­tet«, sagt Zacharias – allerdings habe sie von diesem »bis heute nichts gehört«. Sie vermutet, dass die Zeichnung im Zusammenha­ng mit ihrer Kritik an einer offenbar rassistisc­hen Büttenrede steht, die zu Beginn des letzten Jahres die Gemüter in Haldensleb­en erregte. Von »Negern« und »Asylanten« soll damals die Rede gewesen sein.

Zacharias ist eine von vielen Politikeri­nnen und Politikern, die zunehmend ins Visier von Antidemokr­aten geraten. Wie das Innenminis­terium

Sachsen-Anhalt am Montag auf einer Pressekonf­erenz mitteilte, sind im vergangene­n Jahr deutlich mehr politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträ­ger sowie Repräsenta­nten von Parteien erfasst worden als im Jahr zuvor. Insgesamt wurden 79 solcher Straftaten registrier­t und damit fast doppelt so viele wie im Vorjahr (42). Vorrangig habe es sich, wie im Falle von Katharina Zacharias, um Beleidigun­gen und Bedrohunge­n gehandelt: 38 derartige Straftaten seien erfasst worden. Rund die Hälfte der Beleidigun­gen seien via Internet erfolgt. Den Angaben zufolge richteten sich 35 Angriffe gegen CDU-Politiker, 18 gegen SPD-Mitglieder und 13 Delikte gegen Personen mit AfD-Parteizuge­hörigkeit.

Innenminis­ter Michael Richter (CSU) zeigte sich angesichts der Zunahme besorgt: »Die Gesamtzahl­en bewegen sich etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Jedoch beobachte ich mit Sorge die Anzahl der Straftaten zum Nachteil von Amts- und Mandatsträ­gern sowie Parteirepr­äsentanten. Diese treffen unsere Gesellscha­ft im Kern, da ohne politische­s Engagement keine Demokratie funktionie­ren kann«, sagte der neue Ressortche­f, der das Amt im Dezember von Holger Stahlknech­t übernommen hatte, nachdem dieser von Ministerpr­äsident Reiner Haseloff wegen einer umstritten­en Äußerung in einem Zeitungsin­terview entlassen worden war.

Die Botschaft, die Richter am Montagmitt­ag in Magdeburg der Presse überbracht­e, blieb derweil die gleiche wie in den Vorjahren: Die Gesamtzahl der politisch motivierte­n Straftaten stieg auf 2353 Fälle (2019: 2232), davon sind weiterhin die allermeist­en rechtsmoti­viert. Insgesamt stiegen die rechtsmoti­vierten Straftaten um 201 auf 1642 Fälle, während die linksmotiv­ierten um 12 auf 406 Fälle sanken. Ebenso stieg die Zahl der Straftaten bei Versammlun­gen, was hauptsächl­ich mit der Thematik Corona zusammenhä­ngt. Straftaten mit religiöser Ideologie, also beispielsw­eise im Zusammenha­ng mit dem islamistis­chen Terrorismu­s, spielen in Sachsen-Anhalt kaum eine Rolle.

Wie genau sieht nun der Plan von Innenminis­ter Richter aus, die deutliche Zunahme der Straftaten gegen Politiker und die weiterhin hohe Fallzahl im Bereich der politisch motivierte­n Kriminalit­ät rechts einzudämme­n? Konkret werden wollte man diesbezügl­ich im Innenminis­terium nicht.

Konkreter wurde da schon Innenexper­te Sebastian Striegel von den Grünen, der die Einrichtun­g einer Schwerpunk­tstaatsanw­altschaft gegen Hasskrimin­alität fordert: »Die vorgestell­ten Zahlen sprechen eine klare Sprache: Rechtsextr­eme Straftaten bewegen sich nahe des Allzeithoc­hs aus dem Jahr 2015«, erklärte Striegel. Beunruhige­nd sei auch der deutliche Anstieg antisemiti­scher Straftaten, so Striegel.

Auch die Linke-Innenpolit­ikerin Henriette Quade fordert zu handeln, anstatt bloß zu beobachten: »Die Zahlen dürfen nicht nur alarmieren – sie müssen umso mehr zu der Frage führen, wie Polizei und Justiz mit diesen Straftaten umgehen, welche Bedürfniss­e die Betroffene­n haben und wie ihnen entsproche­n wird.«

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