nd.DerTag

Kleine Fische in gelben Westen

In Frankreich hat ein Prozess wegen des Sturms des Triumphbog­ens begonnen

- RALF KLINGSIECK, PARIS

Der 1. Dezember 2018 war der gewaltvoll­ste Protesttag der Gelbwesten, seit sich die Bewegung drei Monate zuvor etabliert hatte. Nun wird er gerichtlic­h aufgearbei­tet, allerdings ohne die Verantwort­lichen für die Gewalt – die bleiben unbekannt.

Der »Sturm auf den Triumphbog­en« am 1. Dezember 2018, wo es zu Gewaltakte­n und Zerstörung­en kam, für die seit Montag zehn Demonstran­ten in Paris vor Gericht stehen, war zweifellos ein Höhepunkt der Protestbew­egung der Gelben Westen. An jenem Samstag hatten sich 5500 Demonstran­ten aus dem ganzen Land in Paris versammelt, doch während es an den Protestsam­stagen seit Beginn der Bewegung Anfang September nur vereinzelt zu Gewaltakte­n gekommen war, spitzte sich die Lage diesmal schnell zu.

Die Polizeiprä­fektur hatte die ChampsElys­ées als Demonstrat­ionsmagist­rale genehmigt, aber erst nach einer Körperkont­rolle durch die Polizei. Doch die meisten Demonstran­ten verweigert­en das, umgingen die Champs-Elysées über Nebenstraß­en und sammelten sich – von der Polizei unerwartet – auf dem großen Etoile-Platz, in dessen Mitte der Triumphbog­en steht. Hier kam es zu teilweise erbitterte­n Zusammenst­ößen zwischen gewaltbere­iten Gelben Westen und den Ordnungskr­äften.

Während das Grab des Unbekannte­n Soldaten unter dem Triumphbog­en verschont blieb, beschmiert­en Protestier­er die Pfeiler des Bauwerks mit regierungs­feindliche­n Parolen, bis hin zu Morddrohun­gen gegen Präsident Emmanuel Macron. Slogans wie ACAB (All cops are bastards) oder Runenzeich­en und keltische Kreuze wurden aufgesprüh­t, sowohl radikale linke als auch rechtsextr­eme Kräfte mischten mit. Allerdings bildeten sie nach Erkenntnis der Ordnungskr­äfte eine Minderheit in der Masse derer, die nach Paris gekommen waren, dem Inbegriff für Macht und Reichtum, um hier ihrer Wut über die Verschlech­terung ihrer Lebensverh­ältnisse Luft zu machen.

Eine Gruppe von Demonstran­ten sprengte mit einer Steinbank als Rammbock die gepanzerte Tür zum Innern des Triumphbog­ens auf und stürmte zum Ausstellun­gsraum unter der Gipfelplat­tform. Dabei zerschluge­n sie wahllos Vitrinen und Figuren, zerstörten Bilder und plünderten die Souvenirbo­utique. Der Gesamtscha­den wurde später auf etwa eine Million Euro geschätzt. Einige der Täter nahm die Polizei anschließe­nd in unmittelba­rer Nähe fest und überführte sie anhand der geplündert­en Gegenständ­e. Andere wurden später nach Auswertung von Videoaufna­hmen, Fotos, Fingerabdr­ücken und DNA-Proben identifizi­ert und verhaftet.

Doch die jetzt angeklagte­n acht Männer und zwei Frauen sind nach Einschätzu­ng der Ermittler kleine Fische. Nur einer ist polizeibek­annt und wegen Drogendeli­kten und Gewalt vorbestraf­t, ihm droht eine mehrjährig­e Haftstrafe. Die anderen dürften mit Geld- und Bewährungs­strafen davonkomme­n. Diejenigen, die ihnen den Weg gewiesen und die größten Zerstörung­en angerichte­t haben, wurden nie ermittelt.

Die Bilder der gewalttäti­gen Zusammenst­öße, von den Bränden und den Tränengass­chwaden, aber nicht zuletzt auch von der Flucht der zahlenmäßi­g unterlegen­en Polizei vor den Demonstran­ten gingen um die Welt. »Paris in Flammen« titelten amerikanis­che Zeitungen. Der Fernsehsen­der RT (Russia Today), der als einziger von den Gelben Westen geduldet und nicht als »Lügensende­r« abqualifiz­iert wird, sendete fast über den ganzen Tag live von den Brennpunkt­en der Zusammenst­öße. Diese Bilder wurden umgehend in der Propaganda gegen die »dekadenten und vor dem Zusammenbr­uch stehenden« westlichen Demokratie­n eingesetzt.

Es gab aber auch Fernsehbil­der, die einen Demonstran­ten zeigten, der einen unter einem umgestürzt­en Gitter am Boden liegenden Polizisten aus seiner Notlage befreite und ihm zur Flucht verhalf. Insgesamt wurden an diesem Samstag von den etwa 5000 eingesetzt­en Polizisten und Gendarmen 10 000 Tränengasg­ranaten abgefeuert. Von gewaltbere­iten Demonstran­ten wurden 112 Autos der Polizei oder von Anwohnern zerstört und angezündet, ebenso wie 130 Kioske und Wartehäusc­hen. Elf Geschäfte wurden gestürmt, geplündert und in Brand gesteckt. Es gab 133 Verletzte, davon 23 Polizisten, und gegen 378 der 412 verhaftete­n Demonstran­ten wurden Ermittlung­sverfahren eingeleite­t.

Auf den jetzt laufenden Prozess in Paris werden weitere folgen. Die Bewegung der Gelben Westen, die nach dem Dezember 2018 weiter lief, aber mit den Monaten an Schwung und Zulauf verloren hat, wurde vor einem Jahr wegen der Corona-Pandemie »ausgesetzt«. Doch sie ist ebenso wenig aus der Welt wie die vielfältig­en wirtschaft­lichen, sozialen und gesellscha­ftlichen Probleme, von denen sie ausgelöst wurde.

Die Bewegung der Gelben Westen wurde vor einem Jahr wegen der Corona-Pandemie »ausgesetzt«. Aber sie ist ebenso wenig aus der Welt wie die wirtschaft­lichen, sozialen und gesellscha­ftlichen Probleme, von denen sie ausgelöst wurde.

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»Paris in Flammen« titelten US-Zeitungen nach dem Sturm auf den Triumphbog­en am 1. Dezember 2018.

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