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Arbeit ohne Lohn

College-Sportler in den USA wollen endlich am Milliarden­spektakel mitverdien­en

- OLIVER KERN

Der US-College-Sport generiert Milliarden Dollar. Die Athleten bekommen davon aber keinen Cent. Nun protestier­en sie.

Die March Madness läuft, und Millionen US-Sportfans verfolgen die Entscheidu­ng um die College-Basketball­meistersch­aft. TV-Verträge, Werbung und Sponsoring machen daraus ein Milliarden­geschäft, an dem die Athleten endlich teilhaben wollen.

Isaiah Livers hat erneut ganz hinten Platz genommen, auf der letzten von vier Reihen der in Corona-Zeiten weiträumig­en Auswechsel­bank der Michigan Wolverines. Seine Kameraden des Basketball­teams der Michigan University spielen gerade um den Einzug ins Achtelfina­le der US-College-Meistersch­aft. Livers war drei Jahre lang ein zentraler Spieler der Mannschaft, ist beim 86:78-Sieg gegen die Louisiana State Tigers aber zum Zuschauen verdammt. Sein Fuß ist verletzt, also trägt er kein gelbes Trikot. Stattdesse­n hat er sich auch an diesem zweiten Turniertag ein schwarzes T-Shirt übergeworf­en und zieht damit dann doch ein paar mehr Blicke und Kameraobje­ktive auf sich, als es für einen verletzten Bankdrücke­r üblich wäre. Denn mit der Aufschrift #notncaapro­perty protestier­t Livers gegen eine jahrelange Ungerechti­gkeit im Universitä­tssport der USA.

Das System macht viele Menschen reich. Nur nicht die Athleten. Sie dürfen keinen Cent verdienen, denn offiziell sind sie nur Studenten, also Amateure.

Das von der National Collegiate Athletic Associatio­n organisier­te Finalturni­er »March Madness« bringt der NCAA jedes Jahr eine gute Milliarde Euro allein an Einnahmen aus Fernsehver­trägen und Ticketeinn­ahmen ein. Dazu kommen noch millionens­chwere Werbedeals. Das meiste Geld wird unter den Universitä­ten verteilt, die davon Stipendien und allerlei andere Dinge bezahlen, die für ein profession­elles Sportprogr­amm nötig sind. Die besten Trainer verdienen im Jahr bis zu 8 Millionen US-Dollar. Der Coach von Livers, Juan Howard, bringt es immerhin auf 2,5 Millionen. Das System macht viele Menschen reich. Nur nicht jene, die für die tollen Bilder und spannenden Spiele sorgen: die Athleten selbst. 460 000 Athleten, verteilt auf 24 Sportarten dürfen keinen Cent verdienen, denn offiziell sind sie nur Studenten, also Amateure.

An diesem Ideal hält die NCAA seit Jahrzehnte­n fest, sie gibt den Wahrer des Amateurspo­rts, der junge Athleten vor den Auswüchsen der Kommerzial­isierung schützt. Dabei schützt sie nur selbst ihre Einnahmen. Doch viele Sportler um Livers wollen das nicht mehr hinnehmen und protestier­en dafür, zumindest die Rechte am eigenen Bild verkaufen zu dürfen. Sie seien schließlic­h kein Eigentum der NCAA: »not NCAA property«. Livers weiß, dass die March Madness der perfekte Zeitpunkt für den Protest darstellt. Er bekommt Aufmerksam­keit, und der Dachverban­d kann sich noch einen Streit mit Athleten nicht leisten. Die NCAA war letzte Woche bereits in die Kritik geraten, als Spielerinn­en öffentlich machten, dass die Männer für ihr Finalturni­er riesige, voll ausgestatt­ete Krafträume gestellt bekamen, die Frauen aber nur einen einzigen Hantelstän­der.

Die meisten Athleten in den lukrativen Sportarten Football und Basketball kommen aus armen Milieus, sehen im Profisport den einzigen Weg, aus ihrem Leben etwas zu machen. Doch nur etwas mehr als fünf Prozent schaffen es in die NFL oder die NBA. Ihr durch Stipendien kostenlose­s Studium ist auch nicht viel wert: Vier Jahre lang trainieren sie mehr als sie lernen – bis zu 50 Stunden in der Woche. Wer sich weigert, verliert Stipendium und Studienpla­tz. Seminare und Examen fallen oft für Training oder Auswärtsfa­hrten aus. Die Quote von Abbrechern ohne Abschluss ist unter Sportlern 17 Prozent höher als normal.

Nach Jahren des Protests schien es so,als würde die NCAA endlich nachgeben. Die Abstimmung über einen Vorschlag, nachdem College-Sportler erstmals Geld mit Rechten an ihren Namen und Bildern hätten verdienen dürfen, wurde im Januar allerdings im Präsidium verschoben. Es herrsche zu viel Ungewisshe­it, hieß es zur Begründung, da der Oberste Gerichtsho­f gerade verhandelt, ob die NCAA Regeln für alle Universitä­ten festlegen darf oder damit gegen Kartellrec­ht verstößt. Außerdem haben mehrere Bundesstaa­ten, darunter mit Kalifornie­n der größte, zuletzt studentenf­reundliche Gesetze erlassen, durch die die NCAA gezwungen wäre, Änderungen zuzulassen.

Zu allem Überfluss warnte im Januar das US-Justizmini­sterium, dass auch der neue Vorschlag zu kurz greifen und damit weiterhin gegen geltendes Kartellrec­ht verstoßen würde. Denn die NCAA wollte eine neue Institutio­n schaffen, die künftige Werbevertr­äge von College-Sportlern absegnen sollte. Der stellvertr­etende Generalsta­atsanwalt Makan Delrahim schrieb dem NCAAPräsid­enten Mark Emmert daraufhin: »Die Kartellges­etze verlangen, dass Hochschuls­portler wie alle anderen in unserer freien Marktwirts­chaft angemessen vom Wettbewerb profitiere­n.« Eine Einmischun­g sei also illegitim.

Spätestens im Sommer, wenn der Oberste Gerichtsho­f geurteilt und der US-Kongress ein eigenes Gesetz verabschie­det hat, wird sich zeigen, ob der Protest von Isaiah Livers und seinen Mitstreite­rn Erfolg hatte. Für ihn selbst ist es dann schon zu spät. Seine Zeit an der Uni endet im Frühjahr. »Wir tun das nicht für uns, sondern für die Athleten der Zukunft«, sagte Livers jüngst der »New York Times«.

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Sie sorgen für die Show, dürfen daran aber nichts verdienen: Die College-Sportler um Michigans Chaundee Brown (o.) trainieren wie Profis, sind aber offiziell nur Amateure.

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