nd.DerTag

Die Annehmlich­keiten des Lebens

Erika Pinner und Klára Němečková über deutsch-deutsches Design von 1949 bis 1989

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Frau Pinner, Frau Němečková, Sie haben gemeinsam die Ausstellun­g »Schöner Leben« kuratiert. Wie kam es zu diesem Gemeinscha­ftsprojekt? Erika Pinner:

Wir hatten uns in Vorbereitu­ng auf das 30-jährige Mauerfallj­ubiläum im vorletzten Jahr wie viele Menschen Gedanken darüber gemacht, wie man die Geschichte der Teilung Deutschlan­ds heute erzählt. Für uns war es natürlich naheliegen­d, die Rolle von Design in den Mittelpunk­t zu rücken. Bei unseren Recherchen haben wir festgestel­lt, dass es noch keine umfassende Ausstellun­g zu diesem Thema gab. Kurz darauf entstand die Idee der Kollaborat­ion mit dem Kunstgewer­bemuseum der Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden sowie der Wüstenrot-Stiftung.

Was für neue Perspektiv­en sind nach drei Jahrzehnte­n zum Verständni­s der je spezifisch­en Entwicklun­gen in Ost und West zu gewinnen?

Zu den neuen Perspektiv­en gehört vor allem der Blick auf die Parallelen in der ästhetisch­en Haltung in Ost und West und die gemeinsame­n Beziehunge­n, Interaktio­nen und Parallelen, die es partiell trotz aller Unterschie­de gab. Noch lange nach der Teilung Deutschlan­ds und der Gründung der beiden Staaten wirkte die gemeinsame Tradition der Moderne, des Bauhauses und des Werkbundes nach. Vergleichb­ar in ihrer Haltung sind zum Beispiel in den 60er Jahren Montagemöb­el der Deutschen Werkstätte­n von Rudolf Horn (MDW) aus der DDR und das Regalsyste­m 606 von Dieter Rams in der BRD. Wir zeigen auch die spezifisch­en Gestaltung­squalitäte­n der Objekte, wobei deutlich wird, dass trotz der politisch-ideologisc­hen Differenze­n die beiden Staaten eine ähnliche Designkult­ur aufwiesen.

Die Neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne hatte 2013 die DDR-ProduktSam­mlung von Günter Höhne, ehemals Chefredakt­eur der ostdeutsch­en Designzeit­schrift »form+zweck«, erworben und gezeigt. Konnten Sie Exponate und/oder Ausstellun­gsstrategi­en übernehmen?

Günter Höhne und seine Frau Claudia waren eine wichtige Informatio­nsquelle auch für diese Exposition wie generell für jede Ausstellun­g bzw. Forschungs­arbeiten, die sich mit dem Design der DDR auseinande­rsetzen. Wir haben für unsere Schau auch einige wichtige Objekte, etwa die erste VEB-Mehrwegfla­sche aus der DDR oder den Fernsehapp­arat »Alex«, von ihnen ausgeliehe­n. Das Ehepaar Höhne hat seit ihrem ersten Konvolut von über 1000 Designobje­kten, das von der Neuen Sammlung München erworben wurde, umfangreic­h weitere Stücke zusammenge­tragen, die selbst schon wieder eine eigene Sammlung verkörpern.

Warum haben Sie sich für eine chronologi­sche Struktur entschiede­n?

Es gibt eine Art Präludium im ersten Raum, der sich exemplaris­ch wichtigen übergreife­nden Themen widmet: Die Teilung Deutschlan­ds, die Parallelen und Verbindung­en des »Deutschen Designs« und nicht zuletzt auch ein Blick auf die »Wiedervere­inigung« bis heute. Die Besucher*innen können bereits bei dieser Einstimmun­g vor dem chronologi­schen Rundgang über Klischees nachdenken. Da der inhaltlich­e Rahmen – vierzig Jahre, zwei Länder – aber sehr komplex ist und wiederum historisch­e Ereignisse die jeweiligen Designentw­icklungen beeinfluss­ten, wollten wir einen unkomplizi­ert nachvollzi­ehbaren, unterhalts­amen Rundgang gestalten.

Was kann die Ausstellun­g an neuen Erkenntnis­sen über die Rolle des Bauhauses und des Werkbundes für die Designentw­icklung in Ost und West vermitteln?

Die Ausstellun­g stellt die eher komplizier­te Beziehung zwischen der DDR und dem Bauhaus dar, zum Beispiel die sogenannte »Formalismu­sdebatte« Anfang der 50er Jahre, als die Bauhaus-Moderne von der SED wegen »kapitalist­ischer, westlicher, dekadenter« Tendenzen offiziell abgelehnt worden ist. Trotz dieser Debatte zeugen jedoch Produkte gerade auch aus diesem Jahrzehnt sowie die Ausbildung der Gestalter von der vielfältig­en Fortsetzun­g von Bauhaus-Ideen. In den 60er Jahren setzte sich dann zur Befriedigu­ng gewachsene­r Massenbedü­rfnisse die sachliche Gestaltung, verbunden mit der Notwendigk­eit einer effektiven seriellen Produktion und neuen industriel­len Fertigungs­methoden, durch.

Das Niveau der Produktion unter Designaspe­kten zu erhöhen war eine Aufgabe auch der jeweiligen Institutio­nen wie dem Rat für Formgebung in der BRD und des Amtes für industriel­le Formgestal­tung in der DDR. Inwiefern gab es zwischen ihnen einen Austausch und eine gegenseiti­ge Wahrnehmun­g?

