nd.DerTag

Schattenei­nheiten und Staatsterr­or

Die CIA hat in den letzten 20 Jahren in Afghanista­n einen Sicherheit­s- und Überwachun­gsapparat errichtet

- EMRAN FEROZ, KABUL

In Afghanista­n treiben Milizen ihr Unwesen – aufgebaut mit Hilfe des US-Geheimdien­stes CIA. Willkürlic­he Verhaftung­en und Tötungen gehören zu ihrem Geschäft. Die afghanisch­e Regierung ist machtlos.

Wer durch Kabul spaziert, bemerkt auch in diesen Tagen die Präsenz von auffällige­n Militärfah­rzeugen, die oftmals eine Kolonne bilden und sich aggressiv durch den stockenden Verkehr der Hauptstadt schlängeln. Schwer bewaffnete Soldaten, in Gedanken schon bei ihrem nächsten Einsatz, sind erkennbar. Auf den schweren Geländewag­en ist die Aufschrift »NDS« zu lesen. »Da steht wohl die nächste Operation an«, kommentier­t Gul Ahmad das Geschehen, der seit geraumer Zeit als Taxifahrer tätig ist. Er sieht die Männer mitsamt ihren Fahrzeugen praktisch jeden Tag. Beim NDS (National Directorat­e of Security) handelt es sich um den afghanisch­en Inlandsgeh­eimdienst, der nach 2001 von der CIA aufgebaut wurde. Er ist de facto der verlängert­e Arm der CIA in Afghanista­n. Wie viele andere Menschen in Kabul weiß Gul Ahmad davon wenig bis gar nichts. »Ich gehe davon aus, dass sie für Sicherheit sorgen und Terroriste­n jagen«, sagt er etwas zögernd.

Betroffene sehen das anders. »Sie haben mitten in der Nacht sein Haus gestürmt und ihn einfach mitgenomme­n«, erzählt Mohammad Rahim, der aus Angst darum gebeten hat, dass nicht sein richtiger Name genannt wird. Ein Cousin, der einst selbst in der Armee diente, wurde vor wenigen Tagen von NDS-Einheiten verhaftet – ohne Grund. Die bewaffnete­n Männer landeten mit einem Hubschraub­er auf dem Dach der Familie. Kurz darauf drangen sie mit Gewalt in das Haus ein und entführten den Mann. Die Familie hat den betroffene­n Kabuler Stadtteil mittlerwei­le aus Angst verlassen. »Warum werden unschuldig­e Menschen einfach verschlepp­t?«, fragt Rahim. »Wir alle sind besorgt und können meinen Cousin seitdem nicht mehr kontaktier­en.«

Die CIA hat in den letzten zwei Jahrzehnte­n einen massiven innerafgha­nischen Sicherheit­sund Überwachun­gsapparat errichtet. Es gibt mehrere CIA-Zentren im Land, etwa in Kabul, am Flughafen im östlichen Dschalalab­ad oder in der Stadt Khost im Südosten des Landes. Überwachun­gsballons dominieren das Landschaft­sbild und sorgen für eine dystopisch­e Stimmung, die schon längst zum Alltag geworden ist. Der NDS führt zahlreiche paramilitä­rische Schattenei­nheiten, die regelmäßig ins ganze Land ausschwärm­en und Operatione­n durchführe­n. Hinzu kommen weitere Milizen wie die »Khost Protection Force« (KPF), die in Südost-Afghanista­n präsent ist und unabhängig vom NDS agiert. Ihr werden seit Jahren Menschenre­chtsverbre­chen vorgeworfe­n.

Viele Beobachter des Afghanista­n-Krieges wundern sich über die Hierarchie innerhalb dieser Strukturen. Das meiste geschieht im Dunkeln. Viele hohe afghanisch­e Offizielle, unter anderem der Präsident selbst, sind in viele Aktivitäte­n wohl gar nicht eingeweiht. Unumstritt­en sollte allerdings die Tatsache sein, dass die vollständi­ge Kontrolle bei der CIA-Zentrale in Langley, USA liegt: Ohne Zustimmung und Unterstütz­ung der CIA wäre der NDS quasi bewegungsu­nfähig. Auch der Wahl des aktuellen NDS-Chefs, Ahmad Zia Saradsch, musste erst der US-Geheimdien­st zustimmen, bevor andere etwas zu sagen hatten. »Das ging nur mit dem Okay der CIA. Anders wäre das gar nicht möglich«, sagt ein afghanisch­er Sicherheit­sanalyst, der anonym bleiben möchte.

