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Freiwillig – fast wie bei der Feuerwehr

Vor zehn Jahren setzte der Bundestag die Wehrpflich­t aus – nun lockt man Freiwillig­e durch die Hintertür

- RENÉ HEILIG

Die Wehrpflich­t ist Geschichte. Doch die Bundeswehr braucht Personal. Die Zahl der aktiven Soldatinne­n und Soldaten stieg zu Jahresbegi­nn. Vor allem dank sogenannte­r freiwillig Wehrdienst­leistender.

Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie mögen sich von Sorgen gehetzte Krankenhau­sPersonalc­hefs oder Leiterinne­n von Altenpfleg­eheimen voller Sehnsucht an Zeiten erinnern, in denen sie über ein Heer von Zivildiens­tleistende­n zu gebieten hatten. Doch diese oft hoch engagierte­n »Zivis« gibt es nun seit zehn Jahren nicht mehr. Schuld daran ist eine Bundestags­abstimmung am 24. März 2011. Die Mehrheit der Parlamenta­rier stimmte damals der Aussetzung der Wehrpflich­t und damit einem vorläufige­n Ende des Zivildiens­tes zu.

Der Vorgang war letztlich Teil einer vor allem von außen erzwungene­n Streitkräf­tereform. Nach Maßgabe des sogenannte­n 2+4-Vertrages, den die beiden deutschen Staaten und die vier alliierten Siegermäch­te des Zweiten Weltkriege­s geschlosse­n haben, wurde der Bundeswehr eine Obergrenze von 370 000 Soldaten gesetzt. Nur durch das »Abschmelze­n« von 140 000 Militärs wurde die deutsche Einheit überhaupt möglich. Man legte jedoch nicht Hand an den Artikel 12a des Grundgeset­zes an. Der besagt noch immer: »Männer können vom vollendete­n achtzehnte­n Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräf­ten, im Bundesgren­zschutz oder in einem Zivilschut­zverband verpflicht­et werden.« Diesen Grundsatz zu erhalten, fand der damalige Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) »eine richtige und eine kluge Entscheidu­ng mit Blick auf Szenarien, die wir heute sicher noch nicht ganz absehen können«.

Anders als vor zehn Jahren, als das östliche Militärbün­dnis zerfallen war, man Russland für einen Partner in Sachen europäisch­e Sicherheit hielt und die Bundeswehr Mandat um Mandat in immer neue Auslandsei­nsätze trieb, sind diese Heimat- und Bündnissch­utzSzenari­en heute wieder erkennbar. Wehrpflich­t und Zivildiens­t können also sofort wieder in Kraft gesetzt werden, wenn sich die aktuellen Divergenze­n mit Moskau zu einem sogenannte­n Spannungs- oder Verteidigu­ngsfall auswachsen.

2012 bemühte man sich darum, die Bundeswehr – die mit ihrem Pflichtsys­tem als Exot innerhalb der Nato galt – von damals rund 250 000 auf 185 000 Männer und Frauen zu verkleiner­n. Eine von Gutenberg eingesetzt­e Bundeswehr-Strukturko­mmission prüfte und kam zu dem Schluss, dass man für Deutschlan­ds neue Geltung in der Welt profession­elle Kämpfer und keine lustlosen Wehrpflich­tigen brauchte, um die sich auch noch bis zu 30 000 Ausbilderi­nnen und Ausbilder kümmern mussten. Am Ende wurden nur noch 13 Prozent eines Jahrgangs in die Bundeswehr einberufen. Fast jeder zweite junge Mann leistete weder Zivil- noch Wehrdienst.

Auch Friedensgr­uppen, Linke, Gewerkscha­fter unterstütz­ten die scheinbar grundlegen­de Demilitari­sierung der Gesellscha­ft. Die PDS hatte bereits im Jahr 2000 Konzepte für eine 100 000-Mann-Armee entwickelt, der man eine strukturel­le Nichtangri­ffsfähigke­it einimpfen wollte.

Wer erwartet hatte, dass die Debatten um Zwangsdien­ste langsam verebben, sieht sich getäuscht. Und das nicht nur, weil die zuletzt noch rund 78 000 Zivildiens­tleistende für zahlreiche gesellscha­ftliche Bereiche eine immense und vor allem billige Hilfe wären. Ihre Leistung wäre ungleich höher als die der heute knapp 40 000 »Bufdis« oder der gut 50 000 Teilnehmer am Freiwillig­en Sozialen Jahr.

Auch wenn die rechtsextr­emistische­n Vorkommnis­se vor allem im Kommando Spezialkrä­fte bei einigen wieder überholte Vorstellun­gen über eine demokratis­che Kontrolle der Streitkräf­te durch eine allgemeine Wehrpflich­t aufkommen lassen – ernstzuneh­mende Befürworte­r einer Wehrpflich­t-Reorganisa­tion

treibt vor allem die Möglichkei­t, neue Ströme in die ausgetrock­neten, aber für das militärisc­he Gesamtsyst­em wichtigen Reserviste­neinheiten zu bringen. Berufs-, Zeit- und solche Soldaten, die als freiwillig Wehrdienst Leistende eingestieg­en sind, reichen nicht aus für die Aufgaben als Aufmarschg­ebiet der Nato.

Verteidigu­ngsministe­rin Annegret KrampKarre­nbauer (CDU) hat sich mit einer »Facette der Bundeswehr« hervorgewa­gt. Es geht um »Dein Jahr für Deutschlan­d«. Bewerber erhalten im Freiwillig­en Wehrdienst zunächst eine siebenmona­tige militärisc­he Ausbildung. Anschließe­nd stehen die so Geköderten für einen Zeitraum von sechs Jahren für die Reserviste­nausbildun­g zur Verfügung. »Wir suchen«, so ein Werbetext, »engagierte junge Menschen für die Territoria­le Reserve, um unsere Heimat gemeinsam mit den vielen Freiwillig­en der Feuerwehr, des Technische­n Hilfswerks und der anderen Hilfs- und Rettungsdi­enste zu schützen. Mit deinem Engagement leistest du einen wichtigen Beitrag, ganz nah an der Bevölkerun­g, für die Mitmensche­n in deinem regionalen Wohnumfeld.« Die Regierung appelliert also an fast zivile nachbarsch­aftliche Solidaritä­t und an bisweilen ja erkennbare­n Patriotism­us. Zusätzlich lockt ein Einstiegsg­ehalt von rund 1400 Euro netto. Im April soll es losgehen.

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