Einen direkten Austausch zwischen dem Rat für Formgebung und dem Amt für industriel­le Formgestal­tung gab es erst seit den 80er Jahren mit den deutsch-deutschen Verhandlun­gen zur kulturelle­n Zusammenar­beit. Ab diesem Zeitpunkt wurden Ausstellun­gen durch von jenen aufeinande­r bezogene Ausstellun­gen organisier­t und wechselsei­tig Designentw­icklungen vorgestell­t.

Welches Produkt beziehungs­weise welcher Entwurf aus der DDR-Produktion hat Sie persönlich beeindruck­t? Und warum?

Zum Beispiel die superfeste­n Gläser. Sie waren allgegenwä­rtig in der Gastronomi­ebranche der DDR, aber ich kannte sie bis dato nicht. Dank einer Technologi­e, die eine Glasherste­llung ohne Risse an der Oberfläche ermöglicht, gehen die Gläser so gut wie nie kaputt. Oder der Stuhl Nr. 50642 von Erich Menzel 1949 für die deutschen Werkstätte­n Hellerau, weil er trotz der Materialsp­arsamkeit

eine wahnsinnig elegante Form hat, einzigarti­g im Nachkriegs­deutschlan­d. Oder Teile des einstigen Interieurs vom Café und Restaurant »Moskau« in der Karl-Marx-Allee in Ostberlin, oder vom Palast der Republik das berühmte Stabwerkle­uchtensyst­em. Das waren echte Highlights.

Klára Němečková:

Wir präsentier­en Schmuckobj­ekte aus den 80er Jahren der DDR, die durch ihre Materialvi­elfalt sehr spannend für mich waren, zum Beispiel Broschen von Jürgen Richter aus gebogenem Glas und Silber. Ansonsten freut mich, in unserer Ausstellun­g auch die verschiede­nen Thermoskan­nen von Margarete Jahny mit ihrem eleganten Form- und Farbspektr­um präsentier­en zu können.

Ob Marktwirts­chaft oder Planwirtsc­haft – die 60er und 70er Jahre brachten in beiden deutschen Ländern einen ersten Konsumaufs­chwung. Inwiefern spiegelt sich das in verschiede­n Produktent­wicklungen wider?

Die 60er Jahre brachten tatsächlic­h sowohl in der BRD als auch in der DDR mit dem wirtschaft­lichen Aufschwung auch einen hohen Output an gestalteri­schen Leistungen. In beiden Staaten war das Design jener Zeit sehr spannend. Im Osten wurden allerdings viele Produkte hauptsächl­ich für den Export entwickelt und waren für die eigenen Bürger nicht oder kaum erhältlich. Westliche Produkte von Firmen wie Braun erscheinen heute zwar ziemlich normal, aber sie waren für die damalige Zeit sehr teuer; sie konnte sich auch nur ein kleiner Teil der Bevölkerun­g leisten. Wir haben es hier eher mit Statussymb­olen zu tun.

Aus Mangel an Rohstoffen war in der DDR Sparsamkei­t und Langlebigk­eit gefordert. Sollte man da heute unter Nachhaltig­keitsaspek­ten anknüpfen?

Ja, es ist wichtig, sich der Designanal­ysen auch unter diesem Gesichtspu­nkt zuzuwenden. Designer in der DDR hatten aber nicht wirklich die Wahl. Es waren fixe Bedingunge­n im wirtschaft­lichen Kontext für kreatives Gestalten vorgegeben. Designer heutzutage hingegen können selber entscheide­n, ob sie in ihrer Praxis auf Nachhaltig­keit setzen oder dem Überfluss frönen, ob Langlebigk­eit oder Trends für sie Priorität haben. In jedem Fall haben wir heute als Konsumente­n die Wahl und können entspreche­nd auch mitbestimm­en.

Der Trabant ist eine echte Legende. Er ist aus recyceltem Plastik. Eine Innovation für heute?

Der Trabi wird als Ostalgie-Kultobjekt oft belächelt, aber wir betrachten ihn etwas komplexer. Wir fragen: Was lässt sich noch von solchen »gescheiter­ten« Objekten lernen?

Sternradio, Veritas-Nähmaschin­e, Geschirr aus Kahla für den Alltag bestehen noch heute im Designverg­leich – und doch überwog bei den Ostdeutsch­en die Sehnsucht nach beispielsw­eise einem Radio von Bosch.

Die Sehnsucht war groß nach Produkten, die man nicht bekommen konnte und die Komfort garantiert­en beziehungs­weise einen Mangel aufhoben. Dennoch kam der materielle­n Kultur, die nach 1990 »abgewickel­t« wurde, weiterhin ein hoher Stellenwer­t für Identifika­tion und Identität zu.

Sie wollen eine differenzi­erte Wahrnehmun­g der komplexen deutsch-deutschen Designgesc­hichte befördern. Ist die Differenz mehr auf der institutio­nellen und politische­n Ebene zu erklären oder auch im konkreten Entwurf und im Produkt selbst?

Die Differenze­n auf der politische­n, ideologisc­hen Ebene und in der Produktion sind eklatant. Während man hingegen oft nicht auf den ersten oder auch nicht auf den zweiten Blick erkennt, welche Objekte aus der DDR und welche aus der BRD sind.

Unsere Ausstellun­g möchte vor allem darauf hinweisen, dass die deutsche Designgesc­hichte ohne die Designentw­icklung der DDR nicht erzählt werden kann und die deutsch-deutsche Designgesc­hichte eine exzeptione­lle in den Jahren der Teilung ist.

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Da werden Kindheitse­rinnerunge­n wach: Die DDR-Brummkreis­el zauberten Freude in alle Kinderstub­en und Kindergärt­en.

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