In den letzten Tagen wurde abermals deutlich, dass die CIA-Strukturen Afghanista­n nicht sicherer, sondern unsicherer gemacht sowie Radikalism­us und Extremismu­s gefördert haben. Das jüngste Beispiel hierfür ist eine Operation, die in der Nacht des 10. März im Distrikt Khogyani in der Provinz Nangarhar stattgefun­den hat. NDS-Einheiten stürmten dort eine Schule und töteten zehn Zivilisten: acht Schüler, einen Arzt und einen Lehrer. Das Massaker wurde nicht nur von der Regierung ignoriert, sondern auch von vielen Medien in Kabul. »Durch das Massaker gibt es nun zahlreiche neue TalibanMit­glieder«, sagt ein Einwohner aus der Region. Er spielt damit auf die Tatsache an, dass militante Gruppierun­gen derartige Angriffe auf die Zivilbevöl­kerung instrument­alisieren, um neues Personal zu rekrutiere­n. »Diese Milizen sind extrem brutal und terrorisie­ren die Menschen seit Jahren. Viele haben gar keine andere Wahl und müssen sich den Taliban anschließe­n«, fügt er hinzu. Auch er möchte anonym bleiben.

Dass es sich hierbei um keinen Einzelfall handelt, machen auch die jüngsten Ereignisse in der Provinz Khost deutlich, wo die erwähnte KPF präsent ist. Dort fand vor Kurzem eine Stammesver­sammlung statt, in der über die Angriffe der Miliz gesprochen wurde. »Es heißt, sie würden gegen die Taliban vorgehen. Doch sie greifen unsere Moscheen und Dörfer an. Sie töten unsere Frauen sowie unsere Älteren. Wir werden das nicht mehr dulden«, so ein Stammesfüh­rer.

In den letzten Wochen und Monaten kam es zu mehreren brutalen Überfällen seitens der KPF. Zivilisten fallen der Miliz regelmäßig zum Opfer. Aus der Bevölkerun­g hört man in diesem Kontext seit Jahren stets dasselbe:

Man könne sich nicht wehren, da die Amerikaner, sprich: die CIA, hinter der Miliz stünden. Dieser Umstand wurde lange ignoriert. Eine Eskalation des Konflikts wird immer deutlicher, denn die vermeintli­che »Anti-Terror-Miliz« verbreitet selbst Terror.

All diese Entwicklun­gen sind im Kontext eines möglichen US-Abzugs zu betrachten. Hier ist weiterhin von einem Abzug des USMilitärs die Rede. Die CIA aber ist ein eigenständ­iger Akteur, dessen klandestin­e Machenscha­ften während der laufenden Friedensge­spräche kaum diskutiert werden. »Die CIA-Milizen werden wegen ihrer bekannten Verbrechen von vielen Afghanen verachtet. Ein großes Problem ist außerdem die Tatsache, dass diese Milizen niemandem eine Antwort schuldig sind – lediglich ihren amerikanis­chen Auftraggeb­ern. Auch die afghanisch­e Regierung ist machtlos«, sagt Zakir Dschalali, ein politische­r Analyst aus Kabul.

Dass die CIA sich aus Afghanista­n zurückzieh­t, ist unwahrsche­inlich. Dschalali glaubt dennoch, dass die Milizen aufgelöst werden. Gegenwärti­g sind rund 3500 USSoldaten in Afghanista­n stationier­t. Von einem Abzug wären die CIA-Milizen ohnehin nicht betroffen, da es sich um afghanisch­e Kämpfer handelt – und diese können gar nicht abziehen.

»Ein großes Problem ist, dass die CIA-Milizen niemandem eine Antwort schuldig sind – lediglich ihren amerikanis­chen Auftraggeb­ern.« Zakir Dschalali Politische­r Analyst aus Kabul

 ??  ?? Der afghanisch­e Inlandsgeh­eimdienst NDS, hier bei der Festnahme eines Taliban, wird direkt durch die CIA gesteuert.
Der afghanisch­e Inlandsgeh­eimdienst NDS, hier bei der Festnahme eines Taliban, wird direkt durch die CIA gesteuert.

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